Akzente_more OHR less

Mehr oder weniger

Wiesen, Wälder, ein schöner See und sommerliches Wetter - die Bedingungen für die Roedelius-"Sommerakademie" in Lunz hätten gar nicht besser sein können.
   09.08.2004

Der Elektronikpionier Hand-Joachim Roedelius schenkte sich zum 70. Geburtstag ein dreitägiges "Symposium mit Festival-Charakter" und lud dazu Freunde und Geistesverwandte aus allen Bereichen von Musik und Kultur.

Nach einer feierlichen Begrüßung startete der erste Abend mit einem äußerst abwechslunsgreichen Programm: Während Peter Rauscher auf der Laute alte Musik von österreichischen Komponisten präsentierte, konnte das Saxophon/Harfe-Duo Jurij Novoselic und Doris Karamatic leider gar nicht begeistern. Viel zu kuschelweich und ohne Höhepunkte driftete ihr an Kenny G. gemahnendes Set dahin; man war froh, als ihre halbe Stunde Zeit abgelaufen war. Danach gab es jedoch zwei wunderbare Frauen zu sehen und zu hören: New-Wave-Legende Lene Lovich sieht immer noch so aus wie vor 25 Jahren (wenn auch ein wenig massiver) und überzeugte durch würdevoll gealtertes Auftreten mit einem immer noch großen Schuß Extravaganz. Ihre Songs wurden von Les Chappell an den Keyboards begleitet und bestachen durch schlichte Intensität. Dorit Chrysler wiederum werkte virtuos an ihrem Theremin und verzauberte mit ihren Kompositionen und ihrer Stimme. Quasi als "Aftershow-Party" wurde anschließend noch auf eine Almhütte geladen, wo ein Wiener Trio angeblich "Wienerisches" von sich geben sollte; das Publikum wurde aber von müdem Schmäh und entsetzlichen "Textübertragungen" (Eigendefinition der Musiker) von Billy-Joel-Songs und dergleichen vergrault. Trotz allem ein äußerst angenehmer Abend in sehr malerischer Umgebung.

 

 

Der Samstag begann schon früh am Morgen mit einem Bratsche-Konzert von Bernadette Reiter auf dem See und wurde abends mit einem wunderbaren Klavierprogramm von Mariella Greil eingeleitet. Ihre Bearbeitungen von Terry-Riley-Stücken waren nie zu süß und stellten einen ersten Höhepunkt des Abends dar. Bernhard Fleischmann überraschte mit einem langen Stück Elektronikkomposition, zu dem er live am Flügel spielte. Anschließend begann das Herzstück des gesamten Festivals, die österreichische Uraufführung der CD "Lunz" von Hans Joachim Roedelius und Tim Story aus den USA, verstärkt durch den italienischen Gitarristen Fabio Capanni und nochmals Bernadette Reiter an der Bratsche. Als dann alle Lichter aus und die meisten Gäste bereits auf dem Heimweg waren, durften ein paar Übriggebliebene noch Mariella Greils Feuertanz bewundern - ein beeindruckendes Erlebnis, das einen in wunderbarer Stimmung in die Nacht entließ.

 

 

Am dritten Tag schließlich wurde das Wetter am Nachmittag ein wenig unsicher, fing sich aber abends und ermöglichte dem Festival einen angenehmen Ausklang. Harfenistin Monika Stadler brachte zu Beginn schöne Eigenkompositionen zum Besten, überzog dann aber leider ihre Zeit um das Doppelte und nervte damit zusehends - besonders deshalb, weil Cellist Noid sein Set dann umso kürzer gestalten mußte. Und das, obwohl seine Musik von einem Boot auf dem See aus gespielt wurde und zum Schönsten gehörte, was man an diesem Wochenende hören durfte. Danach kam es zum wahrscheinlich überraschendsten Highlight von "more OHR less": Albin Paulus trug auf äußerst sympathische Weise Stücke auf archaischen Luftinstrumenten vor - Dudelsack, Maultrommel oder andere Flöten gehörten zu seinem Repertoire und wurden durch sensationelle Erklärungen dazwischen eingeleitet. Oder möchte jemand bestreiten, daß eine Ansage wie "In der Hallstattzeit bestand der Dudelsack nur aus den Flöten, denn der Körper wurde als lebender Sack eingesetzt" einfach wunderbar ist? Nach all diesen überzeugenden Konzerten war es dann umso betrüblicher, daß ausgerechnet die drei unsäglichen Wiener noch ein zweites Mal auftreten mußten, da man ihre an STS erinnernden Songs so als letzten Eindruck mit auf den Weg heimnehmen mußte. Doch ein paar Gläschen Wein am Büffet brachten einen auch über diese Durststrecke hinweg.

Alles in allem war das erste "More Ohr Less" ein gelungenes Fest, das straff und effizient organisiert war und durch seine Vielfalt bestach. Und daß es außer den "üblichen Verdächtigen" auch Menschen zu sehen und hören gab, die sonst nicht alle zwei Wochen irgendwo auftreten, machte das Programm nur umso spannender. Wenn sich der Wettergott im Jahr 2005 auch wieder so gnädig zeigt wie heuer, dann steht Teil zwei im nächsten Jahr nichts mehr im Wege.

Walter Robotka

more OHR less


Fr., 30. Juli bis So., 1. August 2004, Lunz am See (NÖ)/Seebühne

 

Links:

Kommentare_

Musik
Kraftwerk - Minimum-Maximum

Reduce to the Max

Die Düsseldorfer Elektroniklegenden haben offensichtlich von den vielen Raubpressungen die Nase voll und bringen endlich ein offizielles Live-Album auf den Markt.  

Musik
Non Toxique Lost - Bin/Med/USA

Stil ist irrelevant

Eine wiederauferstandene deutsche Kultband zeigt den Jungspunden, wo der Bartel den Most herholt. Diesmal nicht nur auf Kassette.  

Musik
Nurse With Wound - Angry Eelectric Finger

Noch mehr verärgerte Aalfinger

Wie ein Berserker bastelt Steve Stapleton an seinem Klanguniversum - und schiebt drei neue Werke nach.  

Musik
Zanana - Holding Patterns

Kunstwichserei

Zwei Damen liefern ein wunderbares Beispiel dafür ab, was man an klassischer Avantgarde alles hassen kann.  

Print
Peter Straub - Esswood House

Zum Abriß freigegeben

Die Edition Phantasia legt mit "Esswood House" eine seltene Novelle des renommierten Horror-Autors erstmals in ungekürzter Form auf.  

Musik
Markus Guentner - 1981

Ambientaufguß

Ambient, die x-te: ein weiteres angenehmes Album voller wabernder Elektronik-Sounds reiht sich nahtlos in eine lange Liste ein.