Akzente_Ein Bild und seine Geschichte #1
All Tomorrow´s Parties: Wie im richtigen Leben, nebenan
Stefan Becht macht sich endlich wieder für EVOLVER Gedanken. Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit: ein Bild, ein Buch und die Geschichte dahinter. In der ersten Ausgabe dreht sich alles um "I went to the worst of bars hoping to get killed. but all I could do was to get drunk again" von Ciáran Óg Arnold. 25.03.2016
Was für ein grandioser und - zugegeben - geklauter Titel: "I went to the worst of bars hoping to get killed. but all I could do was to get drunk again." Und was für ein außergewöhnliches Buch für Photographien!
Gerade mal etwas größer als DIN A5 und mit 76 Seiten Umfang recht schmal, kommt das Buch fast unscheinbar daher. Doch es überrascht mit jeder seiner 43 Photographien: dunkle Bilder, egal ob in Farbe oder S/W, von jungen und alten Menschen, von nächtlichen Wegen, dunklem Wald, Schafen, Häusern, Räumen, von eisigen Rosen, leeren Discos, von Menschen, die einander schlagen oder küssen, die rauchen, die nebeneinander, aber nicht beieinander sitzen, die im Nebel der Nacht aneinander vorbeidriften. Genauso, wie das alles klingt, kommen diese Bilder daher: Ein Geschmack von Verzweiflung und Rausch, von Gewalt und Hoffnung, von Sehnsucht nach Nähe und ewiger Distanz wird spürbar. Streng aufeinander abgestimmt in der Abfolge und Komposition, erzählen die Bilder eine Nacht im irischen Städtchen Ballinasloe, das im Osten der Grafschaft Galway liegt, also irgendwo im Nirgendwo.
Der Fotograf Ciáran Óg Arnold ist dort aufgewachsen und kehrte nach der Finanzkrise im Jahr 2007, die ihm wie vielen anderen Iren die Arbeitslosigkeit bescherte, nach Ballinasloe zurück. Geprägt durch mangelnde Karrierechancen verkam die Stadt im Lauf der Jahre. Arnolds Leben drehte sich im Kreis. Ohne Perspektive, jede Nacht auf der Suche nach einem Kick - und jede Nacht gab nur die gestrige Bar dem heutigen Club die betrunkene Klinke in die Hand.
Fünf Jahre hat der junge Arnold, der an der Ulster University in Belfast Photographie studierte, an seinem Projekt gearbeitet. Wir können uns in etwa vorstellen, wieviele Aufnahmen in diesen fünf Jahren entstanden sind. Wahrscheinlich tausende. Doch Arnold hat etwas Wunderbares getan:
Er hat Entscheidungen getroffen. Und nur 43 Photos für sein Buch ausgewählt. Diese seltene Verbindlichkeit erzeugt eine Dichte in der bildnerischen Erzählung, wie sie in der Masse nie gelingt. Und es ist eben kein Zufall, daß nach einem doppelseitigen farbigen Bild einer leeren, rotschimmerenden Disco ein fast ganz im Dunkeln verschwindendes küssendes Paar folgt - die High Heels der Frau sorgsam neben der Handtasche auf dem Tisch drapiert. Hier stimmen nicht nur die Bilder, bis hin zur mit Augenzwinkern schief photographierten Eingangstür der kargen Heimstatt; hier stimmt auch die szenische Abfolge. Und damit ist Arnold gelungen, was dann Kunst heißt: Eine beispielhafte Geschichte wird zu einer, die überall auf der Welt stattfindet. Nicht genauso und nicht genau dort. Aber doch nebenan. Jede Nacht. Nicht umsonst hat Arnold sich seinen Titel aus dem Gedicht "the suicide kid" des amerikanischen Dichter Charles Bukowski ausgeliehen.
Ciáran Óg Arnold. I went to the worst of bars hoping to get killed. but all I could do was to get drunk again, 76 S., 43 Photographien, 16 x 22 cm, gebunden, umlaufender Schutzumschlag, Mack Books, London 2015, ISBN 9781910164310.
Photo © Ciáran Óg Arnold
Kommentare_