Grafenegg: Orchesterkonzert am 10. September 2010
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Werke von Robert Schumann und Anton Bruckner
Bayerisches Staatsorchester München/Kent Nagano
Solist: Nikolai Lugansky, Klavier
Selten paßt die terminliche Konstellation so gut, daß ein Festival aufhört und fast nahtlos eine Bühne die Saison eröffnet. Im Falle Grafenegg und Theater an der Wien hat es sich heuer so ergeben. Man konnte direkt vom Kamp an den Wienfluß übersiedeln - wobei die Wiener Philharmoniker sich bei der Saisoneröffnung leider nicht von ihrer besten Seite zeigten. 19.09.2010
Mit den Auftritten des Bayerischen Staatsorchesters und des NDR-Sinfonieorchesters bewiesen die Organisatoren von Grafenegg, daß ihr Festival offenbar mittlerweile ein Wunschziel der besten Künstler und Ensembles ist. Zwei deutsche Orchester von internationalem Rang gaben sich hier quasi am letzen Wochenende die Hand. Und wo die Bayern mit ihrem Noch-Chef Kent Nagano eine veritable Sternstunde bescherten, hinterließ das NDR-Orchester leider einen zwiespältigen Eindruck.
Das Bayerische Staatsorchester ist - ähnlich wie die Wiener Philharmoniker in der Wiener Staatsoper - quasi das Hausorchester der Bayerischen Staatsoper und nach Angaben dieser Institution eines der ältesten Orchester Deutschlands. Kent Nagano ist der derzeitige Chef des Orchesters, wird es aber leider noch 2010 verlassen.
Der gebürtige Amerikaner Nagano hat das Ensemble zu einem der führenden Klangkörper der Deutschen herangezogen. Sowohl beim Klavierkonzert von Schumann als auch bei Bruckners Symphonie überzeugt er mit Klangsinnlichkeit, profunder Schlagtechnik und Gespür für die musikalische Architektur, was vor allem bei Anton Bruckner enorm wichtig ist. Solist des Abends war der 38jährige russische Pianist Nikolai Lugansky aus Moskau; er spielte das romantische Klavierkonzert mit superbem perlenden Anschlag und kostete jede Nuance des Jahresregenten Schumann aus. Das Publikum war von dem Moskauer so begeistert, daß es eine Zugabe (ebenfalls von Schumann) erpfiff und erklatschte.
Am Tag darauf löste das norddeutsche NDR-Orchester die Bayern ab - und demonstrierte, daß es auch ein Süd-Nord-Gefälle geben kann. Während die Bayern brilliert hatten, ließen die Hamburger doch da und dort einige Probleme durchschimmern. Michael Gielen, der für den erkrankten Christoph von Dohnany einsprang, schlug zwar sehr deutlich den Takt, doch trotzdem hörte man da und dort falsche Einsätze und Töne, vor allem bei den ersten Violinen und bei der Oboe.
Der deutsche Klarinettist Jörg Widmann spielte Mozarts ultimatives Spätwerk, das Klarinettenkonzert in A-Dur. Das Stück wurde von dem Klarinettisten perfekt dargebracht – traumhaft, wie er manche Piani einfach schweben ließ. Dabei war ihm auch das Orchester ein sicherer Partner.
Nicht so sicher waren die Damen und Herren aber bei Gustav Mahlers 4. Symphonie. Gielen bevorzugt oft breite Tempi (wie einst Leonard Bernstein), doch weder das Orchester noch der Dirigent konnten die Spannung und die Emphase so halten wie der amerikanische Maestro. Wenn Gielen versuchte, überdeutlich zu schlagen, gingen die Übergänge geradezu "in die Hose".
Trotz allem war es aber ein gutes und interessantes Konzert, auch wenn die Sopranistin Christina Oelze einiges von ihrer früheren Strahlkraft vermissen ließ.
Das echte Abschlußkonzert am Wagram war der Auftritt der Wiener Philharmoniker mit dem Pianisten Lang Lang und Nikolaus Harnoncourt. Dieses Konzert wurde zwei Tage später zur Saisoneröffnung im Haus an der Wien gegeben und dort auch vom EVOLVER-Klassikexperten gehört.
Taiwans Klavier-Wunderkind Lang Lang machte aus Beethovens erstem Klavierkonzert ein Konzert für zwei Dirigenten, einen Pianisten und Orchester. Er übertrieb es oft mit seinen selbstverzückten Bewegungen und Gesichtsausdrücken und dirigierte oft mehr vom Klavier mit als Maestro Harnoncourt, überzeugte aber mit großartigem Anschlag, perlenden Läufen und geschickt gesetzten Akzenten. Aus der Kadenz des ersten Satzes machte er fast ein eigenes Recital. Seine Musikalität und technische Brillanz sind einfach phänomenal. Das Publikum war natürlich begeistert, und Lang Lang bedankte sich mit einer Zugabe. Nikolaus Harnoncourt versuchte natürlich auch dieses C-Dur-Konzert zu (über-)gestalten, mußte aber letztlich einsehen, daß selbst er bei manchen Werken an seine Grenzen stößt.
Beethovens Symphonie Nr. 7 ist eigentlich ein Reißer in den Konzertsälen. Selten noch hat eine Wiedergabe dieses Stücks so enttäuscht. Das Theater an der Wien hat seit 2007 eine Konzertmuschel, die es leider viel zu selten einsetzt. Diesmal war aber das Gebilde mit seiner gnadenlosen Akustik bei den Philharmonikern im Einsatz - und genau diese Akustik wurde dem Wiener Meisterorchester zum Verhängnis. Harnoncourt ist ja nicht gerade berühmt für eine prägnante und klare Schlagtechnik; da hat selbst ein so versiertes Orchester wie die Wiener offenbar seine Probleme. Wenn dann noch Konzentrationsmängel einzelner Musiker dazukommen, hört man das leider allzu deutlich. Die Akustik des Wiener Musikvereins kann solche Schnitzer ganz gut kaschieren, im Theater an der Wien wurden sie schmerzhaft hörbar.
Der steirische Maestro gestaltete manche Passagen (vor allem die Fugati) grandios; den großen Atem, die Melodiebögen und vor allem die dramatischen Steigerungen ließ er jedoch leider oft missen. So war der Finalsatz, der einen normalerweise aus dem Sessel hebt, fast behäbig und langweilig.
Fazit ist, daß Grafenegg eine mehr als gelungene Saison beenden konnte und das Theater an der Wien einen guten, aber nicht außerordentlichen Saisonstart hatte. Doch das Theater ist auch kein Konzertveranstalter per se - und als Opernhaus reüssiert es allemal.
Grafenegg: Orchesterkonzert am 10. September 2010
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Werke von Robert Schumann und Anton Bruckner
Bayerisches Staatsorchester München/Kent Nagano
Solist: Nikolai Lugansky, Klavier
Grafenegg: Orchesterkonzert am 11. September 2010
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Werke von Wolfgang Amadeus Mozart und Gustav Mahler
NDR-Sinfonieorchester/Michael Gielen
Solist: Jörg Widmann, Klarinette
Theater an der Wien: Saisoneröffnung am 14. September 2010
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Werke von Ludwig van Beethoven
Wiener Philharmoniker/Nikolaus Harnoncourt
Solist: Lang Lang, Klavier
Hören darf man heuer auch ganz ohne Maske. Grund genug für den EVOLVER-Klassikexperten Herbert Hiess, seine Musiktips für die Weihnachtszeit unter den virtuellen Christbaum zu legen.
Nicht nur Thomas Angyan, der zukünftige Ex-Chef des Wiener Musikvereins, hätte sich den Abschluß seiner Karriere - ebenso wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer - anders vorgestellt. Wie so viele Kulturschaffende gingen beide der angeblichen Pandemie in die Falle.
Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.
Pech oder Schicksal - wie auch immer man es bezeichnen mag: Daß die großartige Berliner "Carmen" schon nach der zweiten Aufführung von Amts wegen gestoppt werden musste, hätte sich niemand gedacht. Jetzt kann man sie wohl einige Zeit nur als Stream oder Aufzeichnung betrachten. Die Staatsoper unter den Linden zeigt mit ihr jedenfalls, daß sie dank ihrer hervorragenden Musiker viele der angeblichen Spitzenhäuser übertrifft.
Wie Political Correctness als brutale Verlogenheit entlarvbar ist, zeigt das Stück "Der Vorname" des Autorenduos Patellière und Delaporte. Herbert Hiess hat es in den Kammerspielen erlebt.
Alle Jahre wieder ... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der "Streß", der oft zu Geschenkskäufen in letzter Minute führt. Um Verlegenheitsgaben wie Socken oder Bonbonnieren zu umgehen, hat der EVOLVER-Klassikexperte einige Tips zusammengestellt, die nicht nur eingefleischten Klassikliebhabern Freude bereiten werden.
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