Akzente_Tancredi
Italienische Kriegswirren
Vor einem Jahr verzauberte Barockspezialist René Jacobs im Theater an der Wien mit seiner Sicht von Glucks "Orfeo ed Euridice". Heuer überrascht er mit seiner Interpretation von Rossinis "Tancredi". Schade, daß man durch die skurrile Regie um eine Sternstunde gebracht wurde.
21.10.2009
Gioachino Rossinis Oper "Tancredi" wurde 1813 in Venedig uraufgeführt (im gleichen Jahr wie "Die Italienerin in Algier" und spielt um 1005 in Syrakus. Sie ist eigentlich eine Kriegsoper und handelt vom Konflikt der Sizilianer mit den Sarazenen (Moslems). Die Parteien des Argirios und Orbazzanos verbünden sich im Kampf gegen die Sarazenen, dafür muß Argirio seine Tochter Amenaide an Orbazzano versprechen. Das hat nur den Haken, daß Amenaide schon seit längster Zeit Tancredi liebt. Orbazzano erfährt davon und schmiedet daraus ein kräftiges Intrigenspiel, dem um ein Haar sowohl Tancredi als auch Amenaide zum Opfer fallen.
Regisseur Stephen Lawless, der schon bei Glucks "Orfeo" seinen Hang zur sonderbaren Interpretation bewies, konnte mit dieser Aufführung nahtlos daran anknüpfen. Die Handlung ist bei Lawless - wie gehabt - zeitlos; einmal kommen (natürlich) Mussolinis Faschistengarden vor, dann islamische Terroristen. Logischerweise darf auch das trojanische Pferd auf der Bühne nicht fehlen - und zu feierlichen Anlässen kommen plötzlich Turner mit Springböcken auf die Bühne. Das muß einem wirklich einmal einfallen ...
Schade, daß sich der Regisseur durch derartige Effekthascherei um große Momente bringt. Es ist beispielsweie genial, wie er den Auftritt Tancredis nach dem gewonnenen Duell gegen Orbazzano gelöst hat. Und noch genialer ist der Schluß, der sehr an Mozarts "Così fan tutte" erinnert: Zur fröhlichen Musik und zum ebenso getragenen Text sieht man lauter Ruinen und ernste Gesichter. Tancredi kriecht als Halbtoter auf dem Boden herum; er wurde letztlich von allen benutzt, und Amenaide wird von ihrem Vater zur Blitzhochzeit mit Tancredi gezwungen. Alles zum Wohle der Staatsräson eben.
Aus musikalischer Sicht war der Abend hingegen eine echte Sternstunde. Seit Abbados Zeiten an der Wiener Oper hat man keine solche Rossini-Aufführung in Wien erlebt. Der Belgier René Jacobs, ein ehemaliger Countertenor, erzielte mit dem Orchestre des Champs-Élysées eine wahre Klangfarben-Orgie. Mit den Originalinstrumenten ist der Klang auch viel flexibler, feiner und vor allem lautstärkenmäßig "sängerschonender". Einfach großartig, was Rossini hier kompositorisch geleistet hat. Obwohl man dem Komponisten immer vorwarf, nur "lustig und fröhlich" komponiert zu haben, antizipierte er bei einigen Nummern die große Tragik von Vincenzo Bellini (zum Beispiel bei Amenaides Arie im zweiten Akt).
Das Theater an der Wien und René Jacobs konnten für diese Serie mit einer echten Luxusbesetzung aufwarten; allen voran Aleksandra Kurzak als Amenaide und Vivica Genaux als Tancredi. Die Dame aus Alaska erinnert mit ihrem sonoren Alt-Mezzo an die junge Marilyn Horne. Sie begeisterte - ebenso wie Kurzak - mit virtuosen Koloraturen, sicherer Höhe und großartiger Interpretation. Mit diesem Sängerpaar könnte man noch viele der großen Rossini-Opern (etwa "Semiramis") besetzen. Der höhensichere Tenor Colin Lee als Argirio und der Bariton von Konstantin Wolff waren für diese Aufführung eine große Bereicherung.
Damit hat das Haus an der Wienzeile wieder einmal bewiesen, daß es nicht nur die bessere, sondern vor allem die interessantere Wiener Oper ist.
Herbert Hiess
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