Akzente_10 Jahre Radio Orange

"Warum nenn ma´s ned Orange?"

Eines der zwölf freien Radios in Österreich feierte diesen Sommer seinen zehnten Geburtstag. Und weil der EVOLVER bekanntlich ein Herz für Idealisten hat, gratulieren wir nachträglich zum Jubiläum.    03.11.2008

Am Anfang steht die Illegalität, erzählt Gerhard Kettler, Programmkoordinator bei Radio Orange und Vorstandsmitglied des Verbandes Freier Radios Österreich. In den späten 80ern beginnen in Wien verschiedene Gruppierungen mit dem illegalen Senden meist politischer Inhalte, in den frühen 90ern nehmen die Aktivitäten der Radiopiraten stark zu. 1992 senden rund 25 verschiedene Gruppen 40 Stunden Programm pro Woche.

Ziel der medienpolitischen Aktivisten ist es, das ORF-Monopol zu unterminieren, im Rundfunk unterrepräsentierte oder gar nicht repräsentierte Gruppierungen medial sichtbar zu machen und Druck in Richtung Legalisierung freier Radios zu erzeugen, um ihre Ideen gesetzlich zu verankern. Technisches Equipment zum Senden gibt es relativ billig zu kaufen; mitunter basteln die Piraten ihre Sendeanlagen auch selbst. Finanziert wird das alles aus der eigenen Geldbörse und mit Hilfe von Solidaritätsfesten. Die Ausstrahlungszeiten werden im Vorfeld bekannt gegeben, die Sendungen selbst dauern meistens nicht länger als 15 Minuten, um die Chance einer Peilung durch die Post möglichst gering zu halten. Dennoch werden ständig Sendeanlagen beschlagnahmt und die Strafen für einen Verstoß gegen das Fernmeldegesetz dermaßen erhöht, daß sich die Sender 1993 aus finanziellen Gründen gezwungen sehen, den Betrieb einzustellen. In der subkulturellen Szene allerdings ist die Resonanz auf das Neue und Verbotene sehr groß.

Gleichzeitig treiben Initiativen privater Printmedien für kommerzielles Privatradio die Diskussion über ein entsprechendes Gesetz voran. Als es jedoch zu ersten Gesetzesentwürfen und schließlich Lizenzvergaben kommt, gehen die freien Radios leer aus. 26 Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof (sieben davon von seiten der freien Radios) ergeben schließlich ein neues Gesetz und eine Neuvergabe der Lizenzen. 1997 wird Regional- und Lokalradio gesetzlich verankert, am 17. August 1998 geht Radio Orange auf der Frequenz 94.0 in Wien on air.

 

Die Idee, den Projekttitel "Freies Radio Wien" auch als tatsächlichen Namen zu belassen, verwerfen die Macherinnen und Macher, als ihnen der ORF mit einer Klage droht: Zu groß sei eine Verwechslungsgefahr mit seinem "Radio Wien". Ein langes Brainstorming, bei dem ein Teilnehmer sinnierend einen orangefarbenen Zettel betrachtet, ergibt schließlich "Radio Orange". Der frischgebackene Sender, mitgetragen von vielen Ex-Piraten, errichtet ein Studio im 9. Bezirk. Die Nähe zum Ausland und den dort sendenden Radiostationen zwingt Orange allerdings, mit einem schwachen Signal zu senden - sodaß nicht einmal Wien flächendeckend bespielt werden kann. Dieser Umstand änderte sich erst letztes Jahr, als die Sendeleistung verstärkt und gleichzeitig mittels Antennenausrichtung ein Einwirken in fremde Territorien verhindert wurde.

Rund 500 Radiomacher und -innen (plus/minus 100 - niemand weiß es so genau) sind heute bei Radio Orange tätig, getragen wird das Projekt vom "Verein Freies Radio Wien", der neun Fixangestellte beschäftigt, die unter anderem für IT, Technik, Öffentlichkeitsarbeit und die Programmkoordination zuständig sind.

 

"Das Unerhörte hörbar machen"

 

Ziel von Radio Orange ist es nach wie vor, medial unterrepräsentierten Meinungen, Personen oder Gruppen (Migranten, politisch/emanzipatorischen Initiativen, Schwulen, Lesben etc.) Öffentlichkeit zu verschaffen - sofern deren Programm antisexistisch, -rassistisch und -faschistisch gestaltet und weder menschen- noch menschenwürdeverletzend ist. Auf musikalisch/künstlerischer Ebene setzt der Sender auf die Förderung freier Initiativen, der unabhängigen Indie-Szene und jener Stile, die anderswo kaum zu hören sind. Das aktuelle Programm, das diesen Ansprüchen nicht immer gerecht wird, soll diesbezüglich in naher Zukunft auch durchforstet werden.

Jeder Mensch kann versuchen, mitzumachen, sechsmal jährlich wird über Neuaufnahmen entschieden. Grundbedingung ist die Teilnahme an einem Infoabend, das Vorlegen eines Konzepts und das Durchlaufen des Ausbildungsprogramms. Am Mainstream orientierte Konzepte haben aber wenig Aussicht auf Umsetzung.

Das Programm teilt sich in Sparten (Politik & Gesellschaft/Musik/Jugend/Magazine/Kultur/ Satire usw.); versucht wird, in Sendeschienen täglich zur gleichen Zeit die gleiche Sparte zu senden.

 

Bundesförderung überlebenswichtig!

 

Das Programm ist werbefrei, weil Werben dem freien Radio einerseits verboten ist, andererseits aus Eigenverständnis Werbung on air völlig unerwünscht ist. Werbung und Sponsoring sind bloß dort möglich, wo kein Einfluß auf das Programm genommen werden kann, zum Beispiel bei den Orange-Festen und in der Programmzeitschrift. Finanziert wird der Sender über den Freien-Radio-Beitrag, den man - so man das möchte - jährlich in verschiedenen Höhen leisten kann, und einer Basisförderung der Stadt Wien. Förderungen des Bundes wurden 2000 unter Schwarz/Blau um zwei Drittel gekürzt und 2001 ganz gestrichen - die Angestellten mußten monatelang auf die Auszahlung ihrer Gehälter warten. Die große Koalition änderte diesen Umstand bis auf eine zweimalige Finanzspritze an die Freien nicht. Aktuell ist ein Gesetzesentwurf zur Finanzierung des freien Radios ausgearbeitet - ob dieser beschlossen wird, ist auf Grund der Neuwahlen fraglich. Für die meisten freien Radios in Österreich ist eine regelmäßige, gesetzlich verankerte Bundesförderung aber überlebenswichtig - und wer will schon dauerhaft vom guten Willen eines Gemeinderats abhängig sein?

Eine aktuelle Standortbestimmung fällt dem Sender schwer. Radio Orange hat für Interessierte die kontinuierliche Möglichkeit geschaffen, etwas zu verändern und sich zu artikulieren. Viele kulturelle/musikalische Initiativen wurden und werden gefördert und politische Gruppierungen in öffentliche Diskurse eingebunden. Dennoch muß Radio Orange permanent weiter um Wahrnehmung kämpfen. Viel bleibt zu tun, um in der freien Szene präsenter zu sein und um von den politischen, kulturellen, musikalischen und gesellschaftlichen Subkulturen wahrgenommen zu werden.

Erhebungen, wie viele Menschen im Sendegebiet tatsächlich zuhören, gibt es nicht. Am Radiotest, der die Reichweite der österreichischen Radiosender hauptsächlich für Werbekunden ermittelt, nimmt der Sender nicht teil.

Martin Zellhofer

Radio Orange im Web


Das Freie Radio in Wien - im Raum Wien auf UKW 94.0, im Telekabel auf 92.7 und weltweit im Internet

Links:

Kommentare_

Thomas Thurner - 22.07.2009 : 19.36
Freut mich sehr, dass hier auch einmal die Namensentstehung zum Besten gegeben wird. Ja, es war oranges Creppapier (habe das Original noch zuhaus) und ja, es war Mischa Fischer, der da drauf gestarrt hat und den Namen erfunden hat.

Print
Kurt Bauer - Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen

"Wenn morgen, Montag, in einer oberösterreichischen Stadt mit einer Waffensuche begonnen wird (...)"

Am 12. Februar 2018 jährte sich der Aufstand von Teilen der österreichischen Sozialdemokratie gegen die Regierung Dollfuß zum 85. Mal. Das 2017 abgehängte Dollfuß-Porträt im Parlament, die heute noch nach Aufständischen benannten Plätze und Bauwerke, Gedenktafeln für die linken Kämpfer und die regelmäßige mediale Wiederkehr des Themas beweisen: Das Ereignis ist uns näher, als es auf den ersten Blick scheint.  

Stories
Distance Project - Trail Running Experience

Don´t stop!

"Meine Musik ist eine Danksagung an alle, die mir so viel schöne Momente durch ihre Musik schenken." Braucht es mehr Gründe, um eine Leidenschaft zu erklären? Folgen wir Hannes Zellhofer durch 30 Jahre musikalische Entwicklung.  

Stories
Claudia Sikora im Interview

"Ich kenne keinen Autor, der sich nicht für talentiert hält"

Die Schriftstellerin Claudia Sikora spricht mit Martin Zellhofer über Talent, Inhalte, Geld, den Buchmarkt, Social Media und Schildbürger.  

Print
Manfred Wieninger - St. Pöltner Straßennamen erzählen

Where the streets have a name

1034 St. Pöltner Straßen-, Gassen- und Platznamen klopft der Schriftsteller und Theodor-Kramer-Preisträger Manfred Wieninger in seinem Nachschlagewerk "St. Pöltner Straßennamen erzählen" auf deren Bedeutung ab. Eine trockene Materie? Gar nicht! Wieninger nimmt uns vielmehr mit auf eine informative Reise durch Raum und Zeit, Geschichte, Politik und Gesellschaft.  

Stories
Väterkarenz im Selbstversuch

"Die Mama bin ich, verdammt!"

Sag mir, wo die Väter sind ... denn während meiner Karenz sehe ich kaum welche. 19 Prozent der 2016 in Karenz weilenden Elternteile waren Väter. Viel ist das nicht. Dabei versäumen sie was!  

Stories
Wien - Salzburg, zu Fuß, über die Berge

Der Weg ist (nie) das Ziel

Martin Zellhofer will von Wien nach Salzburg: 50 Minuten mit dem Flugzeug, zwei Stunden 22 mit dem Zug, rund drei Stunden mit dem Auto, drei Wochen zu Fuß. Er wählt letzteres.