Akzente_Theater an der Wien: Pelléas et Melisande

Französisches Sittengemälde

Abseits vom Repertoire-Alltag werden an der Linken Wienzeile Schätze der Opernliteratur zum Leben erweckt: Mit der Aufführungsserie von Claude Debussys Werk behauptete man wieder einmal seinen Rang als wahrhaft erstes Opernhaus in Wien.    12.02.2009

Moralisten und sonstige Scheinheilige werden ihre Freude haben, wenn in Debussys Oper "Pelléas et Melisande" der eifersüchtige Ehemann Golaud seine geliebte Ehefrau Melisande und den vermeintlichen Nebenbuhler um die Ecke bringt. Interessant ist natürlich, daß die beiden Hauptdarsteller auch im wirklichen Leben ein Paar sind - hoffentlich kommen sie nicht auf schlechte Gedanken ...

Andererseits bringt einen Maurice Maeterlincks schwerfälliges Libretto kaum auf so abwegige Ideen; der von ihm tradierte Symbolismus verkommt hier mitunter zum Selbstzweck. Das als "französischer Tristan" bezeichnete Drama erzählt von einer "todgeweihten, verbotenen Liebe". Genau wie bei Tristan stirbt zuerst der männliche Teil und am Schluß die sogenannte "Fremdgeherin". Der von krankhafter Eifersucht gezeichnete Ehemann Golaud versucht noch kurz vor dem Tod seiner Melisande, ein Geständnis aus ihr herauszupressen.

Im Gegensatz zu Wagners "Tristan und Isolde" erzählt Maeterlinck die Handlung aber extrem schwerfällig und oft unlogisch. Die symbolischen Momente passieren dabei - wenn überhaupt - nur en passant. Der französische impressionistische Komponist Claude Debussy zaubert aus dieser Story ein grandioses Klanggemälde - das geht bei ihm soweit, daß er oft nur sekundenlange Momente in Töne verwandelt. Bei ihm gibt es zwar auch eine Motivik; die wird aber (im Gegensatz zu Wagner) oft nur in kurzen Taktabschnitten verwendet.

Debussy, der anfangs tatsächlich ein Wagner-Narr war, distanzierte sich in späteren Jahren deutlich vom deutschen Gottvater der Musik. Doch die Distanzierung gelang ihm bestenfalls äußerlich; bemerkenswerterweise zitiert er in "Pelléas" zweimal das Parsifal-Motiv (Parsifal als der "unbedarfte, reine Tor"). Debussys Meisterschaft wird bei der Instrumentierung hörbar, und das sogar mit einfachsten Mitteln - etwa im ersten Akt, wenn der Ring in den Brunnen fällt und das Harfenglissando das Wassergeplätscher darstellt. Freunde des Komponisten werden feststellen, daß bei der Schiffsszene im ersten Akt der französische Klangmaler ganze Passagen aus seiner Tondichtung "La mèr" (vor allem aus dem zweiten Satz "Jeux de vagues") antizipiert. Claude Debussy hatte ja stets eine große Affinität zum Meer und zum Wasser; er wollte als Kind Matrose werden.

 

Laurent Pelly stellte gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Chantal Thomas das Werk in ein düsteres, hochdepressives Ambiente. Symbolhaft verwendeten die beiden die Drehbühne als Zirkel des Lebens, der Liebe und des Todes: eindrucksvoll, wie mit einfachsten Mitteln eine großartige Wirkung erzeugt wurde.

Musikalisch war die Aufführung auf höchstem Niveau; vor allem die Herren sangen hervorragend. Ob Pelléas, Golaud oder vor allem Arkel - alle diese Rollen wurden aufs Großartigste interpretiert. Bei den beiden Damen der Oper war natürlich Natalie Dessay federführend. Sie brachte die Rolle ebenso eindringlich wie erschütternd und schaffte es, stimmliche Schwächen und flache Töne durch ihr berührendes Schauspiel zu kaschieren. Wer seinerzeit in der Wiener Staatsoper Frederica von Stande in der gleichen Rolle gehört hat, wird nicht zu Unrecht Vergleiche ziehen, die nicht nur positiv für Frau Dessay ausfallen. Beate Ritter ist in der Hosenrolle als Golauds Sohn Yniold nett anzusehen und -hören. Und Bertrand de Billy zeigt gemeinsam mit dem RSO-Orchester, daß er ein unbestrittener Meister des französischen Faches ist.

Mittlerweile ist das Theater an der Wien kein Geheimtip mehr; bevor man sich am Ring eine Repertoire-Aufführung auf einem Niveau zumutet, das die sprichwörtliche Provinz beleidigen würde, sollte man lieber direkt die Abzweigung bei der Operngasse in Richtung Wienzeile nehmen. Dort holt man sich statt Frust echten Kunstgenuß; schade, daß die Aufführungen immer nur so kurze Zeit laufen.

Herbert Hiess

Theater an der Wien: Pelléas et Melisande

ØØØØØ

Drama lyrique in fünf Akten (1902)

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Neuproduktion des Theater an der Wien

13. Bis 25. Jänner 2009/in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

 

Musik: Claude Debussy/Text: Maurice Maeterlinck

 

Musikalische Leitung: Bertrand de Billy

Inszenierung & Kostüme: Laurent Pelly

Bühne: Chantal Thomas

Licht: Joël Adam

 

Mélisande: Natalie Dessay

Pelléas: Stéphane Degout

Golaud: Laurent Naouri

Arkel: Phillip Ens

Geneviève: Marie-Nicole Lemieux

Médecin/Le berger: Tim Mirfin

Yniold: Beate Ritter

 

Radio-Symphonieorchester Wien

Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

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