Akzente_Osterklang 2010
Vorösterliche Musikfreuden
Zur Eröffnung des österlichen Festivals war dieses Mal - endlich! - Maestro Pierre Boulez im Wiener Musikverein zu erleben. Der 85jährige zeigte mit einem Programm der slawischen Spätromantik, was Souveränität am Dirigentenpult ist. Herbert Hiess berichtet von einer seltenen Lehrstunde in Orchesterarbeit und Interpretation.
23.04.2010
Den Anfang machte Igor Strawinsky; auf dem Programm standen die Bläser- und die Psalmensymphonie. Ersteres ist ein Werk, das sehr an die Tradition der Harmoniemusiken und die diversen Arrangements für Blasmusik erinnert. Strawinsky machte daraus eine knapp zehnminütige Studie, die er im Gedenken an Claude Debussy schrieb. Die Besetzung besteht aus 24 Instrumenten, wobei sogar eine Altklarinette und eine Altflöte mitwirken - bei aller Kürze ein mehr als beeindruckendes Stück, obwohl es sehr akademisch korrekt gehalten ist. Die Bläser der Wiener Philharmoniker waren hier ganz in ihrem Element, insbesondere die Oboen und Flöten.
Die "Psalmensymphonie" wiederum ist ein dreisätziges Werk - sakral, wenngleich ohne sonderliche Frömmelei. Nur für Bläser, Pauken, große Trommel, zwei Klaviere und tiefe Streicher gesetzt, fehlt ihm jegliche Süße. Beeindruckend ist der zweite Satz, mit einer Doppelfuge für Instrumente und Chor, und das "Alleluja" gegen Ende ist kein feierlicher Aufschrei, sondern bei dem russischen Komponisten eher ein verhaltener Gesang.
Meisterhaft, wie Boulez auch hier führte; weniger meisterhaft hingegen der Chor. Im Gegensatz zur folgenden Janacek-Messe gab es da ein paar (wenn auch kleine) Falscheinsätze und merkwürdige Intonationen. Störend war auch die zeitweise rudimentäre Artikulation - so mußte man sich etwa das "s" bei den Worten "sanctis" oder "nostro" dazudenken.
Nach der Pause erklang dann das Hauptwerk dieses Konzerts, die "Glagolitische Messe" ("Missa Glagolskaja") von Leos Janacek. Für den Komponisten standen dabei seinerzeit weniger die liturgischen als vielmehr nationale Aspekte im Vordergrund. Er hatte das Werk für alle slawischsprachigen Länder gedacht; die glagolitische Schrift - daher der Name - ist die älteste jenes Kulturkreises und bildete die Basis zur Darstellung sämtlicher slawischer Sprachen. Janacek vollendete die Messe erst 1927, ein Jahr vor seinem Tod. Musikalisch zitiert er aus den Höhepunkten seines Schaffens. Da hört man etwa bei einem Sopransolo deutlich die "Jenufa" heraus, dann wieder erinnern Passagen (vor allem die Intrada) an seine "Sinfonietta". Janacek ist jedenfalls einer der am meisten unterschätzten Komponisten; gut, daß sich jemand wie Pierre Boulez seiner Werke annimmt.
Die Aufführung war schon lange überfällig; die letzte mit den Philharmonikern gab es Ende der achtziger Jahre unter dem Dirigenten Riccardo Chailly, und auch nur anläßlich einer CD-Aufnahme. Boulez´ Interpretation war zweifellos eine der besten, die man je zu hören bekam. Mit einem exzellent studierten Chor, einem großartigen Solistenquartett und einem ebensolchen Organisten zelebrierte der Maestro die acht Sätze geradezu. Das Orchester war in (leider mittlerweile immer seltener werdender) Höchstform, selbst die komplexesten Rhythmus- und Harmoniewechsel wurden vollendet gespielt. Herausragend bei den Solisten waren die deutsche Sopranistin Evelyn Herlitzius und der tschechische Tenor Ladislav Elgr - vor allem ihn sollte man sich merken.
Schöner hätte Pierre Boulez seinen 85. Geburtstag - den er erst einen Tag vor diesem Konzert beging - wohl nicht feiern können. Mit seiner meisterhaften Souveränität zeigte er nebenbei, wie traurig es derzeit teilweise um den Rest der "Dirigentenszene" bestellt ist. Und doch ist er so bescheiden, daß man ihn beim Schlußapplaus unter all den Mitwirkenden fast nicht bemerkte. Mehr als höflich war es auch, den Chorleiter Johannes Prinz nach der "Psalmensymphonie" auf das Podium mitzunehmen (zumal die Chorleistungen vor der Pause, wie erwähnt, nicht übermäßig applauswürdig waren).
Wer die beiden Strawinsky-Werke formvollendet hören will, dem sei die 6-CD-Box der Deutschen Grammophon ans Herz gelegt: hier sind alle Strawinsky-Aufnahmen des französischen Maestros vereint. Wunderbar!
Herbert Hiess
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