Akzente_OsterKlang Festival 2008: Das Paradies und die Peri
Gefallene Engel
Vor zwölf Jahren gab Stardirigent Nikolaus Harnoncourt beim ersten OsterKlang-Festival den Takt an - und die Wiener Philharmoniker spielten brav alle Stückerln. Heuer will er sein Publikum für eine ganz besondere Rarität gewinnen. Leider gelingt ihm das nur bedingt ...
17.03.2008
Nikolaus Harnoncourt versteht sich nicht nur als Originalklangspezialist, sondern auch als Anwalt und "Retter" oft zu Recht vergessener Werke. Mit seiner Verbissenheit, Akribie und Detailverliebtheit schafft er es jedoch immer wieder, zumindest großartige Aufführungen zu gestalten - auch wenn vom Werk selbst beim Hörer nichts hängenbleibt.
So verhielt es sich auch beim Eröffnungskonzert des "OsterKlang 2008"-Festivals im Wiener Musikverein. Auf dem Programm stand das (szenische) Oratorium "Das Paradies und die Peri" von Robert Schumann - ein aus drei Teilen bestehendes Stück, das auf einer poetischen Erzählung des irischen Dichters Thomas Moore basiert. Schumanns Freund Emil Flechsig übersetzte den Text und übergab ihn seinem Komponistenfreund.
Leider ist die gemeinsam mit Schumann entstandene musikalische und textliche Übertragung genauso sperrig wie die Handlung: Die drei Teile erzählen die Geschichte von Peri, einem gefallenen Engel, der aufgrund eines Fehltritts aus der himmlischen Gemeinschaft ausgeschlossen wird. Nun sucht er einen Rückweg ins Paradies. Seine Aufgabe ist es, "des Himmels liebste Gabe" zu finden. Diese stellt sich letztlich als die Reue eines bekehrten Sünders heraus.
Der Erlösungsgedanke des Stücks paßt zwar durchaus zum "OsterKlang" - doch "unmusikalischer" kann man sich einen Text zu einem Oratorium gar nicht vorstellen. Es ist beinahe ein Festtagswunder, daß Robert Schumann die Musik trotzdem gekonnt dazu sprechen läßt.
Das Orchester weist hier die typische Besetzung eines romantischen Chorwerks auf; dazu gesellen sich ein großer Chor sowie sieben Solisten aufs Podium (kein Zufall - sieben ist bekanntlich eine heilige Zahl). Interessanterweise finden sich im Orchester Janitscharen-Instrumente (große Trommel, Becken, Triangel), was aufgrund der orientalisch-indischen Elemente auch angemessen erscheint.
In punkto Komposition muß man an die Anekdote denken, in der ein Komponist zu einem Rivalen sagt: "Bei Ihrem Stück kommt man sich vor wie bei einem Spaziergang auf einer Kurpromenade. Man trifft lauter bekannte Gesichter." Anleihen begegnet man in diesem Stück tatsächlich mehr als genug - vor allem an Werke von Schumanns Kollegen Felix Mendelssohn-Bartholdy. Da grüßt der "Sommernachtstraum", man hört plötzlich Choralansätze der "Lobgesang"-Symphonie, und gelegentlich "stiehlt" Schumann sogar von eigenen Werken. Der Schluß des ersten Teils ist fast identisch mit den Schlußtakten seiner Symphonie Nr. 2 in C-Dur; bei einer Baritonarie hört man wiederum die vertrauten Klänge von Oboe und Chello aus dem zweiten Satz der Symphonie Nr. 4 in d-moll.
Wenn jedoch Nikolaus Harnoncourt mit seiner berühmt-berüchtigten Verbissenheit ein solches Werk anfaßt, kann man sich auf eine spannende, detailgetreue und hochinteressante Wiedergabe freuen. Es ist beeindruckend, wie die Wiener Philharmoniker ihn beim Auskosten jeder Nuance unterstützen. Großartige Virtuosität war auch von Seiten der Holzbläser und Streicher zu spüren - vor allem der Bratschen, die die "undankbare" Aufgabe haben, fast das ganze Stück lang die schwierigsten Begleitfiguren zu spielen.
Die sieben Solisten sangen ebenfalls eindrucksvoll - allen voran das Opern-Pin-up Annette Dasch als gefallener Engel Peri. Sie hat eine schöne und glockenhelle Sopranstimme; gegen Schluß klang sie allerdings schon etwas müde und angestrengt.
Fast könnte ihr Mojca Erdmann als Jungfrau den Rang ablaufen, da ihr Sopran mindestens ebenso eindrucksvoll ist. Auch Elisabeth Kulman mit ihrem sonoren Alt wird man sich merken müssen. Die restlichen Solisten waren bis auf Christoph Strehl recht gut. Strehl hat eine sehr fahle Stimme, die er wenigstens als Erzähler intelligenter einsetzen hätte können. Katastrophal war auch seine Aussprache; hätte er Suaheli gesungen, wäre das wahrscheinlich niemandem aufgefallen ... Christian Gerhaher demonstrierte seinen Kollegen und dem Publikum dankenswerterweise, wie sich eine gute Diktion anhört.
Qualitativ solide, in Gesang und Aussprache jedoch blamabel waren die Damen und Herren vom Arnold-Schoenberg-Chor. Ohne immer wieder mit den gleichen Dingen "beckmessern" zu wollen - aber könnte man von einem muttersprachlich deutschen Chor nicht zumindest eine halbwegs verständliche Aussprache fordern, Herr Professor Ortner?
Herbert Hiess
Kommentare_
Kritiken dürfen ruhig ein bisschen boshaft sein, wenn sie kenntnisreich sind. Aber sich an mehr als 150 Jahren immer noch an Schumanns Oratorium als solchem zu stoßen, ohne zu bemerken, dass der in seiner Musiksprache sonst eher konservative Komponist hier innovativ die Formen sprengt, zeugt von letzterem leider nicht. Es ist die Produktivität der romantischen Kunstreligion, die ihn zu formalen Experimenten brachte, die erst Wagner dann später übertreffen sollte.
an Herrn Univ
Univ.-Prof. Dr. H. R. Seeliger
Kritiken dürfen ruhig ein bisschen boshaft sein, wenn sie kenntnisreich sind.
Was ist schon Kenntnis - reichen fünf Jahre Musikstudium nicht für Sie?
Aber sich an mehr als 150 Jahren immer noch an Schumanns Oratorium als solchem zu stoßen, ohne zu bemerken, dass der in seiner Musiksprache sonst eher konservative Komponist hier innovativ die Formen sprengt, zeugt von letzterem leider nicht. Es ist die Produktivität der romantischen Kunstreligion, die ihn zu formalen Experimenten brachte, die erst Wagner dann später übertreffen sollte.
Ich kenne wenige romantische Komponisten, die bei so vielen Werken die Formen gesprengt haben. Denken Sie an die 2. Symphonie in C-Dur. Wo hat ein Komponist sonst so frei seine eigenen Themen in allen Sätzen durcheinander (und trotzdem einzigartig kunstvoll) zitiert. Oder in der 4. Symphonie in d-moll. Leonard Bernstein hat mir selbst gesagt, dass er diese Symphonie als einsätziges Werk sieht. Aber zurück zu unserem gefallenen "Engel". Ich habe nicht wirklich Schumanns Werk runtergemacht. Obwohl er selbst die "Peri" als sein größtes Werk bezeichnet hat; mir (und vielen anderen) hat es wenig gesagt; der Text strotzt nur so vor Banalität. Im Gegenteil - Schumann hat (wenn Sie die Rezension genau lesen) das Werk noch massiv aufgewertet. Was aber leider in dem Fall noch immer nur die "halbe Miete" ist.