Akzente_La Grande-Duchesse de Gérolstein
Die Diva und ihre Vasallen
Das Theater an der Wien hatte das Glück, in einer konzertanten Aufführung die Basler Produktion der Operette "La Grande-Duchesse de Gérolstein" von Jacques Offenbach präsentieren zu können. Das Glück bestand nicht zuletzt darin, dem Publikum auf diesem Wege eine Christoph-Marthaler-Regie erspart zu haben ...
15.03.2010
Christoph Marthaler ist in Bezug auf Jacques Offenbach kein unbeschriebenes Blatt. Schon 1998 inszenierte er anläßlich der Wiener Festwochen im Burgtheater "La Vie Parisienne" - eine Veranstaltung, die der EVOLVER-Klassikexperte schon zur Halbzeit fluchtartig verlassen mußte, um keinen Schreikrampf zu bekommen.
Auch die aktuelle Basler Aufführung dürfte, sagen wir, manchen Feuilletonisten gefallen haben; jedenfalls, soweit man das anhand von Szenenphotos und Video beurteilen kann (Links dazu im Anhang).
Aber Geschmäcker und Ohrfeigen sind ja bekanntlich verschieden. Die Wiener Version war insofern entschärft, als es sich um eine konzertante Aufführung handelte - beziehungsweise eine semikonzertante, wie man das zu nennen pflegt. In diesem Fall befand sich das Orchester auf der Bühne, der Chor war kostümiert links dahinter, und die Solisten - ebenfalls im Kostüm - standen vorne an der Rampe. Sogar Dirigent Hervé Niquet mußte in Uniform antreten. Der Handschrift Marthalers entgeht man eben nicht so leicht ...
"La Grande-Duchesse der Gerolstein" wurde am 12. April 1867 anläßlich der Pariser Weltausstellung im Théatre des Varietés uraufgeführt und kam am 13. Mai desselben Jahres ins Theater an der Wien. Jacques Offenbach, ein gebürtiger Kölner mit Wahlheimat Paris, traf damals mit seinen Kompositionen offenbar genau den Geschmack der Zeit: die dekadente Stimmung Frankreichs in der untergehenden Monarchie. Seine Polkas, Couplets und Cancans rissen die Leute geradezu von den Sitzen.
Auch bei der heurigen Aufführung gab es stürmische Beifallskundgebungen. Zu Recht: Das Basler Orchester präsentierte sich in bester Form, und der Chor war ausgezeichnet. Ein wenig seltsam wirkte allerdings, daß nach der Pause plötzlich alle Sänger Notenpulte vor der Nase stehen hatten und wie gebannt in die Blätter starrten - wenn man bedenkt, daß die guten Leute das Stück seit Ende Dezember aufführten, konnte man nur hoffen, daß sie wenigstens in Basel keine Noten gebraucht haben. Aber zumindest im ersten Teil machten die Künstler das Podium zur Bühne und spielten einfach mitreißend.
Die Solisten waren ebenfalls recht ordentlich - wenngleich sämtlich überstrahlt von der grandiosen Anne Sofie von Otter.
Die gebürtige Schwedin ist eine Diva, wie man sie sich vorstellt und vor allem wünscht. Mit ihrem Auftreten stellt sie alle anderen Rampenläufer in den Schatten und zeigt, was vielen anderen Sängern fehlt. Gute Technik mag manch einer haben, doch den meisten mangelt es an Ausstrahlung, Bühnenpräsenz und jener persönlichen Diktion, die das Unverwechselbare einer Stimme ausmacht.
Und so erfüllte von Otter auch diesmal alle Erwartungen und war jeden Applaus wert. Traumhaft, wie mit welch gesunder Ironie sie die Fürstin spielte; zudem klang ihre Stimme fast unverbraucht. Es ist einfach immer wieder eine Freude, ihr zuhören zu dürfen.
Lediglich im Programmheft gab es einen groben Schnitzer. In der Besetzungsliste wurden die Künstler nämlich mit ihren Stimmlagen angeführt, statt - wie es sich für Theaterprogramme eigentlich gehört - mit ihren Rollen. Nun, bei den beiden Damen konnte man sich ja noch zusammenreimen, wer wer war. Aber bei den Herren durfte man das schöne Zuordnungsspiel Photo-zu-Name machen; natürlich mußte man dafür genau den Textteil mitlesen ... ein Gehirn-Jogging der besonderen Art.
Herbert Hiess
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