Akzente_Wiener Festwochen 2009: Der zerbrochne Krug
Der Krug war sein Schicksal
Ein Krug als Symbol des Lebens(-glücks) und die Justiz als verkommener und korrupter Apparat - beide Sujets vereinte Heinrich von Kleist in seinem genialen Lustspiel. Klaus Maria Brandauer spielte im Rahmen der Wiener Festwochen unter der Regie von Peter Stein den ungustiösen Dorfrichter Adam. Der EVOLVER-Klassikexperte war zur Abwechslung einmal nicht-musikalisch für Sie dabei.
09.06.2009
Heinrich von Kleists ließ sich durch einen Kupferstich des französischen Malers Jean Jacques Le Veau mit dem Titel "Le juge, ou la cruche cassée" ("Das Gericht oder der zerbrochene Krug") zu seinem Theaterstück inspirieren und machte daraus eine grandiose, zutiefst menschliche Persiflage auf die Justiz und die Menschheit an sich.
Die Geschichte ist so einfach wie genial. Ein alter, unappetitlicher Dorfrichter namens Adam soll einen Kriminalfall verhandeln: Die Mutter des Mädchens Eve beschuldigt deren Verlobten Veit Tümpel, einen Krug zerbrochen zu haben. In den dichten zwei Bühnenstunden stellt sich immer mehr heraus, daß Adam Eve verführen wollte, indem er ihr dafür zu sorgen versprach, daß Veit nicht zum Militär muß. Letztlich war die ganze Geschichte erlogen, Veit erwischte Adam in Eves Zimmer und zog ihm mit einer Türklinke eins über dem Schädel. Die Moral von der Geschichte ist, daß Adam eigentlich über sich selbst richten sollte.
Eisige Schauer laufen einem über den Rücken, wenn man plötzlich auf die Zeitlosigkeit der Geschichte gestoßen wird. Man blicke beispielsweise auf die Justiz der Steiermark, wo zuletzt drei recht merkwürdige Fälle von Rechtssprechung für Verwirrung sorgten. Da wäre zum einen die Affäre um den deutschen Provinzpolitiker, dem man nach einer fahrlässigen Tötung einen sanften Prozeß arrangierte; zum anderen der politisch motivierte und schwächlich konstruierte Prozeß plus Urteil gegen Dr. Susanne Winter; und zum Drüberstreuen die Verhandlung gegen Ludwig Koch (Natascha Kampuschs Vater), der nach einer verständlichen emotionellen Reaktion wegen "Nötigung" zu zwei Monaten bedingt verurteilt wurde (Zur Relation: Der Mörder des Wiener Politikers Gottfried Natschläger bekam ganze drei Monate!).
Aber genug von der grauslichen heimischen Realität - und zurück zum genialen Spiel Klaus Maria Brandauers als ungustiöser Adam auf der Bühne. Brandauer und das gesamte Berliner Ensemble konnten unter Peter Steins superber Regie brillieren. Wenn man den Text einmal auf Papier gelesen hat, kann man sich vorstellen, wie schwierig der Adam auf der Bühne umzusetzen ist. Brandauer spielte den zynischen, alten geilen Bock perfekt; dazu kommt noch das gelungene Make-up der Visagisten. Unter Steins brillanter Spielführung vergingen die mehr als zwei Stunden wie im Fluge. Gut, daß auch keine Pause das Stück unterbrach, das hätte die Dichte und die Spannung zerstört.
Hut ab vor dem Berliner Ensemble - schon allein wegen des Programmhefts. Im Vergleich zu den Schriften, die man hierzulande oft erhält, ist das schwarze Heft aus Berlin geradezu ein umfassendes Kompendium mit diversen gelungenen Aufsätzen und Texten.
Der Krug und Schicksal? Interessanterweise dient das Gefäß des Anstoßes nicht nur als Metapher für Glück, Gesundheit etc. – fatal wird es, wenn man sich Kleists Biographie betrachtet. In seinem bewegten Leben hatte er mehrere Liebschaften; seine letzte endete im zarten Alter von 34 Jahren mit einem Doppelselbstmord. Erst erschoß er seine krebskranke Lebensgefährtin Henriette Vogel und dann sich selbst - und zwar im Gasthaus zum "Neuen Krug" am Kleinen Wannsee bei Berlin.
Herbert Hiess
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