Akzente_Leos Janácek - Katja Kabanova
Höllenfahrt an der Wolga
Abseits der immer häufiger abgehaltenen Kultur-"Events" findet im Theater an der Wien ein wahres Opernfest statt: Das Haus präsentiert zur Zeit ein Janácek-Meisterwerk als wahrhafte Sternstunde. Wer diese Oper in einer unvergeßlichen Aufführung genießen will, hat dazu noch bis zum 24. April 2008 Zeit.
22.04.2008
Zuerst eine Scherzfrage mit ernstem Hintergrund: Was zeichnet heute einen hervorragenden Regisseur oder Dirigenten aus? Ganz einfach: Man wird ihn möglicherweise nie in der Staatsoper sehen ...
Wer zwei solcher Künstler - Maestro Kyrill Petrenko und Regisseur Keith Warner - erleben will, sollte schnell ins Theater an der Wien pilgern und sich Karten für eine der hervorragendsten, spannendsten und beeindruckendsten Aufführungen der jüngeren Vergangenheit sichern. Gezeigt wird die Oper "Katja Kabanova" des mährischen Komponisten Leos Janácek, die vom Team Petrenko/Warner speziell für das Haus produziert wurde. Und bei der Produktion wird jeden auch noch so abgebrühten und routinierten (Opern-)Spezialisten der "Gänsehautfaktor" ereilen ...
Das Werk zeigt das zum Scheitern verurteilte Beziehungsgeflecht innerhalb einer Familie, die von Anja Silja (Kabanicha) als Mutter, Raimond Very (Tichon) als Sohn und Melanie Diener (Katja Kabanova) als Schwiegertochter dargestellt wird. Tichon wird total von seiner Mutter kontrolliert; sie sieht in Katja ihre ärgste Feindin und Rivalin - was soweit geht, daß Tichon zusieht, wie die Mutter seine Frau in den Wahnsinn und schließlich in den Freitod treibt.
Regisseur Warner versteht es, mit einfachsten Mitteln inmitten eines genialen Bühnenbilds die Symbolik dieses klassischen (fast ödipalen) Dreiecksverhältnisses mehr als packend auf die Bühne zu bringen. Die Wolga als Lebenslinie, als zu überwindendes Hindernis einer verbotenen Liaison, letzlich als todbringendes Gewässer, ist in diesem Stück - hervorragend auf der Bühne umgesetzt - das Zentrum. Schon zu Beginn der Oper sieht man den Selbstmord von Katja, die ihr Kleid auszieht - das dann bis zur Bühnenrampe "schwimmt". Da die Oper bei offener Bühne ohne Pause gespielt wird, bleibt das Kleid als Symbol von Katjas Freitod auch bis zum Ende dort liegen. Thrillermäßig ist dann der Schluß, bei dem Katja in schönsten Farben im Boden verschwindet und kurz darauf ihre Schwiegermutter unter Feuer zur Hölle fährt.
Der Ton paßt perfekt zum Bild. Janácek hat auch diese Oper so superb instrumentiert, daß die Musik jede Gefühlsregung, jede Stimmung in schillerndsten Farben hören und spüren läßt. Niemand konnte das bisher besser umsetzen als Petrenko, der hier ein wahres Wunderwerk an Klängen und Klangfarben aus dem RSO-Orchester zaubert. Dirigent und Orchester ziehen alle Register ihrer Kunst - vom zartesten Piano bis zum enormen Fortissimo (z. B. bei der Höllenfahrt).
Wenn sich der neue Wiener Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst tatsächlich schon 2010 an dieser Oper versuchen will, wird er wohl vor einer unerreichbar hohen Hürde stehen. Heute jedenfalls muß sich der Opernfreund vom Staatstheater am Ring abwenden, wenn er ordentliches Musiktheater erleben will - und das ist traurig. Noch trauriger ist allerdings die Tatsache, daß diese "Katja Kabanova" nach sechs Aufführungen verschwindet, ohne medial abgefeiert worden zu sein.
Herbert Hiess
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