Akzente_Grafenegg 2008: Johannes-Passion
Reise ins Paradies
John Eliot Gardiner bescherte dem Publikum in Grafenegg im Rahmen des Kulturfestivals eine Lehrstunde in Sachen Bach: Selten war eine "Johannes-Passion" so zu hören wie am 28. August.
02.09.2008
Die zweite Saison des Musikfests im Schloß Grafenegg ist gerade in vollem Gange - und erfreulicherweise ist dieses Fest ein fixer Bestandteil der Kulturszene geworden. Daß es auf dem Konzertsektor mittlerweile sogar die Salzburger Festspiele in den Schatten stellt, sei nur nebenbei erwähnt.
Am Abend des 28. August 2008 bescherte Sir John Eliot Gardiner den Zuhörern eine Sternstunde mit Johann Sebastian Bachs "Johannes-Passion". Mit seinen English Baroque Soloists und dem unvergleichlichen Monteverdi Choir gaben die Künstler ihren Einstand in der niederösterreichischen Ortschaft am Wagram.
Bachs Oratorium ist eine Vertonung des Johannes-Evangeliums und beschreibt die Leiden Christi bis hin zur Kreuzigung und Grablegung. Im Vergleich zur "Matthäus-Passion" ist das Werk geraffter und fast opernhaft; bildhaft erzählen Evangelist, Solisten, Chor und Orchester Christis Leidensgeschichte. Überraschungseffekte erreicht Bach dabei durch den Einsatz von Instrumenten wie beispielsweise Laute und Oboe da Caccia.
Gardiners Interpretation klingt von Anfang an natürlich und ist auf Transparenz, Klarheit und Ausdruck aufgebaut. Effekte ergeben sich dabei ganz von alleine - wenn beispielsweise die Celli den Sturm nach der Kreuzigung darstellen. Gardiners Ensembles sind weltweit einzigartig, wie sie auch an diesem Abend wieder beweisen. Es ist nahezu unglaublich, daß ein Chor mit bloß 24 Personen ein so enormes Klangvolumen erzeugen kann, das aber nie zu Lasten der Transparenz geht.
Bei den Sängern ist jeder für sich ein "gestandener" Solist, wie bei den einzelnen Arien zu hören war. Mark Padmore als Evangelist steht und singt mitten im Chor - als ob er "nur" einfaches Chormitglied wäre; dabei ist er ein Tenor von Weltrang. Wie er die Phrasen ansingt - ob leises Flüstern, weinendes Klagen oder aggressiver Ruf -, das macht ihm niemand so schnell nach. Wenn ihn viele seiner falsettierenden "Tenorkollegen" hören würden, müßten sie ihre Stimme bei der nächsten Nationalratswahl abgeben und nie wieder einsetzen. Schade auch, daß gerade diese "Don Falsettos" medial im Feuilleton herumgereicht werden wie ein Wanderpokal und man die wirklich guten nicht einmal ignoriert ...
Genauso müßten die hochgelobten Wiener Chöre sofort ihre Arbeit einstellen, wenn sie dem Monteverdi Choir lauschen könnten. Doch die Wiener Kulturmafia ist offenbar so stark und mächtig (gemeinsam mit dem Feuilleton), daß sie bisher Gardiner - auch als Dirigent - und sein Ensemble nach einigen brillanten Auftritten in Wien erfolgreich verhindert haben.
Da fällt leider auch der von den Medien totgeschwiegene Auftritt vergangene Saison im Konzerthaus nicht ins Gewicht. Und daß die Philharmoniker sich derart von Gardiner distanzieren, ist für echte Musikkenner ein großer Schaden. Des Maestros britische Gelassenheit und Direktheit war vielen der Musiker offenbar ein Dorn im Auge; sogar in der Wiener Oper mobbte man ihn nach seinem (in jeder Hinsicht) einmaligen Auftritt bei der "Lustigen Witwe" mehr oder minder hinaus.
Deswegen sei Grafenegg und seinem Intendanten Buchbinder an dieser Stelle herzlicher Dank ausgesprochen - nicht nur für dieses grandiose Konzert, sondern auch für ihre mutige Kulturpolitik.
Herbert Hiess
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