Akzente_Donaufestival 06: Mike Patton Night

Warten auf Autechre

Der zweite Abend des Donaufestivals, die "Mike Patton Night", versank dank schlechtem Live-Sound und mangelnder Hygiene fast im Schmutz. Schade, denn die fünf Bands waren superb.    26.04.2006

Das Line-up hatte es in sich: Zu, Bohren & der Club of Gore, Taraf de Haidouks, The Fantomas Melvins Big Band und als krönender Abschluß die Erfinder des IDM, Autechre. Krems ist zwar nicht weit von Wien entfernt, doch nur wenige Elektronik-Enthusiasten nahmen die Anreise auf sich, um Autechre live zu sehen. Dazu muß man wissen, daß die Band so gut wie nie live spielt, schon gar nicht bei uns - eine echte Sensation also. Und wem das noch nicht kultig genug war, der durfte sich noch dazu auf Melvins und Bohren freuen.

Pünktlich nach Plan startete die erste Performance um 20 Uhr. Zu sorgten gleich zu Beginn des von Mike Patton kuratierten Abends für Kopfschmerzen. Das lag nicht daran, daß die Musiker nicht spielen können - ganz im Gegenteil, vielmehr war dafür eine entsetzlich schlecht eingestellte Anlage verantwortlich. Die Bässe dröhnten, die Höhen zischten, und so verwandelte sich der perfekt gespielte Jazz-Punk der italienischen Combo in liebloses Gekreische.

 

Ganz sachte begannen danach Bohren & der Club of Gore ihre meditativen Drones und Mantras. Das Gemurmel der Besucher war mitunter lauter als das auf der Bühne dargebotene Sezieren analoger Töne. Das dürfte auch der Tontechniker am Mischpult mitbekommen haben, da er schon ab der zweiten Nummer den Pegel deutlich anhob. Das war der entscheidende Fehler. Bei Bohren kommt es nämlich nicht auf Lautstärke an, sondern auf die fraktalen Pausen zwischen den angespielten Instrumenten und das differenzierte Wahrnehmen ihrer langsam ausklingenden Synkopen, die sich atmend heben und senken wie der Brustkorb eines urzeitlichen Giganten.

Bohren würden sich auch im Musikvereinssaal bei einem Sitzkonzert genießen lassen. Das kammermusikartige Zusammenspiel der beiden Bässe, des Schlagwerks und des neuerdings beigefügten Fender Rhodes sowie Saxophons lassen diese Vorstellung nicht abwegig erscheinen. Doch am Donaufestival war von dem Zauber, den Bohren auf ihren Alben verbreiten, nichts zu bemerken. Die Bässe hatten keine Kontur, die Mitten standen flach im Vordergrund, und die Höhen, bei Fender Rhodes immer eine heikle Angelegenheit, schwirrten schrill und spitz über dem Dröhnen. Wir hätten gerne mehr gehört.

 

Taraf de Haidouks, die verrückten Zigeuner, rissen innerhalb des Bruchteils einer Sekunde die Zuschauer aus ihrer durch Bohren ausgelösten Valium-Lethargie. Die schnellsten Violinen der Welt, die schrulligsten Barden Europas - man könnte unzählige Superlative aufzählen. Hier war der Sound plötzlich viel besser oder, anders gesagt: zum ersten Mal gut. Nach den betont langsamen Bohren wirkten Taraf wie ein Jungbrunnen - und das, obwohl einige der Protagonisten schon ältere Herren sind. Von soviel Lebensfreude und positiver Energie wurde das Publikum völlig mitgerissen. Auch Rob Brown und Sean Booth alias Autechre befanden sich – wie üblich unerkannt – unter den Zusehern und amüsierten sich prächtig. Beruhigend, daß Autechre auch lachen können.

 

Mike Patton ist bestimmt der umtriebigste Stimmakrobat unserer Zeit; zahllose Kollaborationen und CDs im Bereich ungehörter Experimente markieren seine Entwicklung seit dem Split von Faith No More. Er sieht aus wie ein altgewordener Popper im Matrosenlook mit Schnauzbart und Goldkette um den Hals. Doch als er mit den Melvins, die das Herz der Fantomas Melvins Big Band darstellen, auf der Bühne steht, verwandelt er sich sprichwörtlich in Fantomas, den Mann der tausend Gesichter. Wie ein verrücktgewordener Diktator gibt er den Musikern wild gestikulierend Einsatzbefehle, dabei schreit, quietscht, gurrt, schnarrt und grunzt er ohrenbetäubend oder flüstert, verstellt seine Stimme, wird zur Micky Maus und während all dem verzerrt er sein Gesicht wie in alten Stummfilmen.

Das Spektakel ist jedoch eine zwiespältige Angelegenheit. Die Melvins mit King Buzzo an der Spitze sind dazu verdammt, im Hintergrund zu bleiben, und die exzellenten Gitarrensoli werden regelmäßig vom manischen Selbstdarsteller Patton brachial überbrüllt. Wie erwartet kamen die vielen angereisten Melvins-Fans bei Stücken von "Stonerwitch" und "Houdini" besonders auf ihre Rechnung. Allerdings erwies sich bei diesen kohärenten Passagen Pattons Agitationswahnsinn als eher störend. Der Mann zappelte auf der Bühne herum und versuchte mit seinem kreischenden Organ die Outbursts von King Buzzo zu überschreien - eine schizophrene Mischung, die nicht bei jedem gut ankam. Unverständlich bleibt weiters, warum die Band auf die üblicherweise begleitenden Filme verzichtete, obwohl links und rechts von der Bühne zwei Leinwände gespannt waren. Übrigens kamen diese bei keiner der Darbietungen zum Einsatz, lediglich in den Pausen lief darauf ein bißchen Eigenwerbung. Nach einer Zugabe verabschiedeten sich die Musiker, und es kam Hoffnung auf, nun endlich Autechre sehen und hören zu dürfen.

 

Als die Elektroniker aber gegen zwei Uhr (und nach einstündiger Umbaupause) auf die Bühne kamen, bot sich ihnen ein sonderbarer Anblick. Von den 1500 Gästen waren vielleicht nur noch 200 übrig, dafür leuchtete der Boden weiß von tausenden Plastikbechern. Selbstverständlich bleibt in den Bechern auch immer ein kleiner Rest Flüssigkeit übrig. Und viele kleine Reste bilden einen schön feuchten und klebrigen Belag. Wer nun tanzen wollte, mußte zu seinem Bedauern feststellen, daß seine Schuhe am Boden hafteten. Ganz abgesehen davon wäre in der unzumutbar langen Pause genug Zeit gewesen, den Boden zumindest von den Bechern zu befreien.

Unbeirrt von solchen Kalamitäten spielten Autechre ein souveränes einstündiges Set, bestehend aus den neuesten Tracks aus ihrem Soundlabor/Laptop. Sie entpuppten sich als der einzige echte Avantgarde-Beitrag der "Mike Patton Night". Hyperfuturistische Sounds und Autechres typische, ineinandergeschachtelte Patterns ließen die Beine der übriggebliebenen Besucher wohlig zucken. Der Live-Sound war sensationell.

Na bitte, es geht doch! Das lange Warten hatte sich doch noch gelohnt, und die in den Bauch gestandenen Beine durften sich wenigstens während der nächtlichen Autobahnfahrt nach Hause ein bißchen erholen.

Ernst Meyer

Donaufestival 2006


Krems, Korneuburg

 

20. April-6. Mai 2006

 

Fotos: (c) Florian Wieser

 

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