Akzente_Invincible Austria College
Levitating Lynch
Meditieren statt Komatrinken: Vor kurzem fand sich David Lynch im Wiener Gartenbaukino ein. Dort sprach der exzentrische Regisseur über sein Modell für den Weltfrieden und beantwortete Publikumsfragen. Tina Glaser war für den EVOLVER vor Ort, um Lynchs Ausführungen in Sachen transzendentale Erziehung zu lauschen. Vergessen Sie die Gesamtschule ...
23.11.2007
David Lynch spaltet das Publikum. Spätestens seit "Blue Velvet" (1986) wird sein Werk äußerst kontroversiell diskutiert. Heute sind seine Filme rätselhafter denn je; "Inland Empire "(2007) ließ sogar eingefleischte Fans staunen.
Wie man nicht nur daran sieht, hat sich Lynch offenbar vom letzten unnötigen Ballast befreit - und das alles mit Hilfe einer Technik, die sich Transzendentale Meditation, kurz TM, nennt. In den siebziger Jahren kam er durch seine Schwester mit TM in Berührung, seither praktiziert er täglich. Die TM ist eine große Hilfe auf dem steinigen Pflaster Hollywoods, wo jeder jedem Böses will, so Lynch. Man könne sich damit von Ängsten lösen und die Kreativität voll ausschöpfen ...
2005 hatte Lynch dann die Idee zur Gründung einer Foundation, um die Technik der TM vor allem im schulischen Bereich stärker bekannt zu machen. Er startete eine Promotion-Tour durch verschiedene Universitäts- und Schulbetriebe der USA. Dabei geht es vor allem darum, die Ausübung der TM in den Lehrplan zu integrieren, damit die Aufnahmekapazität der Schüler zu erweitern und gleichzeitig den Lernstreß abzubauen. Passend dazu veröffentlichte er heuer das Buch "Catching the Big Fish. Meditation, Consciousness and Creativity".
Am 11. November verschlug es ihn mit seinem neuen Lieblingsthema schließlich nach Wien.
Nach kurzfristiger Ankündigung (wie Viennale-Direktor Hans Hurch einleitend bemerkte) hatte man im Rahmen einer Matinee im Wiener Gartenbaukino die Gelegenheit, David Lynch Fragen zu stellen.
Zwar wirkte alles etwas improvisiert, doch tat das der Freude der Fans natürlich keinen Abbruch. In der Presseaussendung standen neben Lynchs Namen noch die von Quantenphysiker John Hagelin sowie von Dr. Bevan Morris, dem Präsidenten der Maharishi University of Management in den USA. Auf der Bühne steht dann aber doch nur David Lynch.
In der Eingangshalle könnte man zu den schaurig-süßen Klängen aus "Twin Peaks" in Tränen ausbrechen oder in Trance verfallen. Beides würde Lynch sicher gut gefallen, aber dazu ist es hier eindeutig zu voll. Kurz vor dem Einlaß haben sich unzählige Leute versammelt. Die Überlegung, was man David Lynch fragen könnte, kreist im Raum. Das ist auch gut so, da Lynch sympathischerweise keine Rede vorbereitet hat, sondern nur auf Fragen antworten will.
Anfangs geht es hauptsächlich um die verschiedenen Filme und Themen wie Zeit, Ideen, Oberfläche und so weiter. Man könnte fast vergessen, daß man vor dem Kinosaal noch schnell ein Blatt mit der Aufschrift "David-Lynch-Stiftung für bewußtseinsbasierte Erziehung und Weltfrieden" mitgenommen hat. Eigentlich ist Lynch ja in Wien, um zur Errichtung eines "Invincible Austria College" beizutragen. Und Invincible heißt bekanntlich unbesiegbar. Was hat es damit auf sich - will der Mann in unserem Lande Superhelden heranziehen?
Die Antwort auf solche Fragen scheint jedoch keinen so recht zu interessieren. Auch Lynch selbst bleibt vage. Er spricht nicht direkt über die David Lynch Foundation, sondern beantwortet scheinbar nur die Fragen des Publikums. In seinen Antworten steckt nämlich meistens indirekt eine Botschaft, die sich ungefähr so anhört wie: "The deepest level of life is peace, a dynamic peace that dissolves negativities."
Diesen Frieden, so Lynch, erreiche man eben durch die Transzendentale Meditation. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden - doch soll etwas Privates allgemeine Gültigkeit in Form eines Erziehungsprogramms erhalten, sieht die Sache doch etwas anders aus. Da will man ein bißchen mehr erfahren als eine sich stetig steigernde Synonym- oder Superlativkette, "super power, infinite power, infinite love ..." etc. pp.
Auch die verschiedenen einschlägigen Websites bleiben in ihrer Argumentation übrigens äußerst schwammig bis naiv. Politische Systeme wie Monarchie und Diktatur werden hier etwa ebenso wie demokratische Systeme dazu eingeladen, mit Hilfe der Transzendentalen Meditation zur Unbesiegbarkeit aufzusteigen. Da kommt man schon ins Grübeln. Menschliche Fehler und Schwächen sind anscheinend der Grund für die Unzufriedenheit in der Welt. Gut möglich - wenn man damit den Willen der Menschen zur Macht, zur Ausbeutung und Unterdrückung von Schwächeren meint. Daß dieser Wille zur Ausbeutung sich gerade in unserem neoliberalen Wirtschaftsystem wiederfindet und die Steigerung der Leistungsfähigkeit durch die Transzendentale Meditation auf Bildungsebene genau diesem System in die Hände spielt, sollte Lynch vielleicht einmal jemand sagen.
Möglicherweise weiß er es aber schon. Warum hätte er sonst einen Politiker wie Nicolas Sarkozy treffen sollen, der - ob es Lynch nun so wollte oder nicht - die Kreativität des Regisseurs als maximalen Leistungswillen interpretierte und dann Sätze wie "Die Unbesiegbarkeit, nur diese eine Sache, will ich exklusiv haben" von sich gab?
So unverständlich dies alles zunächst erscheinen mag, so wenig überraschend ist Lynchs Interesse an der Transzendentalen Meditation letztlich. Hat man sich ein wenig mit seinen Filmen und dem, was er in Interviews darüber sagt, beschäftigt, so erkennt man, daß er immer in die Tiefen des Bewußtseins tauchen wollte. In einem der zahlreichen Bücher über den Filmemacher kann man auch lesen, daß er sich durch den Genuß großer Mengen Zucker in eine Art Euphorie versetzt, um - wahrscheinlich infolge der süßen Überdosis - stärker in Tagträume gleiten zu können. Auf einer künstlerischen Ebene ist der Gedanke des reinen Bewußtseins demnach immer schon in seinem Werk vorhanden. Er kann sich eben alles vorstellen - eine Welt der Möglichkeiten, das Möbiusband. Das ist auch das Überzeugende und unbestreitbar Schöne an seinen Filmen.
Zur Lösung der Probleme der "realen" Welt, Streß und Gewalt durch Leistungsdruck etwa, kann jedoch nichts beitragen, das mit derselben Sprache operiert wie das, was man kritisiert. Dafür haben wir schon genügend zwielichtige Lebensberatungsorganisationen, die meist übrigens besonders gerne von Managern gebucht werden.
Gerettet wird der Nachmittag dann doch noch durch Lynchs humorige Art, allzuoft gestellte Fragen zu beantworten und seinem - offenbar für alle überraschenden - Bedürfnis nach einer kurzen Pause mittendrin, in der er, so darf man spekulieren, zu einer Zigarette greifen mußte. Und das, obwohl die Transzendentale Meditation auch für die maximale Gesundheit steht ...
Tina Glaser
Kommentare_
Ein köstliches Stück Text!