Akzente_Beethoven-Akademie 1808
Konzertklassiker reloaded
Wer am 22. Dezember 2008 ins Theater an der Wien pilgerte und noch dazu vier Stunden Zeit erübrigen konnte, erlebte die Rekonstruktion eines vor genau 200 Jahren stattfindenden Konzerts, das einst unter Ludwig vans Leitung stattfand. EVOLVER-Klassikexperte Herbert Hiess hielt für Sie eisern bis zum Ende durch.
15.01.2009
Wenn die Feuilleton-Lieblinge Arnold Schoenberg Chor, Radio-Symphonieorchester Wien und Bertrand de Billy gemeinsam auf dem Podium stehen, ist die Welt in Ordnung. Oder doch nicht? Na ja, offenbar ist sie das nur für die Verehrer besagter Damen und Herren - denn vom künstlerischen Standpunkt her war das bei der Neuauflage der "Beethoven-Akademie 1808" dargebotene Ergebnis recht mager.
De Billy und sein Ensemble rekonstruierten auf den Punkt genau das Originalprogramm, in dem Beethoven die 5. und die 6. Symphonie und dazu noch die großartige "Chorphantasie" uraufführte. Damals endete der Konzertmarathon unter Beethovens Leitung sogar in einer Katastrophe; 200 Jahre später wurden "nur" die großen Erwartungen, die man in den Abend gesetzt hatte, nicht erfüllt.
Man hörte ein durchschnittlich gutes Orchester in einem Theatersaal mit gnadenloser Akustik. Gnadenlos deshalb, weil einerseits die "trockene" Atmosphäre des Theaters an der Wien jeden Hall schluckt und andererseits das Orchester intelligenterweise direkt unter dem offenen Bühnenhaus saß. Das führte dazu, daß sich die Klänge der Musiker aus den hinteren Reihen total verloren. Das Publikum hörte vordergründig den Streicherklang, magere Holzbläser und noch armseligere Blechbläser- und Schlagwerkklänge. Geradezu lächerlich, wie verhungert das Seitenthema des Finalsatzes der 5. Symphonie durch die Posaunen klang. Man hätte annehmen können, die Posaunisten säßen unter einem Glassturz. Darüber hinaus waren die Bläser nicht wirklich präzise und intonationsgenau - und mit zunehmender Programmdauer ließ auch die Konzentration der Musiker nach, was die Qualität nicht gerade verbesserte.
Bertrand de Billys Leistung ist schon rein körperlich achtenswert. Vier Stunden Dirigieren (trotz zweier Pausen) würden nicht viele Berufskollegen durchhalten. Zum Drüberstreuen spielte er die Symphonien mit allen (!) Wiederholungen. Leider war sein Dirigat seltsam oberflächlich und nicht wirklich inspiriert. Selten hat man noch eine derart lieblose "Pastorale" gehört. Der zweite Satz "Szene am Bach" suggerierte statt eines romantischen Bächleins am "Beethoven-Gang" (in Nußdorf, Endstation der Straßenbahn-Linie D; Anm. d. Red.) eher einen langweiligen überregulierten Flußlauf. Und der erste Satz, der vom "Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande" erzählt, erweckte beim Hören eher die Empfindungen bei der Ankunft am Arbeitsplatz am Montag in der Früh. Das Gewitter, das beispielsweise bei Leonard Bernstein die Urgewalten darstellte, war bei de Billy und dem RSO ein sanftes Wetterleuchten.
Die 5. Symphonie war schon weit besser gelungen (wenn auch nicht wirklich seligmachend), obwohl das Orchester oft seltsam inhomogen spielte. Die anderen Stücke waren sehr guter Durchschnitt; von allen Solisten war der russische Pianist Boris Berezovsky mit Abstand am besten. Obwohl der Flügel (wohl aus Platzgründen) ungewöhnlicherweise so plaziert war, daß der Solist mit dem Gesicht zum Publikum saß, ließ sich der hochvirtuose Künstler nicht beirren und spielte sowohl das enorm schwierige 4. Klavierkonzert in G-Dur als auch die nicht viel leichtere "Chorphantasie" erstklassig.
Damit kommen wir zum hochgelobten Arnold Schoenberg Chor, der immer perfekt und meist seelenlos singt, an diesem Abend aber seltsam schlecht einstudiert war. Bei den einzelnen Sätzen der C-Dur-Messe waren merkwürdig ungenaue Einsätze zu hören (vor allem im "Quoniam" aus dem "Gloria"); dafür war es ganz drollig anzusehen, wie sich der Chor vor dem Einsatz bei der "Chorphantasie" erhob - ganz wie bei der "Welle" im Fußballstadion. Chorleiter Erwin Ortner flanierte in den Pausen eifrig durch die Pausenräume und ließ sich hofieren. Gescheiter wäre allerdings gewesen, er hätte die Zeit genützt, um mit den Sängern zu arbeiten.
Um nicht den Eindruck zu erwecken, daß Annette Dasch, das deutsche Fräuleinwunder, hier vergessen wird, wollen wir auch ihr ein paar Worte widmen: Frau Dasch ist eine hervorragend aussehende Sopranistin, die in einem wunderschön offenherzigen Abendkleid auftrat. Obwohl vom optischen Aspekt her also Sitze in der ersten Reihe interessanter gewesen wären, war akustisch der Platz in der Mitte des Saales besser. Dasch hat noch immer ihren strahlend glockenhellen Sopran. Die Szene und Arie "Ah Perfido!" (erinnert sehr an die große Leonoren-Arie aus "Fidelio") war aber dann doch einige Nummern zu groß für die junge Deutsche. Manche der enormen Höhen klangen recht schrill, und manchmal hatte man das Gefühl, sie hätte Luft in der Stimme.
Insgesamt also ein achtenswerter Konzertabend mit zwiespältigen Ereignissen. Wenn die Intendanz nun endlich an der Konzertakustik im Hause arbeiten würde, könnte das Theater an der Wien allerdings doch noch ein hervorragender Konzertsaal werden.
Herbert Hiess
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