Akzente_Arto Lindsay live

Das Groove-Zniachtl

Nach sehr kurzer Zeit kam der ehemalige Noise-Jazzer Arto Lindsay auf ein zweites Gastspiel nach Wien - und übertraf dabei sein sensationelles letztes Konzert noch um Klassen.    09.11.2004

Arto Lindsay startete seine Musikerkarriere als Gitarrist und Sänger bei der New Yorker No-Wave-Legende DNA. Waren die Damen und Herren damals irgendwo zwischen Rock und Noise angesiedelt, so wandte sich Lindsay danach verstärkt dem Free Jazz zu, bis er vor einigen Jahren seine wirkliche musikalische Heimat in einer Fusion aus brasilianischer Folklore mit zartem Songwriting fand. Auf seinem aktuellen Album "Salt" kommen verstärkt elektronische Beats als Grundgerüst zum Einsatz, und in solcher Besetzung tourt der kleine Mann zur Zeit auch durch die ganze Welt.

Man kann Lindsay vorwerfen, auf seinen letzten paar Platten zu stark auf leichtverdauliche Kost zu setzen und seine avantgardistischen Wurzeln zu vernachlässigen. Live tut er das zum Glück nicht, und genau das tut seinen Kompositionen gut: Lindsays Gitarrenspiel stört im positivsten Sinne des Wortes die groovig-eingängigen Latino-Rhythmen und läßt sich des öfteren auf Duelle mit den wunderschönen Hooklines von Bassist Melvin Gibbs ein. Wenn dann noch ein schräges Saxophonsolo ins Spiel kommt, merkt man erst, daß man es hier mit virtuosen Musikern zu tun hat, deren Ursprünge im Jazz und in der Improvisation liegen, und nicht mit chilligen Groove-Kasperln, die auch auf einer "Café del Mar"-Compilation Platz fänden.

Im Gegensatz zum Porgy & Bess kam der Sound in der Sargfabrik ein wenig lauter und kräftiger von der Bühne, und die Musiker wirkten entspannt und guter Laune. In den mehr als zwei Stunden Konzert wurde nicht nur das komplette neue Album präsentiert, sondern auch die rhythmischsten Nummern von Lindsays anderen Brasilien-Platten. Nett war die dritte Zugabe, zu der die Band komplett auf die Bühne kam, nur um einer schwachen Minute A-cappella-Gesang des Meisters zu lauschen. Arto Lindsay bleibt zur Zeit einer der spannendsten Musiker der avantgardistischen Szene und ist vielleicht der einzige, dem man Einflüsse aus der World Music verzeihen kann. Und wenn der kleine Intellektuelle mit dem schütteren Haaransatz und der dicken Brille dann wie Woody Allen sehr gern über Sex rezitiert, kann man das sowieso nur mehr sympathisch finden.

Walter Robotka

Arto Lindsay live in Wien

ØØØØØ


Sargfabrik (Wien), 4. November 2004

 

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Kommentare_

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