Kolumnen_Zapped

Ich habe leider keine Zukunft für dich

Wollten Sie je Austria’s next Topmodel werden? Ich nicht. Trotzdem muß ich Topmodel sein, auch wenn ich mich und mein Aussehen gekonnt hinter einem Schreibtisch verstecken könnte. Warum eigentlich?    26.03.2012

Neulich beim Bewerbungsgespräch. (Wir merken uns: Ich bewerbe mich für einen Posten als Online-Redakteurin, also nine-to-five hinter dem Computer und meistens auf Facebook.)

Ich sitze einem Anzug gegenüber, in dem ein Personaler steckt. Nach fünf Minuten weiß ich, daß ich den Job nicht bekommen werde, das sagt mir meine Erfahrung. Oder nennen Sie es Instinkt: Seine Augen beginnen bereits abzuschweifen, suchen das Weite und finden es vor dem Fenster bei den ersten Sonnenstrahlen. Nach einer Ewigkeit, gespickt mit Fragen wie "Welcher Urzeitkrebs wären Sie gerne?", "Wie schwindlig wird Ihnen, wenn Sie sich schnell drehen?" und "x² + y² = z². Was steht für x, was für y, was für z?", herrscht eine Minute Schweigen.

Dann rückt er mit der Wahrheit heraus: "Frau Munk, Ihre Haare. Kennen Sie Austria’s next Topmodel? Da wehren sich die Mädchen auch immer gegen einen Haarschnitt. Jede will lange Haare. Aber nur wenigen passen sie."

In so einer Situation haben Sie drei Möglichkeiten: Entweder Sie springen auf, schütteln den Personaler und fragen ihn, ob er deppat ist. Oder Sie springen auf, schütteln den Personaler und fragen ihn, warum zum Geier Ihre Haare wichtig sind für einen Job als Online-Redakteurin. Ob die Rechner der Firma abstürzen, wenn sie lange, blonde Haare sehen? Oder verstört es die 1000 Kunden, die Ihnen tagtäglich sicher nicht begegnen?

Ich habe die dritte Variante gewählt: cool bleiben. Sitzenbleiben. Leise darauf hinweisen, daß Supermodel nie mein Ziel war. Ruhig fürs Gespräch bedanken. Hinausgehen. Und draußen das Messer schärfen, um später einen gepflegten Mord zu begehen. Sie ahnen es schon: Der Personaler hatte leider kein Photo für mich.

Das Gespräch hat mich 30 Minuten meines Lebens gekostet. Und weitere 30 Minuten, die ich darüber grübelnd verbrachte, welchen Stellenwert Shows mit schicken Abkürzungen in der Gesellschaft haben: ANTM (Austria’s next Topmodel), GNTM (Germany’s next Topmodel), DPM (das perfekte Model). LSMF. LSMF? Ergibt genausoviel Sinn.

Ich habe nachgezählt: Kaum ein Tag vergeht im TV, an dem nicht schon wieder eine genormte Schönheit über den Laufsteg huscht, eine Treppe herunterschwebt, barfuß über Glassplitter rennt. Alle beseelt von dem Gedanken, daß ihr Konterfei demnächst das Cover irgendeiner Zeitschrift ziert. Für Ruhm und Reichtum geben sie alles, auch ihr letztes Hemd. Und dann fließen Tränen, weil’s dem Freund zu Hause nicht recht ist, wenn sich die Holde vor einem Millionenpublikum nackert auszieht.

Aber betrachten wir die Fakten: Was muß ein Model können? Laut der TV-Jury, einem TÜV-geprüften Expertenrat, muß sie ein symmetrisches Gesicht haben, denn Symmetrie ist Schönheit. Sie sollte 1,7405 periodisch Meter groß sein. Sie muß Größe 34 haben, denn 34 ist das neue 36, noch nicht gehört? Gleichzeitig darf sie aber nicht magersüchtig sein, pfui Teufel, das will niemand sehen.

Wenn wir all diese Anforderungen zusammenzählen, bekommen wir entweder eine kleinwüchsige Giraffe oder ein großes Kind. Da sich Designer aber vehement gegen die Musterung von Giraffen wehren - Streifen und Flecken, bittschön, wie soll das gehen? - sind es meistens 13jährige, die den Laufsteg bevölkern. Aber, und das ist das Wichtigste: Ein Topmodel muß zudem unverwechselbar sein. Charismatisch wie ein Sektenführer, ausdrucksstark wie die Mona Lisa, authentisch wie ein wurmstichiger Apfel.

In der Stellenanzeige von Germany’s/Austria’s next Topmodel steht also Folgendes:

Wir suchen das perfekte Model!

Anforderungsprofil: Du bist ein Kind mit schwachen Eltern, die glauben, aus dir wird nix (Besseres).

Dein Körper: Oben herum darf’s ein bisserl mehr sein, in der Mitte müssen wir deine inneren Organe sehen, und deine Füße sollten sich je nach Wunsch des Designers falten oder dehnen können, denn Schuhe in deiner Größe werden niemals hergestellt.

Ideal sind die Maße 90-50-70+20cm Absatz.

Du hast den Hüftschwung einer Monroe, große Rehaugen, die aber die Erfahrung einer 60jährigen widerspiegeln. Trotzdem bist du rein und unschuldig wie das Kitz vom Bambi und genauso formbar - wir wollen keine starken Charaktere!

Unbedingt erforderlich sind Kenntnisse im Bereich gehen, stehen und lieb schauen.

Was wir bieten: Nach einer Ausbildungszeit von einem halben Jahr, in der wir dich zuerst demontieren und dann langsam wieder aufbauen, bekommst du eine Modelmappe. Viel Glück! Wenn du es wirklich schaffst, winkt dir ein stressiger Beruf irgendwo zwischen Hungertod und Herzinfarkt, aber ein Arsch voll Geld, der dich und deine Familie aus eurem Elend erlöst - Mädchen aus dem ehemaligen Ostblock werden bevorzugt, aber bitte mit perfekten Deutschkenntnissen (siehe Titel der Show).

Wir freuen uns über zahlreiche Bewerbungen mit Lebenslauf und Nacktbild unter

sinkender-Marktwert-bei-steigendem-IQ@models.com, Kennwort: Kinderporno.

Was hier humoristisch verzerrt sein sollte, ist leider Alltagsrealität der Modelshows. Du beschwerst dich, wenn du in Highheels über Eisplatten laufen mußt? Ich habe heute leider kein Photo für dich. Du willst dich nicht ausziehen und mit einem Wildfremden eine Sexszene nachspielen? Ich habe heute leider kein Photo für dich. Du kannst dich mit einer Tarantel auf der Schulter und einer Boa um den Hals nicht richtig entspannen? Ich habe heute leider kein Photo für dich.

Die meisten Kandidatinnen scheitern an den Grundanforderungen: den Anweisungen des Photographen. Dabei sind die eh so einfach: Hüfte nach links, Beine nach rechts, Hintergestell raus, rechter Arm 90 Grad hinter dem Rücken, linker Arm einmal um die Hüfte herum - und jetzt mehr Glamour und ein wenig im Sonnenlicht glitzern. Von innen heraus! Noch ein bissi ... mehr noch ... und jetzt spring durch den Feuerreifen. Sorry, aber das war mir noch zu wenig echt - auch weiterhin alles Gute.

Und die Moral von der Geschicht? Topmodel wird eine andere, ich sicher nicht. Ich bin zu alt für diesen Scheiß, also packe ich mich und meine unpassende Frisur zusammen und suche mir einen anderen Personaler. Und wenn der wieder so einen Blödsinn erzählt, dann habe ich kein Photo für ihn.

Nina Munk