Kolumnen_Zapped

Konzentrier dich!

Der Fokus auf das Wesentliche geht mehr und mehr verloren. Niemand will mehr den Film sehen, alle nur noch die Fehler, um diese dann lang und breit in schwindligen Foren zu diskutieren. Aber wozu?    19.09.2011

Unlängst vor dem Bildschirm: Eine verhängnisvolle Affäre. Den hab ich zwar schon zweimal gesehen, aber das ist einer von den Filmen, die nie fad werden. Falls Sie ihn noch nicht kennen: Stalkerin Glenn Close beginnt mit dem verheirateten Michael Douglas ein Techtelmechtel, das mit einem toten Hasen, einer entführten Tochter und einem Schußwechsel endet.

Klar, der moralische Zeigefinger hat dieselbe Höhenlage wie die Todeszone des Mount Everest. Klar, der Film ist für frisch Verliebte ungeeignet: sie fiebert mit, er hyperventiliert. Sie stellt sich auf die Seite von Glenn Close (auch wenn die völlig daneben ist) - er flüchtet. Ich hingegen bin bei solchen Diskussionen stets neutral: Douglas ist selber schuld.

 

Zurück zum Thema: Ich sitze also (allein, wohlgemerkt) vor dem Fernseher und schau mir zum fünften Mal diesen grandiosen Film an. Und dann die Szene: Glenn Close und Michael Douglas im Bett, nackt, sie hat die Decke amerikanisch über die Brust gezogen, während Douglas aufspringt und nach Hause will zu Frau und Kind. Er steht beim Spiegel; sie noch immer im Bett, eine klassische Schuß/Gegenschuß-Situation.

Kennen Sie die Szene? Ist es Ihnen auch aufgefallen? Ich hab den Film ja schon zehnmal gesehen, aber gestern erst hab ich es gemerkt: Die Bettdecke von Glenn Close lebt!

Zuerst ist Glenn Closes Busen verdeckt. Plötzlich nicht mehr. Dann schaut verschmitzt eine Brust heraus. Dann ist sie wieder weg - die Bettdecke lebt nicht nur, die springt, hüpft, will eine Drehpause und endlich eine rauchen gehen. Wie macht sie das nur?

 

Die Bettdecke macht natürlich nichts, aber die Continuity alles falsch. Denn die ist am Set dafür zuständig, daß Glenn Closes Brüste ganz oder gar nicht rausschauen. Daß Biergläser immer dieselbe Menge enthalten - oder weniger, wenn getrunken wird. Und daß die Seitenscheitel der Darsteller nicht mitten im Gespräch von links nach rechts verrutschen.

Die Anschlußpolizei ist dafür da, daß die Kontinuität des Films gewahrt wird. Und trotz der unglaublich entspannten Atmosphäre vieler Filmsets, des fehlenden Zeitdrucks und der Millionen Dollar, die ja jedem Film zur Verfügung stehen, macht die Continuity so viele Fehler, daß sie immer wieder durch den Kakao gezogen wird.

Sie wird in einschlägigen Blogs genüßlich zerrissen, sie wird auf den Websites öffentlich an den Pranger gestellt, und ihr Handwerk wird immer wieder hinterfragt. Und überall auf der Welt sitzen User gemütlich vor ihrem Computer und fragen empört: Warum ist das denen nicht aufgefallen?

 

Weil der Job echt schwierig ist, deshalb. Weil man manchmal die Anschlüsse erst Tage, vielleicht sogar Wochen später dreht und dann alles bis ins letzte Detail genau so wiederhergestellt werden muß. Und weil die Atmosphäre am Set manchmal nicht ganz so entspannt und der Zeitdruck doch etwas höher ist. Dafür ist das Budget niedriger.

Aber wehe, das Kaffeehäferl steht im Film dann einen Zentimeter weiter links. Da kommt schon irgendein Freak daher, zeigt mit dem Finger drauf und schreit: "HA!".

 

Natürlich: Augen auf bei der Berufswahl. Augen auf auch bei der Inszenierung des Vordergrunds: Denn wenn Brüste im Spiel sind, sollte man schon drauf achten, daß die Anschlüsse passen - da schaut nämlich wirklich jeder (Mann) hin.

Grobe Schnitzer können zudem die Optik zerstören: Wenn Harry Potters Narbe im Gesicht auf Wanderschaft geht, kann sich niemand mehr auf die Handlung konzentrieren. Stattdessen fragen sich alle, ob’s Zauberei ist oder Pfuscherei.

 Andererseits: Ist es die Hexenjagd wirklich wert? Muß man denn wirklich jeden Film auseinandernehmen, zerstückeln und in Frames einteilen, bis er keinen Sinn mehr ergibt? Nein, muß man nicht. Deswegen jetzt ein kleiner Appell an die, die’s betrifft:

 

Lieber Herr Nerd, der Du arbeitslos im stillen Kämmerlein hockst und nichts Besseres zu tun hast, als Dir alle Blockbuster dieser Erde Bild für Bild anzusehen: Ich fordere Dich auf, es sein zu lassen! Mußt Du denn unbedingt die Illusion zerstören? Ist es wirklich wichtig, daß bei Star Wars am Kleiderhaken hinten links am Horizont zuerst zwei, dann drei Mäntel hängen? Bringt es Dir was, wenn Du schadenfroh über Flugzeugstreifen bei Historienfilmen herziehst? Und ist es wirklich unerläßlich, ein Diskussionsforum wegen einer Rolex bei Ben Hur zu eröffnen?

Kleiner Tip: Laß doch die Kirche im Dorf. Versuch einmal den Film zu sehen, nicht die Fehler. Konzentrier dich aufs Wesentliche, wenn das Licht ausgeht und das Popcorn raschelt: Die Stimmung, die Bilder, die Geschichte haben auch viel Schönes.

Und wenn Du dann immer noch motschgern willst, komm ans Set und mach es besser.

Nina Munk

Kommentare_

Alban Sturm - 19.09.2011 : 20.10
Ich kann Ihnen nur von Herzen beipflichten. Es war, glaube ich, Oliver Stone, der schon vor Jahren beschrieb, wie die Digitalisierung (welche das Betrachten Kader für Kader erst so einfach machte) Regisseuren bis dahin ungewohnte Fleißaufgaben abverlangt - eben weil jeder noch so uninteressante Fehler garantiert von irgendwem entdeckt und breitgetreten wird.
Wer früher z.B. bei Ben Hur eine Rolex entdeckte, zeigte damit in erster Linie seine Begeisterung für den Film: Man mußte schon ziemlich oft ins Kino gehen, bis einem derlei auffallen konnte. Wer sich heute über verrutschte Kaffehäferln beschwert, zeigt damit, daß er ein kleinkarierter Wappler ist, an den gute Filme verschwendet sind.
(Daß bislang anscheinend keiner Glenn Closes Busen bemerkt hat - nun ja; überall schauen auch Männer nicht hin. Von jenen Damen, die - dem hervorragenden Schauspieler - Michael Douglas gefährlich nahe traten, war die Attraktion für mich nur bei Sharon Stone nachvollziehbar. Kathleen Turner übertrieb die Sache, und Demi Moore wirkte eher lächerlich: "Selber schuld", wie Sie schreiben. Den o.g. Film habe ich mir gleich gespart; Frau Close mag eine gute Darstellerin sein, aber ... )

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