Kolumnen_Zapped

Am Friedhof der Kuscheltiere

Da Menschen bald uninteressant werden, paßt sich das Fernsehen an und rückt immer mehr Tiere ins Scheinwerferlicht - ob sie wollen oder nicht. Die rächen sich dann fürchterlich, tun so, als wären sie extra herzig und ziehen uns mit ihrer Unschuld das Spendengeld aus der Tasche. Aber kann man Delphinen wirklich vertrauen?    05.09.2011

"Der will nur spielen." Ich kann das Herrl kaum verstehen, weil der Dobermann so laut knurrt. Der spielt nicht, der fletscht. Auch nicht grad vertrauenswürdig ist die Schieflage des Herren, der sich mit aller Kraft gegen die Leine stemmt. Und am anderen Ende wartet der geifernde Tod. Bevor es zum endgültigen "Ratsch!" kommt, empfehle ich mich - und dem Hundehalter eine Sehhilfe.

 

Das bringt mich zum Nachdenken: Ist es nicht seltsam, wie verzerrt wir Tiere oft wahrnehmen? Und woher kommt’s? Na klar, vom Fernsehen.

Da wird dem Zuseher munter beigebracht, daß der Meister Petz auch nur was essen will. Das leuchtet ein, aber bin ich wirklich selbst schuld, wenn er mir mitten in der Nacht das Zelt zerfetzt, weil er meine Wurstsemmel gerochen hat? Und wenn ich dem Meister Petz dann den Pelz über die Ohren ziehe, hagelt es Tierschutzklagen: Der arme Bär - warum habe ich mich nicht umbringen lassen?

 

In Tierdokus ist immer der Mensch schuld: Er schränkt Lebensraum ein, er jagt, er rottet aus. In solchen Momenten bleibt nur eines: Haupt demütig senken und schuldig fühlen. Aber wer einen Blick auf den Bildschirm riskiert, erlebt folgendes Szenario: Ein süßes Häschen hoppelt friedlich über die Wiese und denkt sich nichts Böses. Zwischenschnitt auf einen Adler. Das Ende kann man sich denken.

Aber dem Adler verzeiht man es, und warum? Weil er so anmutig ist. Weil er der König der Lüfte ist, pfeilschnell herabstößt und vom Weltall aus den Floh im Heu husten sieht. Das ringt dem Zuseher natürlich Bewunderung ab. Das ist Evolution pur, das ist Anpassung par excellence, dagegen sind die Pyramiden von Gizeh einen Taubendreck wert.

 

Spätestens seit "Paradiese der Tiere" muß der Mensch mit dem Image der Tiere konkurrieren. Damals noch in der weiten Totalen gedreht, war ganz hinten links am Horizont eine Bärenfamilie zu sehen - oder nicht, das hing von der Größe des Fernsehers ab. Aber was das Bild nicht erkennen ließ, daran ließ die Off-Stimme keinen Zweifel: Da hinten ist Vater Bär, der zieht aus und jagt, während Mutter Bär zu Hause bleibt und die Junior-Bären hütet. Subtext: Seht her, ihr lieben Frauen, dort ist euer Platz, weil bei den Tieren ist das auch so.

Heute ist das anders: Mit modernster Technik kriecht man den Tieren in den Arsch. Die Tierfilmer bleiben einfach zu Hause, stellen ihr Teleobjektiv auf dem Balkon auf und zoomen über den großen Teich, bis zu den Galapagosinseln, bis zur Schwanzfeder des Darwinfinken.

 

Was geblieben ist, ist das Klischee. Eulen sind klug, Orang-Utans sollten das Wahlrecht bekommen, und Spinnen lauern immer im Netz. Wieso eigentlich? Darf sich eine Spinne nicht auch einmal entspannen? Vielleicht hängt sie grad ein bißl herum und genießt die Sonne, wer kann das bittschön schon sagen?

Andererseits möchte ich im offenen Meer keinem Delphin begegnen - die lächeln immer, das macht mich mißtrauisch. Wer weiß, was die aushecken? Seit Jahrzehnten wird uns von Naturdokus eingebläut, daß Delphine die ultimativen Kuscheltiere sind: Die sind ja so g’scheit, die können durch Reifen hüpfen, Menschen retten und Seeminen bergen. Und die sind so verspielt, daß sie sogar Autisten aus der Reserve locken. Trotzdem: Wenn so ein Vier-Meter-Tümmler mit 55 Kilometer pro Stunde durch’s Meer pflügt, warte ich sicher nicht, um ihm das Baucherl zu kraulen; hoher IQ hin oder her.

Roy hat es bereits gelernt: Der weiße Tiger ist nicht zum Spaß da. Der Crocodile Hunter Steve Irwin war nicht zu bekehren: Er hat jahrelang unschuldig dösende Krokodile geweckt und sich mit ihnen blöd gespielt, bis ihn am Great Barrier Reef die Rache des Stachelrochens mitten ins Herz traf.

 

Vielleicht ist es die scheinbare Nähe des Kameramannes zu den Tieren, die uns unvorsichtig werden läßt: Wir sehen jeden Tag im Fernsehen, wie nah die Naturfilmer und Abenteurer dran sind, was soll denn da schon passieren? Also fahren wir in den Busch, steigen beim ersten Löwen aus, hockerln uns hin und schnurren: "Miez, Miez, Miez!".

Und wenn er dann aufsteht und herkommt, sind wir immer noch überzeugt: "Der will nur spielen." Berühmte letzte Worte.

Nina Munk

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