Kolumnen_Zapped

Sendepause

Wenn das Wetter hält, werden wir uns diesen Sommer draußen aufhalten. Das ist auch gut so, denn drinnen gibt es eh nichts zu sehen.    06.06.2011

Das Testbild war wenigstens ehrlich: Gute Nacht, liebe Mitbürger, geht schön schlafen, hier ist jetzt Sendepause. Heute ist das anders; der Sommer ist das neue Testbild.

Ich glaube, irgendwo in den Untiefen eines jeden Senders sitzt ein verhutzeltes Manderl mit Schirmkappe und Rechenschieber, das nur eine Aufgabe hat: Im Jänner zu kalkulieren, wie viele Folgen sich noch bis Ende Juni ausgehen.

 

Im Mai singt bereits die erste Serie das alte Lied vom Staffelende. "Letzte Folge!", kreischt dann die Programmzeitschrift, und jeder weiß, was kommt - noch mehr letzte Folgen tröpfeln ein, werden zu einem Bach, einem reißenden Strom, der im Juni schließlich das Programmheft mit Ausrufzeichen füllt und jeden warnt, der es bis dahin noch nicht kapiert hat. Der Subtext ist klar: Fahr in Urlaub, du Koffer, hier ist für diese Saison Schluß.

 

Jetzt schon etwas nervös, schalte ich weiter, aber schnell wird deutlich, daß auch die Moderatoren keine Lust mehr haben. Barbara Karlich sagt zum Abschied leise Servus, dann die Millionenshow, und schließlich gehen auch noch die Politiker auf Urlaub, was jeden Polittalk ebenfalls sinnlos macht. Und da die Sendechefs auch schon ziemlich müde sind, wird einfach irgendwas gespielt, bis alle wieder da sind. Meistens Wiederholungen.

Wenn der letzte Fußballer verletzt das Feld geräumt, der letzte Nachrichtensprecher seine Zetteln sortiert hat und bei Grey’s Anatomy der letzte Hauptcharakter gestorben ist, dann hinterlassen sie eine Leere, die kaum zu füllen ist, aber wenigstens einen Namen hat: Das Sommerloch.

 

Dem Zuseher bleiben dann nur zwei Möglichkeiten. Entweder fährt er wie alle Lehrer, Schüler, Eltern, Politiker und Moderatoren weit weg, um dort dann mit allen anderen am Strand zu liegen, oder er bleibt zu Hause und weint. Denn wie nur, wie zum Teufel soll man sich all diese Cliffhanger über zwei Monate merken? Und warum muß ich mir die erste Folge der ersten Staffel der Simpsons ansehen, wenn Pro 7 gestern noch die Staffel 21 gespielt hat?

Jeden Sommer muß ich einsehen, daß Fernsehen für die Mehrheit gemacht wird. Und nicht für die Minderheit, die sich standhaft weigert, mit allen anderen am Strand zu liegen, zwischen Figuren, die man nicht einmal im Fernsehen sehen möchte.

Und was ist mit denen, die arbeiten müssen? Haben diese traurigen Gestalten nicht auch ein wenig Sendezeit verdient, wenn sie sich schon über brennenden Asphalt quälen und das bohrende Rattern der Baustellen ertragen?

 

Während draußen die Ferien lachen, sinkt im Sommerloch die Stimmung in den Permafrost-Keller. Es gibt einfach nichts zu berichten, wenn keiner da ist, über den man sudern kann. Katastrophen, Viren, Politiker - sie brauchen die Aufmerksamkeit der Masse und schlagen erst wieder im Herbst zu, wenn man sie gebührend beachtet.

Um wenigstens irgendwas zu sagen, werden allsommerlich Giftspinnen aus dem Hut gezaubert, die im Wienerwald auf Opfer lauern, oder Ufos, die ganz spontan zur Landung ansetzen, weil keiner zu Hause ist. Aber selbst die fliegen rasch wieder ab; wer will schon eine Welt beherrschen, die so fad ist.

 

Das Leben stagniert, die Erde steht still, und alles, was den Stubenhockern bleibt, sind Reiseberichte. Aber bevor ich mir anhöre, daß die Karawanken in dieser Jahreszeit besonders toll sind, schalte ich lieber ab und geh grillen.

 

Wenn mich also wer sucht, der findet mich draußen in der Sommerpause. Ich fülle die Leere mit Bier und stopfe das Sommerloch mit Berner Würsteln - Fernseher und Kolumne haben Urlaub, also Baba, liebe Mitbürger, geht schön schlafen, hier gibt’s nur noch

 

Nina Munk

Kommentare_

DerStädter - 08.06.2011 : 13.32
Nina, Du wirst uns abgehen.
Überleg' Dir das bitte mit der Sommerpause!

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