Kolumnen_Zapped
Wissen Sie noch?
Damals, das ist noch gar nicht so lange her. Das war die Zeit vor den Dokusoaps, vor dem Dschungelcamp und vor CSI. Stefan Raab war noch bei Viva, und die Drehbuchautoren von Horrorfilmen hatten es leichter: Es gab noch keine Handys. Wie war das damals? 11.04.2011
Perrine prägte in den 90ern die Generation X: Wer als Kind zugesehen hat, wie das kleine Mädchen mit ihrer Mutter, dem Hund Baron und dem Esel vor dem armseligen Karren durch Frankreich zog, der wurde schon früh mit Depressionen konfrontiert. Der Vater war tot, die Mutter ist gestorben, der geliebte Esel wurde verkauft, und der lang gesuchte Opa war ein Tyrann - kein Wunder, daß viele Jugendliche ihren Seelenfrieden später bei Kurt Cobain suchten. Und nach seinem Abgang bei einem Tamagotchi.
Aber waren die Serien der 80er und 90er wirklich so düster? Oder gab es doch Lichtblicke, die nicht gleich zum Selbstmord veranlaßten? Und welchen tieferen Sinn hat uns Aaron Spelling gelehrt? Versuchen wir gemeinsam, der Sache auf den Grund zu gehen ...
Nils Holgersson: wird zwangsgeschrumpft, weil er Tiere quält. Herr Rossi: sucht das Glück, findet es aber nicht. Heidi: Unschuld vom Lande packt die Stadt nicht, ihre beste Freundin sitzt im Rollstuhl, und ihre Zieheltern sind pädagogische Nudelaugen. Roseanne: ihr Mann stirbt. Aber mit Recht, da die letzte Staffel jeden dahinraffen würde. Alf: hält es 102 Folgen bei den erzkonservativen Tanners aus und versucht dann, ins All zu flüchten. Und Anarchie-Kollegin Pippi Langstrumpf harrt zwar aus, kämpft aber bis zum Schluß gegen Recht und Ordnung.
Einen hab ich noch: Das Haus am Eaton Place. Selbstmord wechselt sich munter ab mit Tod durch Titanic, Tod durch Grippe und Zwangsernährung - finsterer kann man eine Serie gar nicht mehr gestalten.
Aber! könnten Sie jetzt sagen. Ich weiß: So schlimm war’s auch wieder nicht, sonst hätten wir uns alle einen Strick gesucht. Nehmen wir Al Bundy: Niemals waren Lacher aus der Konserve hysterischer. Denselben Frohsinn gab’s täglich bei Steve Erkel aus Alle unter einem Dach - das war selbst mir zu lustig. Oder nehmen wir Der Prinz von Bel Air: Wo wäre Will Smith heute, wenn er damals nicht so einen Blödsinn gedreht hätte?
Irgendwo zwischen Aufhängen und greller Lebensfreude gab es die Jugenddramen und Soaps, die sich echte Grunger nur heimlich angesehen haben, weil sie so peinlich waren. Zum Beispiel Beverly Hills 90210: Nie waren Teenager braver - wer geraucht hat, war drogensüchtig, wer sich pudern ließ, war eine Hure.
Apropos Spelling: Die himmlische Familie verfolgt uns bis heute, die letzte der zehn (!!) Staffeln wurde im deutschen Fernsehen erst vergangenes Jahr ausgestrahlt. Und wer bei den Camdens in der ersten Staffel vorehelichen Verkehr praktizierte, schmort heute noch in der Hölle.
Aber die Extraportion moralischen Zeigefinger gab es immer schon, der ist kein Zeichen der 80er und 90er. Ganz anders war Party of Five: Kennen Sie diese Serie noch? Fünf Geschwister mußten sich nach dem Tod ihrer Eltern allein durchs Leben schlagen: sie soffen sich ins Koma, sie starben an einer Überdosis, sie hatten ständig finanzielle Probleme, sie waren schwul und sie puderten herum - mir hat’s gefallen.
Vielleicht deshalb, weil es ein wenig mehr Realismus ins Fernsehen brachte als die Weichspülerorgien à la Spelling. Und die Protagonisten waren immer fesch angezogen; schön grungig, mit weiten, knielangen Kleidern und Doc Martens - wer die Kleidergröße 38 ebenfalls vermißt, der zeige jetzt auf!
Apropos Kleidergrößen: Finden Sie nicht auch, daß die Schauspielerinnen eingegangen sind im letzten Jahrzehnt? Und zwar proportional zur Größe der Handys? Beispiele gibt’s genug: Zellweger - war einmal ganz ordentlich gebaut im 90er Kultfilm "Reality Bites". Dann hat die Realität ein großes Stück von ihr abgebissen - das Ergebnis wankt heute in engen Kleidern über den roten Teppich. Gleiches gilt für Meg Ryan, Sandra Bullock oder Nicole Kidman, deren Kilos irgendwo zwischen Schlabberlook und Wäre-gern-ein-Gürtelrockerl auf der Strecke geblieben sind.
War früher alles besser? Nein, es war nur anders. Aids war im Fernsehen so weit verbreitet wie heute der Lugner, Arnold Schwarzenegger hat noch gute Filme gedreht und keine schlechten Wahlkampagnen, und die Sendezeit von Pro 7 wurde noch nicht von Stefan Raab bestimmt.
Und Horrorfilme waren ganz einfach: Niemand hatte ein Handy dabei, ergo konnte keiner die Polizei anrufen, ergo sind alle viel leichter gestorben. Die Ausrede vom schlechten Empfang geht uns erst seit einem Jahrzehnt auf die Nerven, dafür aber massiv. Okay - das war früher wirklich besser.
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