Kolumnen_Depeschen an die Provinz/Episode 21
Gestochen scharf
"Jetzt schimpfens doch ned dauernd!" nörgeln Stimmen aus dem Volke. "Schreibens doch liaba amoi, wos Ihna an Wien gfoid." Recht haben sie, die Kritiker. Schließlich ist der Kolumnist nicht umsonst wieder in die Hauptstadt gezogen.
17.01.2020
"Gestern hams wieder die ganze Nacht gschossen, die Tschuschn im Bau", sagt die Stimme aus dem Handy-Lautsprecher. "Oba jetzt reichts ma - jetzt geh i dem anan die Hüttn anzündn."
"Ehrlich?"
"Kloa. I hob schon den Kanister in da Hand. Muaß nua no an Benzin von da Tankstö hoin."
"Host ka Angst, daß di dawischn?"
"Nojo - i hob eh mei Oide gfrogt, obs ma Schmier steht. Oba sie hot gsogt, sie muaß die Wäsch mochn."
"Na dann, servas."
Was lernen wir daraus? Erstens, daß sich Verbrechen wirklich nicht lohnt - wenigstens nicht auf die Art. Und zweitens, daß das Leben in der Stadt immer noch interessant und faszinierend ist. Vorausgesetzt, man sucht die richtigen Schauplätze auf. Wie ich zum Beispiel meinen Tätowierer (heutzutage hat man "seinen Tätowierer", so wie früher seinen Schneider und Schuster). Dort sieht, hört und spürt man nämlich ein paar blutige Stunden lang, daß es ein Wien jenseits von Boboland gibt. Ein Wien, das die Grünwähler und Radfahr-Debilanten, die sich in ihren Innenstadtbezirken verschanzen, fürchten täten wie nichts anderes, wenn sie es je zu Gesicht bekämen. Ein Wien, dessen Sprache noch nicht dem Fernsehdeutsch gewichen ist und dessen goldenes Herz auch den einen oder anderen Kasperl aushält. Daß der echte Wiener nicht untergeht, merkt man schon an dem netten jungen Hooligan, der einem zumindest hier, auf neutralem Boden, nicht gleich eine Faustwatschen androht, sondern stolz den Original-Mundl mit Bierflasche zeigt, den er auf die glattrasierte Heldenbrust gepeckt hat. "Leiwand, wos?"
Sowieso.
In den Weiten der weniger noblen Bezirke außerhalb des Gürtels oder gar der unerschlossenen Wildnis Transdanubiens, wo die Vollkoffer und Oaschkinder nichts verloren haben, versteckt sich die Stadt, die man als geborener Wiener zu lieben gelernt hat. Und beim Tätowierer kriegt man noch einiges davon mit. Schon wenn er von seinem Lieblings-Schanigarten zwischen den Marktstandln erzählt, wo nur ein paar Schritte weiter ein Bauchstichlokal ist, aus dem vor ein paar Tagen "a Daschossener außetamelt is". Oder von den Uralt-Punks, die jetzt der Reihe nach abbankeln, weil die Leber aufgegeben oder das Heroin am Ende doch gewonnen hat. Oder auch vom zugepeckten Sohn einer berühmten ORF-Gutmenschin, der regelmäßig zu Fußballmatches nach England fährt und die Reise als Mißerfolg wertet, wenn er nicht mindestens mit einer neuen Stichwunde heimkehrt. ("Oba de andern miaßast sehn – die san no lang auf Reha.")
Irgendwann taucht dann auch der Typ auf, der als altkluges, ziemlich zwideres Kind in den Alltagsgeschichten über die Donauinsel zu sehen war. Jetzt ist er natürlich längst kein Kind mehr, aber immer noch ziemlich zwider und witzig. Dann kommt ein alter Freund des Tätowiermeisters zu Besuch, der ein Lokal in Kambodscha aufgemacht hat: "Schlecht geht des Gschäft - nur mehr Piefke duat!" Und schließlich setzt sich einer her, nur so zum Zuschauen und ein Flaschl Bier trinken, der Fan einer Musikrichtung ist, von der du noch nie gehört hast: Porn-Grind. Klingt wie eine Massenkarambolage auf der Westautobahn, bei der die schreienden Verletzten von Dämonen vergewaltigt werden. Nix für Kaffeejausen mit der älteren Verwandtschaft ...
Die Nadel sticht, die Gschichtln schwirren durch den Raum, hin und wieder geht einer vor die Tür rauchen (sogar Tattoo-Studios müssen in Zeiten der Diktatur nachgeben) - und alles ist eitel Wonne, bis ein paar bucklig schlurfende Jugendliche unbestimmbaren Geschlechts, mit Wollhauben und Krankenkassabrillen, das Etablissement betreten. Sie wollen sich Sterndln, Monde und kleine Vogerln auf die Unterarme tätowieren lassen, um der Welt zu offenbaren, daß sie FM4 hören und später auch einmal in einer geschützten Werkstatt arbeiten wollen.
Betretenes Schweigen.
"Des kann i eich schon mochn", sagt der Tätowierer. "In drei Monat hob i wieda an Termin."
Und schon sind sie wieder weg, die Hirnederln. "A Zielscheibn am Hirn war gscheiter gwesn", stellt einer der Anwesenden trocken fest, damit der Schmäh wieder ins Rennen kommt. Was er auch tut, logischerweise, wenn Wiener unter sich sind und noch ein paar Flaschln Bier aufreißen.
Übrigens, sollten wir uns irgendwo einmal sehen, erinnern Sie mich, daß ich Ihnen die Gschicht von der 20-Euro-Hur im Rollstuhl und der Dose mit ihrem speziellen "Haarbalsam" erzähle. Sowas kann man ja gar nicht aufschreiben ...
Peter Hiess
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