Yazoo: "Only You"
Enthalten auf der CD "Only Yazoo - The Best of Yazoo" (Mute Records/BMG)
Von diesem Lied gibt es zwei unterschiedliche Versionen, die etwa so verschieden sind wie Bobby McFerrins "Don´t Worry, Be Happy" und eine Bigband-Version davon. Mit dem von den Platters her bekannten Jahrtausend-Doo-Wop-Schmachtfetzen gleichen Namens haben beide aber auch irgendwie zu tun - verrät Manfred Prescher. 03.08.2015
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Nein, Vince Clarke, der Mitbegründer von Depeche Mode, ist nicht auf einem erdähnlichen, 1,6 Millionen Lichtjahre entfernten Planeten zur Welt gekommen - auch wenn er durchaus so aussieht und im Laufe seines Musikerlebens sehr befremdliche Dinge getan hat. Er stammt aus Essex/England und war mit Depeche Modes Andrew Fletcher schon während der gemeinsamen Zeit auf der Klippschule befreundet. Nachdem man sich auch musikalisch einander näherte, gründete man diverse Formationen, an deren Gipfelpunkt dann die Überband des Synthie-Pop stehen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich erzähle heute nämlich davon, was passierte, als sich Clarke und der Rest der Mode-Truppe musikalisch wieder voneinander entfernten. Die anderen nahmen ernsthafte Klassiker wie "Enjoy The Silence" auf, und Clarke gründete unter anderem Erasure, was für sich genommen auch gar nicht schlecht ist.
Geht man von einer buddhistischen Weltsicht aus, dann hatte Vince Clarke Glück, daß er mit einer Leidenschaft für elektronische Gerätschaften wiedergeboren wurde. Beinahe wäre er ja als Bontempi-Orgel erneut auf der Erde gelandet. Mit diesem Instrument - und ähnlichem, heute vergleichsweise altmodisch und nach typischem Achtziger-Jahre-Pop klingendem Instrumentarium - verbindet den Künstler auf alle Fälle eine sehr treue, langjährige und vermutlich in frühere Leben zurückreichende Beziehung.
Richtig auffällig wurde das für den aktuellen Rest der Menschheit aber erst mit dem Depeche-Mode-Debütalbum "Speak & Spell" und frühen Hits wie "Just Can´t Get Enough" oder "New Life". Da pluckerte die Steuereinheit des Wäschetrockners zu den auf der Tchibo-Orgel fabrizierten Melodien. Das war damals süß und klingt auch heute noch so - allerdings irgendwie unwirtlich. Seiner Art von Musik ist Clarke danach treu geblieben, bei Erasure genauso wie mit The Assembly. Dieses hierzulande weithin unbekannte Projekt mit dem Untertones-Sänger Feargal Sharkey hatte einen (nur einen) wirklich genialen Moment: "Never Never" hieß die bittersüße Single, nach der ihr bitteschön suchen solltet. Erst recht du, liebe Leserin, die du dir "Only You" von Yazoo - das reimt sich, und was sich reimt, ist laut Pumuckl auch gut - gewünscht hast.
Auch mit Alison Moyet, der tatsächlich stimmgewaltigen Stimme von Yazoo, machte Clarke nichts anderes als herumzuorgeln wie ein alter Toyota, dem man die Hälfte seiner vier Zündkerzen geklaut hat. Aber Ehre, wem Ehre gebührt: Der Mann konnte halt wirklich ergreifend eingängige Popsongs schreiben. "Only You", die erste Single vom Album "Upstairs At Eric´s", ist ein solcher. Natürlich ist der Text recht bescheuert, halt ein Liebeslied, das davon ausgeht, daß es eben diesen einen, diesen besonderen Menschen im Leben gibt. Ich kannte mal eine Frau, die meinte, daß davon mindestens zehn auf jeden von uns warten, aber als alter Romantiker bin ich mir da nicht so sicher.
"Only You" beschreibt auf jeden Fall einen manchmal sehr, sehr lange - "forever is a very long time" sang Dylan zum gleichen Thema - anhaltenden Jetztzeit-Gefühlszustand, mit dem dann vergangene Jetztzeit-Gefühle in den Hintergrund gedrängt werden. Die Hirn- und Herzforschung geht davon aus, daß das alte Betriebssystem iOU5.2 von der neuen Version auf eine abgelegene Partition in Kopf und Klopf-Muskel geschoben wird, wo dann schon die Vorgänger-Software abgespeichert ist.
Wenn man es so sieht, wie man es sehen sollte, ist "Only You" eine einfach sehr überhöhte Beschreibung von verliebter Überhöhung. Aber wenn man das nach Jahr und Tag aber immer noch so empfindet, dann ist da aber, sag´ ich in Verbindung mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Reggae-Romantiker John "Dr. Love" Holt, tatsächlich was dran. Ob er oder sie der oder die eine ist, entscheidet sich erst im Lauf der Zeit. Es kann ja gut sein, daß einem der andere genauso schnell überdrüssig wird ("Du, ich will dir was sagen, nun hör mir mal zu/Du, mir liegt was im Magen, du, mir drückt der Schuh/Du, ich kann nicht mehr schweigen, es bricht aus mir raus/Du, weißt du was, der Ofen ist aus ...") wie "Only You". Und daß man genauso schnell vom Partner genervt ist, wie es mir damals mit "Only You" erging. Ein OHS (One-Hear-Stand) war es zwar nicht, aber nach dem fünften Mal wurde ich zusehends übellauniger, wenn der Song lief. So ähnlich erging es mir mit Popsongs schon oft, etwa mit "You’re Beau-u-u-u-tiful" von James Blunt.
Yazoo liefen wirklich dauernd im Radio, obwohl "Only You" ein eher kleiner Hit war, vor allem im Vergleich zum Nachfolger-Georgel "Don´t Go". Aber er ging einfach nicht weg. Als man meinte, das Gröbste überstanden zu haben, und sich Ö3, BR3 und Co. auf andere Lieder kaprizierten, kam das Lied mit Schmackes zurück. Und zwar in der Variante der fliegenden Bergarbeiter. Die Flying Pickets waren eine eher nachhaltige Formation, denn elektrisch verstärkte Instrumente - und damit jede Menge Kilowattstunden Strom - brauchten sie nicht. Sie machten "alles mit dem Mund", um es mit den ähnlich veranlagten Leipziger Oberthomanern von den Prinzen zu sagen.
Gut eineinhalb Jahre nach dem Original ging es mit "ba-da-ba-ba, ba-da-ba-ba" weltweit an die Spitze der Charts. Zu Weihnachten anno 1983 rangierten die Flying Pickets in Großbritannien ganz oben, es war übrigens der erste A-cappella-Song, der Platz 1 beim für obskure Sachen wie etwa dem Dartsspiel, dem Käsezumbahnhofrollen oder dem Ferkel Sharkey bekannten Inselvölkchen erreichte. Und bei uns? Jeder Kreisjugendring förderte im Nachgang das gemeinsame, mehrstimmige Singen - und noch heute existieren viele recht erfolgreiche Formationen wie die Wise Guys oder Maybebop, die vermutlich als "Kollateralschäden" in einem Jugendzentrum in Köln-Bilderstöckchen bzw. Hannover-Vahrenheide gegründet wurden. Die jungen Männer waren dann dank Flying Pickets erst mal weg von der Straße. Wir wissen ja, was pubertäre Kerle so alles anrichten können ...
Nächste Woche wird richtig ernsthaft und ernsthaft genial musiziert. Im "Miststück" dreht sich dann alles um "Nothing Else Matters" von Metallica - und um die Frage, warum Heavy-Metal-Bands oft die besseren Balladen schreiben. Vielleicht, weil sie Romantiker sind und sich nach jemandem sehnen, den sie mit Bestimmtheit für "Only You" halten können? Wäre eine Möglichkeit. Mehr dazu kommenden Montag. Bis dahin noch einen Tip von mir: Wenn ihr glaubt, so jemanden gefunden zu haben, dann genießt die Zeit. Denn Spaß bringt verbrauchte Energie sofort zurück.
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