Kolumnen_Miststück der Woche III/35

Xavier Naidoo: "Bei meiner Seele"

Damals, als diese Kolumne noch so richtig jungfräulich war und von Sex, Drugs und Geschwurbel noch gar nichts verkünden wollte, da traf ich, Manfred Prescher, auf den Heiligen Xaver aus Mannem. Und nun höre ich ihn wieder ...    27.05.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Damals, im Januar 2006, schrieb ich, wenn ich mich recht erinnere, an just dieser Stelle, daß Xavier Naidoo wahrscheinlich bald über das Wasser des Rheins wandeln und den Frieden verkünden wird. Ich überlegte seinerzeit kurz, ob ich ihm folgen sollte. Ich ließ es dann doch, weil dieser Weg ja sicher nicht so einfach werden würde - und mir eigentlich gerade die Bequemlichkeit des häuslichen Sofas besser ins Feng Shui paßte. Außerdem bin ich kein Mannheimer Sohn. Überdies war ich seinerzeit schon längst zu alt, um als Jünger durchzugehen und konnte mir nicht vorstellen, daß ausgerechnet der windelweichgespülte Sänger aus der quadratisch angelegten, zweitgrößten Stadt Baden-Württembergs der neue Messias sein sollte.

Aber obwohl er eigentlich nicht in Zungen sprach, sondern deutsch mit leicht badischem Einschlag, hörten ihm viele aufmerksam zu, als er seine in schmissigen Soul gegossenen Psalmen vortrug. Der Satz "Dieser Weg wird kein leichter sein" hat sich auf jeden Fall so sehr ins kollektive Gehirn der Menschen eingebrannt, daß er immer wieder fällt - egal, ob jemand einen Alpenpaß hochhechelt oder sich durch Touristenmassen drängt, die ihrerseits mitten durch ein Weltkulturerbe latschen. Auch wenn zwei Menschen mit all ihren Sorgen, Ängsten und Schwurbeligkeiten einander allmählich finden, ist dieser Satz ihr ständiger Begleiter. Er paßt sogar, wenn einem beim Schreiben von Kolumnen erst die Ideen und dann die Buchstaben ausgehen. Dann sitzt man vor dem leeren Word-Dokument und weiß, daß dieser Weg ... In diesem Zusammenhang sei aber erwähnt, daß mir das natürlich noch nie passiert ist.

Obwohl - eigentlich doch. Darf ich kurz abschweifen? OK. Ich wollte mal jemanden mit einem Gedicht erklären, was genau ich fühle. Es sollten perfekte Verse werden. Doch schon beim Schreiben der ersten zwei Zeilen wußte ich, daß dieser Reim ein seichter sein wird. Das Werk blieb daher unvollendet und liegt nun als Mahnmal in meiner Zettelschublade. Bis heute weiß die Frau nichts von dem Gedicht, stattdessen redeten wir, bis der Morgen an- und sie erschöpft zusammenbrach. Gebracht hat das nichts, ihr Schlaf wird danach wohl auch kein leichter gewesen sein. Bevor ich jedenfalls meine Verse klassisch vergeigte, dachte ich selbstbewußt, daß ich praktisch alles außer Zitronen mit Worten ausdrücken könne.

Irgendwie habe ich das Gefühl, daß es dem Herrn Naidoo so gegangen sein muß: Er hat vielleicht irgendwann gemerkt, daß ihm das Heilige so recht keiner mehr abnimmt; wahrscheinlicher ist aber, daß er sich einfach verliebt hat.  Sicher ist, daß er einige Jahre, genauer gesagt vier an der Zahl, durch die hügelige Kurpfalz gehen ließ. So lange ist es nämlich her, seit er unter seinem Namen die CD "Alles kann besser werden" veröffentlicht hat.  

 

Mein Gedicht hatte ähnliche Zeilen wie die folgenden, aber diese hier stammen aus "Bei meiner Seele" von Xavier Naidoo: "Bei meiner Seele, du bist herzergreifend liebevoll/Wenn ich dich sehe, füllst du mein Herz zum Rand mit Liebe voll." Mir wäre es aber zu peinlich, sie an einen geliebten Menschen zu schicken. Was, wenn der mich dafür auslacht, daß ich "liebevoll" auf " Liebe voll" reime? Oder der Empfänger mit diesem Zweizeiler, der sich anno irgendwann von Untenende aus bis in alle Enden Deutschlands und Österreichs ausgebreitet hat, geantwortet hätte: "Du bist der Beweis: Die Reimer und die Dichter/Haben die dümmsten Gesichter."

Nicht, daß Ihr jetzt denkt, daß das Xaverle ein dummes Gesicht hätte, aber zum Trottel macht er sich schon. Allerdings wird er das mit Gleichmut hinnehmen, denn gerade jetzt, wo ich Euch von vergeigten Liebesgedichten berichte, steht sein vergeigter Lovesong auf Platz 2 der deutschen Hitparade. Doch was heißt "vergeigt"? So einfach läßt sich das Urteil nicht fällen. Das Lied und vor allem die obengenannten Zeilen sind nämlich so schräg, daß sie schon wieder etwas haben. Und natürlich trägt Naidoo sein Liebeswerben auch noch so wundervoll vor, daß ich ihm nun mit Insterburg & Co. zurufen will: "Du singst sanft aus Deinem Hals/Da schmilzt das härteste Ohrenschmalz/Zu dir sagte Herbert Wehner/Nur Engel singen schöner."

Ja, Ihr lieben Leute da draußen in Wald und Flur, auf der Heide oder sonstwo, Xavier Naidoo vertont sein eigenes Hohelied der Liebe in Form eines wirklich netten, ziemlich simplen Soulsongs. Das ist weniger überkandidelt und scheinambitioniert und viel leichter als "Dieser Weg" oder andere Lieder aus seiner Feder. Kitschig ist es auch, aber es gibt bekanntermaßen ein Grundrecht auf Kitsch. Außerdem hat uns der Apostel Paulus im Abbinder seines ersten Briefes an die Korinther folgende Zeilen mitgegeben: "Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei/doch am größten unter ihnen ist die Liebe." Und weil das so ist, spricht der Xaver grad aus, was ganz viele Menschen fühlen, sich aber nicht sagen trauen. Ach, sein Lied ist echt ziemlich toll/Weil der Text mal nicht so mit Worten voll.

In diesem Sinne. Paßt auf euch auf, damit ihr nächste Woche frisch und munter lesen könnt, was ich über Daft Punk schreiben werde.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Xavier Naidoo: "Bei meiner Seele"

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Enthalten auf der gleichnamigen CD (Naidoo Records/Tonpool)

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