Barfuß zu mehr Gesundheit und Lebensfreude
Kolumnen_Unten ohne
Schutzbesohlung? Nein, danke!
Wundern Sie sich auch gelegentlich, wenn Ihnen fernab von Wald und Wiese Menschen ohne Schuhwerk begegnen? Kein Grund zur Panik - dahinter steckt ein tieferer Sinn. Katja Kulin verrät ihn nun schon zum zweiten Mal in ihrer EVOLVER-exklusiven Kolumne "Unten ohne". 11.02.2013
Jede Stadt braucht einen komischen Kauz. Einen, über den man tuscheln kann. Früher war das der, der immer leicht verwahrlost erschien, mit seinem Strubbelkopf mehr nach Wahnsinn als nach Genie aussah und den spätestens seine in der Öffentlichkeit geführten Selbstgespräche als "verrückt" verrieten. Heute, in der Zeit des Post-Grunge- und HipHop-Looks und vor allem der Handy-Headsets, ist das nicht mehr so einfach. Laut ins Nichts sprechende und wild gestikulierende Menschen, deren Hosen in den Kniekehlen hängen, sind alltäglich. Da ist schon anderes vonnöten, um sich der eigenen Normalität zuverlässig versichern und abgrenzen zu können.
An dieser Stelle kommt natürlich der gemeine Dauerbarfüßer ins Spiel. Taucht er im Winter in Mantel und Schal, aber baren Fußes morgens beim Bäcker auf, ist er gleich derart suspekt, daß er gar nicht mehr selbst angesprochen wird, sondern nach angemessenem Blickbombardement vielmehr zum Objekt des Gesprächs der Schlangestehenden wird. "Geht inzwischen ja immer früher los mit dem Alzheimer", ist dann beispielsweise zu hören. Zungenschnalzen und Kopfschütteln folgen.
Auch auf freiem Feld setzt man sich im Winter lieber nicht direkt mit einem Unbeschuhten auseinander. Schließlich kann die Polizei viel besser ermitteln, ob es sich um eine sogenannte hilflose Person handelt oder, schlimmer noch, dieser Jemand aus gewissen Anstalten entwichen ist und vor seiner Flucht einfach keine Zeit hatte, noch umständlich die Schuhe zu schnüren.
Der Freund und Helfer erscheint, weil er muß, läßt sich den Personalausweis zeigen und erklären, warum die baren Füße nun doch kein Zeichen geistiger Umnachtung sind. So entspinnt sich manch amüsantes Gespräch, doch könnte der Ordnungshüter seine Zeit sicher gewinnbringender zum Wohle des Volkes nutzen.
Aber auch bei gemäßigten Temperaturen weckt ein Barfüßer oft den Drang des Beschuhten, für Recht und Ordnung zu sorgen. Ganz besonders gilt dies für geschlossene Räume. Das Betreten eines Supermarkts ohne Fußbekleidung wurde schon für manchen zu einem Abenteuer, das mit Hausverbot endete. Das wichtigste und gleichzeitig am wenigsten nachvollziehbare Argument hierbei: die Hygiene. Als trüge man unter den blanken Sohlen anderen Dreck als unter Schuhen. Oder als drehte man die Äpfel auf der Suche nach dem schönsten Exemplar nicht zwischen den Fingern, sondern den Zehen.
Von Filialleitern wird gern auch auf die Verletzungsgefahr durch Scherben hingewiesen. Daß man sich in irgendeinem Markt wirklich seinen Weg durch einen Splitterteppich bahnen müßte oder die frisch heruntergefallene Milchflasche übersehen könnte, ist mir allerdings bisher nirgends aufgefallen.
Doch auch in Flugzeugen scheint die Verletzungsgefahr mit bloßen Füßen sprunghaft anzusteigen. So ein Boarding ist in Flip-Flops oder High Heels offenbar leichter zu bewältigen. In der Reihe der teils aberwitzigen Begründungen für ein Barfußverbot fehlt nur noch, man wolle für den Fall eines Absturzes vorsorgen, denn barfuß könne man ja nicht durch brennende Trümmer laufen.
In den meisten Fällen fördern Diskussionen mit weisungsbefugtem Personal dann zutage, daß überhaupt keine speziellen Vorschriften bezüglich der Fußbekleidung bestehen. Dann gilt kurzerhand eben nicht etwa, daß nicht sein kann, was nicht sein darf - sondern daß nicht sein kann, was bisher nicht vorgekommen ist. Wenn man sich nicht fügt und widerwillig ein Paar Schuhe anzieht, dann setzt es unweigerlich Hausverbot. Da Barfüßer ziemlich stur sein können, nehmen sie das gern in Kauf und weichen zum nächsten Markt oder Restaurant etc. aus, in dem man nichts gegen sie einzuwenden hat. Und davon gibt es glücklicherweise jede Menge, besonders in Gegenden, in denen man häufiger Unbeschuhte sieht. Teile Bayerns und Österreichs gehören unter anderem dazu.
Daß manch ein Angestellter in seiner Verpflichtung dem Arbeitgeber gegenüber bei unklarer Vorschriftslage lieber zu vorsichtig als zu nachlässig ist, kann man übrigens mit ein bißchen Nachsicht noch verstehen. Warum aber auch völlig unbeteiligte Dritte sich von der bloßen Gegenwart blanker Füße so bedroht fühlen, daß sie im Extremfall sogar hand- beziehungsweise fußgreiflich werden, bleibt völlig unbegreiflich.
So geschehen ist das etwa einer Kollegin an der Kasse eines Bochumer Einkaufsmarkts: Nachdem sie dem Mann bereits auf dem Parkplatz ein Dorn im Auge gewesen war, trat er ihr im Laden mit den Worten "Das ist ein zivilisiertes Land. Wo kämen wir denn hin, wenn alle das machten?!" einmal kräftig auf den Fuß. Es folgte eine schmerzhafte Schwellung, die jedoch weniger groß war als die Fassungslosigkeit über dieses Verhalten.
Solche Vorfälle betrüben, weil sie zeigen, daß Respekt und Toleranz nicht automatisch selbstverständlich sind, auch wenn man mit dem eigenen Tun den Freiraum eines anderen in keiner Weise einschränkt.
Wer nun glaubt, Barfußgehen sei folglich überhaupt kein Spaß, sondern eher dem Spießrutenlauf ähnlich, der kann beruhigt sein: Die positiven Erlebnisse (oder schlichte Nichtreaktionen) sind gegenüber den negativen in deutlicher Überzahl. Die unerhörten Begebenheiten halten sich aber dennoch viel besser im Gedächtnis und lassen einem beim Erzählen erneut den wohligen Schauer der Entrüstung über den Rücken laufen.
Die Autorin faßt sich daher an die eigene Nase und gelobt Besserung: Der nächste Teil von "Unten ohne" wird sich all den guten Gründen widmen, die für das Ausziehen der Schuhe sprechen. Daraus könnte aber auch eine Doppelfolge werden ... mindestens.
Kommentare_
Ich gehe oft barfuss. Aber mir sind obengenannte Vorfälle unbekannt. Sowohl im Supermarkt, noch beim Boarding oder auch im Flugzeug selber hatte ich nie ein Problem. Sei mir nicht böse, aber ich glaube nicht allesamt, was Du hier schreibst. Vor allem jenes nicht, welches irgendwie nach Barfussforum tönt.
Lieber Thom,
ich kann gut verstehen, dass es dir schwerfällt, den negativen Berichten Glauben zu schenken, wenn du selbst nur Positives erlebt hast (Glückwunsch dazu, übrigens!). Man neigt ja ganz automatisch dazu, die eigenen Erfahrungen zu verallgemeinern.
Ich selbst konnte speziell solche Dinge wie die Tätlichkeit auch kaum glauben, weil ein derart aggressives Verhalten eigentlich außerhalb des Rahmens liegt, den ich mir vorstellen kann. Leider macht es das nicht weniger wahr.
Dennoch sei an dieser Stelle noch einmal auf die letzten beiden Absätze obiger Kolumne verwiesen und gesagt: Insgesamt betrachtet sind solche sehr extremen Vorfälle die Ausnahme - zum Glück.
Herzliche Grüße
Katja Kulin
Was mich wundert, ist die Tatsache, daß es heute schon für alles Forum gibt - einen Club einsamer Herzen für Leute, die ohne Schuhe unterwegs sind? Wozu? Braucht ihr jemanden, der euch die Hand (den Fuß) hält? Könnt ihr euren Weg nicht alleine gehen?