Kolumnen_Miststück der Woche III/96 - Leserwunsch #6

Tonio K.: "The Funky Western Civilization"

Just another Leserwunsch: Dieses Mal kommt Manfred Prescher ein wenig in die Bredouille, denn so sehr er auch im Hirnkastl herumwühlt - allzuviel weiß er über den Interpreten nicht. Und auch das Internetz gibt nicht extra viel her. Er versucht aber trotzdem, sich dem Song zu nähern.    29.09.2014

Während er das tut, könnt ihr derweil nach eigenen Wünschen schauen und ihm diese dann ins Gesichtsbuch oder hier drunter posten.

 

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

"Der Mensch ist gut, nur die Leute sind schlecht" - das Urheberrecht auf diesen Satz oder auf eine inhaltlich sehr ähnliche Formulierung teile ich mir mit Georg Christoph Lichtenberg, Dorothy Parker, Helmut Qualtinger, Gerhard Polt und Nick Cave.

Er stimmt natürlich, egal, aus wessen Hirnschwurbel er tatsächlich stammt. Man braucht sich ja nur oberflächlich umzusehen und noch nicht mal systemtheoretische Bücher zu wälzen. Die Welt ist ein Ort, an dem sehr viel schlimme Dinge passieren. In unserer westlichen Zivilisation wird versucht, diese unter einen schönglitzernden Teppich zu kehren. Während man sich wieder dem neuesten iPhone oder der nächsten Nobelabsteige zuwendet bzw. meinetwegen auch dem nächsten Trend hinterherrennt und ihn doch nicht erreicht, hofft man, all der Müll würde unbemerkt verrotten. Was aber nicht klappt, weil die Medien allgegenwärtig sind - und es wirkt, als sei alles noch schlimmer, als es ohnehin schon war. Ich aber sage euch: Der Mensch in unserem abendländisch sozialisierten Dunstkreis war schon zu den Zeiten von Lichtenberg oder Parker genauso heftig drauf, wie er es heute ist. Nur konnte er damals nicht überall, pausenlos und sofort seinen an sich unmaßgeblichen Senf dazugeben und ihn allein durch die schiere Masse maßgeblich machen.

Das war schon immer so, auch in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals leuchteten die Farben weniger als heute, der Grauschleier hing noch über den Städten, und die jüngste Vergangenheit war leider noch nicht so vergangen, daß Klementine sie nachträglich reinwaschen konnte. Passend dazu fällt mir ein, was mir die beste Liebespartnerin von allen gestern erzählt hat, als ich ihr von diesem "Miststück" berichtete.  Sie wußte von einem Interview, in dem man angeblich Mahatma Gandhi mit der folgenden Frage konfrontierte: "What do you think of Western civilization?" Seine Antwort fiel so knapp wie auch aus heutiger Sicht richtig aus: "I think it would be a good idea."

 

1978 war die westliche Zivilisation immer noch nicht mehr als eine Schimäre, und die Punks glaubten nicht nur nicht an irgendeine Zukunft, sondern die Bewegung war bereits endgültig im Mainstream von H&M und Co. angekommen. Das ist, um es mit Foucault zu sagen, zum einen logisch, weil aus Defätismus per se gar keine verändernde Entwicklung hervorgehen kann, zum anderen aber auch der typische Mechanismus unserer Pseudo-Zivilisation: Alles, was mehr als eine Handvoll Menschen zusammenbringt, wird auf dem Markt der unbegrenzten Möglichkeiten so ausgeschlachtet, daß der Geldfluß über die Ufer treten kann.

Musikalisch kam auf Punk die sogenannte Neue Welle - oder auf neu-steirisch "New Wave". Man tanzte den Mussolini, den Rocksteady-Beat oder auch den Veitstanz um den goldenen Jumbojet ("Ca Plane Pour Moi"). Der Amerikaner Steven "Tonio K." Krikorian wiederum versuchte unsere Zivilisation in Bewegungsenergie umzuwandeln, die das Taumeln am Rand des Vulkans möglich macht. Textlich war und ist sein Song "The Funky Western Civilization" nicht so weit weg von Gandhis ebenso einfacher wie genialer Replik, da er beispielsweise beschreibt, daß jede Minute ein "Baby ohne Chance" geboren wird, daß es "Feuer auf der Straße" gibt und daß man "Hitler auf den Fahrersitz" gehoben hat. Damit skizziert Tonio K. eine Gesellschaft, die eben nicht zivilisiert, sondern unmenschlich ist.

Ob Gandhi den flotten Post-Punk-Beat auch gemoch und den Text inhaltlich unterschrieben hätte? Wahrscheinlich nicht. Weil Tonio K. natürlich keine Gesellschaftskritik betreibt und auch keine Zustände offenlegt, um auf eine Verbesserung zu hoffen - das wäre auch ein bisserl viel verlangt für einen Popsong. Es ist nur eine zynische Attitüde, die sich durch das komplette dazugehörige Album "Life In The Foodchain" zieht: Da wird das russische Maschinengewehr AK-47 als Rhythmusinstrument eingesetzt oder von einer hoffnungslosen Liebe zu einer Vampirin berichtet. Witzig, ironisch bzw. ziemlich böse sind die Texte - und damit ähnlich zeitlos komisch wie die Songs von Monty Python, nur halt eben energiegeladener.

In den sechziger Jahren tanzte man den Hund, das "funky chicken" oder auch zermanschte Kartoffeln, in den Siebzigern und frühen Achtzigern bewegte man sich dann zum möglichen Weltuntergang, zur sukzessiven Übernahme des Planeten durch Computer, zur Neutronenbombe oder zum "Personal Jesus". Tonio K., der meines Wissens nach unter anderem Songs für so unterschiedliche Künstler wie Steve "Sex Pistols" Jones, Al Green, Chicago oder Burt Bacharach schrieb, hat mit "The Funky Western Civilization" einfach nur den Zeitgeist aufgesogen und daraus ein doch zeitloses Popstück gemacht. Blöde ist nur, daß es keiner mehr kennt ... das neue iPhone ist einem halt näher als der Sound von anno dazumal.

 

 

 

Nächste Woche bleiben wir in der Epoche von Tonio K.s Song - der Leserwunsch, den ich erfüllen werde, hat etwas sehr Kindliches und ist das liedgewordene "Mork vom Ork trifft den Kindergarten von Dingenskirchen". Wie naiv man damals war und warum man "Fred vom Jupiter" heute nicht mehr so aufnehmen könnte, beantworte ich im nächsten "Miststück". Bis dahin macht es gut und schaut, daß ihr euch etwas zivilisierter benehmt als der Rest, dann klappt´s vielleicht auch mit der westlichen Gesellschaft. Wie sagte schon Gandhi? "Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt."

Na eben.

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Tonio K.: "The Funky Western Civilization"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "Life in the Foodchain" (Gadfly)

Links:

Kommentare_

tinti - 30.09.2014 : 08.42
codo von döf wär spitze!
Manfred Prescher - 06.10.2014 : 08.52
Hallo tinti,

Codo ist auf der Liste
tinti - 14.10.2014 : 20.21
danke, freu mich!
lg,tinti

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