The Who: "Boris The Spider"
Enthalten auf der CD "A Quick One" (Geffen/Polydor Ltd.)
Wieder einmal wünscht sich ein Leser nur eine Band, verzichtet aber auf eine gezielte Song-Auswahl. Da möchte man doch glatt, wie die Who Mitte der 1960er Jahre, das Equipment zusammenhauen und "Geht’s bitte genauer?!" rufen. So wie Manfred Prescher ... 29.06.2015
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Sollte man von den eigenen Ängsten singen? Warum eigentlich nicht? Das ist vermutlich eine gute Bewältigungsstrategie und wird von wohlwollenden Psychologen bestimmt als "therapeutisches Geschenk" bezeichnet. John Entwistle, der Bassist der Who, hatte jedenfalls als Kind panische Angst vor Spinnen. Wahrscheinlich hat er, was generationsmäßig passen würde, den Film über die riesige "Tarantula" vom noch riesigeren Trash-Regisseur Jack Arnold gesehen, der anno 1955 in die Kinos kam. In dem Streifen verbreiteten sich Angst und Schrecken über einen ganzen Landstrich - und der kleine John kroch vermutlich zitternd unter den Kinosessel. Was natürlich kein Wunder ist, denn der Bub war gerade mal elf und wir wissen ja, wie rückständig Jungs in ihrer Entwicklung waren bzw. sind. Allerdings ist die Arachnaphobie weiter verbreitet als die Angst vor Spinnern, deren Marktanteil im Segment der "gesellschaftlich relevanten Panikarten" aber stetig steigt.
Bevor es nun, wie der Wiener sagt, gar zu "verwoardakelt" wird: Viele Songs hat John Entwistle nicht geschrieben - und "Boris The Spider" entstand aus einer Bierlaune heraus. Beim nächtlichen Gelage mit Bill Wyman, dem Baßkollegen von den Rolling Stones, ging es irgendwann um lustige Tiere, die man mal besingen oder auf der Bühne musikalisch bespringen sollte. Da man Onchao, das grenzdebile Einhorn, noch nicht kannte und die Gattungen der "Hornochsen" und "blöden Hunde" für zu albern hielt, blieb man bei "Boris The Spider" hängen. Das Lied ist wirklich sehr lustig, vor allem wegen des sehr adäquat gesungenen Gekrabbels, diesem "creepy crawly", das den Song so prägt, daß man meint, Boris würde gerade eben die Wände der eigenen Kemenate hochkriechen.
"Boris" wurde übrigens nicht zum Hit - aber das lag sicher nicht an "dem possierlichen Gesellen" (Heinz Sielmann) mit den acht Beinen. Nein, der Track kam nie als Single heraus, was nun auch wieder nicht ganz stimmt. In Japan, dem Land von Godzilla und Mothra, wurde er immerhin als B-Seite des tatsächlich ebenfalls von Entwhistle geschriebenen "Whiskey Man" ausgekoppelt. Aber auf dem zweiten Who-Album "A Quick One", dessen Single-Hit übrigens das ebenfalls sehr putzige "Happy Jack" war, machte das kleine Krabbeltier fast soviel Eindruck wie Peter Parker als Spider-Man oder das von Homer Simpson besungene "Spider-Schwein" aus dem Kinofilm um Matt Groenings schrecklich gelbe Familie. Live entpuppte sich "Boris" als echtes Zugpferd bzw. als echte Zugspinne, aber wir wissen ja, daß die meisten Menschen ein Herz für Tiere haben. Mittlerweile geht diese Liebe so weit, daß viele Zeitgenossen gar nicht mehr direkt reinbeißen müssen in den mehrbeinigen Erdmitbewohner.
Ich habe übrigens ebenfalls lange unter einer Spinnenangst gelitten – aber dennoch nicht so reagiert, wie ich es in einem Interview gehört habe:
Interviewer: Sind Sie Buddhistin?
Interviewte: Nein, warum?
Interviewer: Dann kann ich die Stechfliege ja ... (eine Hand schlägt zu)
Es genügt ja eigentlich, die Spinne auszusetzen, also ein Glas und einen Untersetzer zu nehmen, auf die Beinchen Stücker acht zu achten - und Boris, Tarantula und Co. ins Freie zu entlassen. Schließlich verrichten Spinnen ein nützliches Tagwerk, schützen uns vor Stechmücken und werden Helden in putzigen Liedern. Ohne Boris wäre John Entwistle wahrscheinlich nie Song-Autor geworden.
Nächste Woche geht es hier um ein ganz anderes Lied: Eine Leserin wünschte sich, daß ich etwas über "Your Song" von Elton John mache. Dem komm´ ich natürlich gern nach - und werde das Original mit der gelungenen Version von Al Bundy - äh - Al "L Is For Lover" Jarreau vergleichen. Bis dahin seid lieb zueinander, zu euch selbst und zu Boris. Und wenn ihr Tarantula trefft, bedenkt: sie meint es nicht böse.
The Who: "Boris The Spider"
Enthalten auf der CD "A Quick One" (Geffen/Polydor Ltd.)
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