The Sweet: "Hell Raiser"
Enthalten u. a. auf der CD "Greatest Hits" (Rca Camden/Sony)
Sie sind auf ewig unterschätzt - obwohl Zeitgenossen wie Morrissey, Noel Gallagher, David Bowie und Manfred Prescher auf sie abfahren. Es ist also mehr als angebracht, diese Band mal zu würdigen. Gott sei Dank hat sich ein Leser erbarmt und einen Song der Glam-Hardrocker gewünscht. 16.02.2015
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Als der Glamrock aufkam, waren The Sweet schon längst alte Hasen. Die Jungs hatten es drauf, was man ersten Hits wie "Co-Co" oder "Poppa Joe" nicht anhört. Das ist kein Wunder, da die vier am Anfang tatsächlich durch Studiomusiker ersetzt wurden. Da kann man nur, um mit Kapitän Haddock zu sprechen, "100.000 heulende und frierende Höllenhunde!" ausrufen und zunächst mal die Sweet-Entdecker Chinn und Chapman, praktisch die Stock, Aitken und Dingenskirchen der 70er Jahre damit geißeln - und dann jeden anderen, der das verdient. Zum Herumgeißeln hören wir passenderweise "Hell Raiser", und ab geht die rasante Fahrt auf dem wilden Strom von Schimpf und Schande. Doch bevor ich wirklich um mich schlage, bis sich das Tor zur Hölle öffnet (das auf gut Englisch eben hellraiser heißt), sei erwähnt, daß die Sweet wirklich Hit auf Hit aneinanderreihten. Allein Stücker sechs wurden hintereinander Nummer 1 in der BRD. Nur Abba und die Beatles hatten mehr, die Könige Elvis und Michael sogar weniger. "Hell Raiser" ist der vierte dieser Gipfelstürmer, nach - Urmenschen mit Gedächtnis könnten das noch wissen - "Little Willy", "Wig-Wam Bam" und "Blockbuster!", aber noch vor "Ballroom Blitz" und "Teenage Rampage".
Aber jetzt gibt´s einen Satz heißer Ohren für mich - und das nicht etwa, weil mir irgendjemand zum Valentinstag Backpfeifen geschenkt hätte. Nein, ich lasse mir zuerst vom rasend-überschnappenden Rock von "Hell Raiser" den Gehörgang erhitzen und dann mein Gemüt.
Aber wo wir schon bei Backpfeifen sind: Damals, als die Sweet noch unzüchtige Texte schrieben, als sich Sänger Brian Connolly und David Bowie "spontan" und anläßlich von "Ballroom Blitz" per Zungenverknotung küßten, damals reagierte noch Paul der Sechste über die konservativ-katholische Schar. Heute, 42 Jahre nach dem Release der Sweet-Single, um die es heute geht, steht diese immer noch frisch und munter in der Weltgeschichte herum, während der Papst, der inzwischen Franziskus heißt, Dinge vom Stapel läßt, gegen die man anno ´68 schon aufbegehrte. Und womit? Mit Recht! Aber wie sangen Sweet schon 1974 in "The Six Teens"? Richtig: "´68 was ´68, no matter what they say." Und weil sich halt nicht wirklich viel ändert auf diesem Globus, propagiert das Oberhaupt der seit der Teilung Roms irgendwo zurückgebliebenen Uraltkatholiken, daß es doch würdig, recht und vor allem angebracht sei, Kinder regelmäßig mit gezielten Sätzen heißer Ohren maßzuregeln.
Bevor man mir unterstellt, daß ich generell gegen Gläubige wettere, sei hiermit aktenkundig vermerkt: Ich wettere nur gegen einen Geist, der schon zu Jesus´ Zeiten im Alten Testament verschlossen wurde. Deshalb kam der Heiland ja wohl angeblich auch auf die Erde hernieder, wo wir Menschen sind: damit wir uns lieben, ehren und möglichst ohne Gewalt "Kinderinnen und Kinder" (Uli Stein) erziehen. Mich erinnert die Aussage des aktuellen Führungsgreises an ein altes "Titanic"-Titelbild. Das zeigte seinerzeit den Führer, der gerade Hitlerjungen tätschelte oder haute, auf daß sie sich im Volkssturm aufreiben ließen. Die Headline war so oder ähnlich: "Da hast a Watsch´n, Saubua, weilst den Krieg verloren hast!" Genau: Mit Schlägen macht man Menschenkinder so gefügig, daß sie sogar an die "heilige Mutter der gesegneten Beschleunigung" (Blues Brothers) oder sonst irgendeinen Kokolores glauben. Dabei geht es, so lassen sich Worte und Taten von JC auch interpretieren, doch um ein Leben, das moralisch integer im Einklang mit der Natur über die Zeit gebracht wird.
Und was heißt das? Kinder werden nicht geprügelt, sonst werden sie zu Duckmäusern, die sehr leicht ihrerseits wieder ihre Mitgeschöpfe malträtieren. Gut, solange sie ihre verständliche Wut auf die Altvorderen am Papst auslassen, sei mir das würdig und mehr als recht.
Das mußte wirklich mal gesagt werden, vor allem, weil es so schön zu "Hell Raiser" von The Sweet paßt. Auch wenn die von einem höllisch hübschen Menschen weiblicher Provenienz singen. Man stelle sich mal vor, so ein Wesen würde vor dem Höllentor auf den sittsam keuschen Pädagogen vom alten Schlag warten. Der würde wahrscheinlich von seinem ultrarechten Glauben abfallen, 100.000 keuchende Höllenhunde nochmal! Und damit das klar ist: Gegen diese verschnarchte Vorgestrigkeit zogen die Glamrocker androgyn zu Felde, ließen die Punks ihre "Rattus Norvegicus" los oder hauten The Who alles zu Brei, was ansonsten lieblich ertönen hätte können.
Nächtste Woche wird es hier um ein Stück Österreich gehen, das die Bergdörfler von mir aus gern behalten dürfen. Aber im Ernst, so schlecht sind STS gar nicht. Auf der nach unten offenen Andrea-Berg-Skala rangieren sie deutlich über Pur. Erst recht mit dem Wunschsong "Da kummt die Sunn". Bis dahin: Geht´s heim in euer persönliches "Fürstenfeld" oder euer "Private Idaho" - und seid lieb zu euren Mitmenschen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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