The Housemartins: "Flag Day"
Enthalten auf der CD "London 0 Hull 4" (Mercury/1986 Go! Discs Ltd.)
Manchmal starten Bands mit ihrer ersten Single durch, andere Male aber auch nicht. Warum die Briten das Debüt der Housemartins erst allmählich zum Dauerbrenner machten, wird man mal bei einem gepflegten Fünfuhrtee eruieren müssen. Der Song jedenfalls ist zeitlos schön - und außerdem ein weiterer Leserwunsch. 10.11.2014
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Was singt denn der da? "Es gibt zu viele Florence Nightingales und zu wenige Robin Hoods"? Kann das sein? Ja, richtig gehört. Aber ist es nicht so, daß es niemals genug barmherzige Samariterinnen geben kann? Daß wir eigentlich viel zu egoistisch und zu wenig hilfsbereit sind? Und daß Männer in Strumpfhosen eigentlich ziemlich doof aussehen und sich der Kleidungsstil seit der Zeit, als es im Sherwood Forest noch wild einherging, entscheidend geändert hat? Aber mal im Ernst: Die Zahl der Frauen, die sich wie Florence Nightingale bis zur Selbstauflösung und zudem schlecht bezahlt altruistisch betätigen, ist immer noch immens hoch. Ausbeutung und Knechtschaft, bis die helfenden Hände lahm werden ... Alleinverantwortlich für Aufzucht, Pflege und Hege von Kind und Kegel. Und dann bleibt nur Zeit für die Lektüre von Lind, aber nicht von Hegel.
Womit wir bei den Robin Hoods wären: Der Kapitalismus ist eine sehr maskuline Angelegenheit, bei der der Bizeps in die Ellenbogen rutscht. Man setzt sich auf Kosten anderer durch, bereichert sich und schwelgt egozentrisch um die eigene Achse. Gedanken und Handeln kreisen um den persönlichen Vorteil. Und da, wie Hegel sagte, der Mensch das, was er als Mensch sein soll, erst durch Bildung ist, entstehen falsche Wertesysteme durch mangelnde Herzensbildung. So sieht´s aus.
Insofern wären mehr männliche Nightingales eigentlich eine prima Idee: Männer mit einem Gespür für andere Menschen und dem Wunsch, in Notlagen für andere einzustehen. Im Gegenzug sollten dann mehr weibliche Robin Hoods durch die Welt streifen und das Kapital umverteilen, bis es gerecht zugeht auf unserem blauen Kiesel. Den Damen stehen außerdem Strumpfhosen meistens sowieso besser.
Wo wir schon bei der Farbe Blau sind: Die Mehlschwalbe - oder auf gut Englisch: the housemartin - ist ein sehr süßer Sperlingsvogel mit einem teilweise dunkelblauen Gefieder. Nach diesem possierlichen, so zirka 13 Zentimeter kleinen Tier hat sich die Band um den singenden Songwriter Paul Heaton seinerzeit benannt. Seinerzeit ... irgendwo nahe der Manderville Close in Kingston upon Hull gründete Heaton seine Gruppe, die als Eintagsfliege gilt, aber doch etwas mehr war. Ich würde sie als "Zweijahresschwalbe" bezeichnen, da die einzigen beiden Alben der Housemartins 1985 und 1986 immerhin in den britischen Top Ten landeten, wobei sich das Debüt "London 0 Hull 4" deutlich besser verkaufte. Was aber ganz eindeutig und sehr zu meinem - und der Leserin, die sich das heutige "Miststück" wünschte - Leidwesen nicht an "Flag Day" liegt. Sondern an einem "Ba da da da, ba da da da", sprich an einer singvogelgleich a cappella geträllerten Coverversion des Isley-Brothers-Songs "Caravan Of Love". Ja, das war ein Ohrwurm, der die Hörmuscheln der westlichen Welt nachhaltig verklebte, tatsächlich in seiner Flying-Pickets-Mäßigkeit besser klang als das überladen produzierte Original und trotzdem nicht dazu beitrug, daß die Liebe Einzug in jedes Haus halten konnte.
So war das damals also. Der "Flag Day" ist heute allerdings immer noch aktuell, weil sich überall Menschen unter irgendwelchen gebatikten, bedruckten oder sonstwie verzierten Stoffetzen versammeln, um dann schlimme Dinge zu tun. Die Amerikaner haben ihren "Flag Day", aber ihre "stars are out tonight", um es mit David Bowie zu sagen. Wer sich unter der Flagge mit anderen zusammenrottet, gibt ganz schnell und ohne Federlesens das eigene Denken auf. Und dann ist der Mensch zu allem fähig. Das sagte nicht der alte Hegel, sondern der gar nicht mal so junge Schamane hier an der Tastatur. Hugh, ich habe gesprochen.
Das knapp fünfeinhalb Minuten lange Stück der Housemartins erschien 1985 und klingt - zumindest in Heatons Live-Versionen - auch ein wenig nach The Smiths. Es kam nur bis Platz 124 der britischen Charts - wahrscheinlich, weil zu viele Menschen zwischen Glasgow, Cardiff und Dover unter dem Union Jack stehend an ihrem Ex-Empire verzweifeln. Wir erinnern uns: Noch im Herbst 1984 erschütterte ein Anschlag der IRA mitten im beschaulichen Brighton nicht nur die englische Öffentlichkeit. In Brighton hielt sich damals Margret Thatcher mit ihren Ministern auf, um die Reste ihres Reichs irgendwie zusammenzuhalten. Die einen töteten unter dem Zeichen der irischen Flagge der IRA, die anderen verschacherten gerade unter der königlich britischen Fahne Hongkong zurück an China.
In Zeiten von Pershing, Kriegen und Krisen haben die Housemartins das Gegenlied gefunden - aber friedlich ist das auch nicht: "It´s a waste of time if you know what they mean/Try shaking a box in front of the Queen/´Cause her purse is fat and bursting at the seams”. Ein echter Robin Hood hätte die Sherriffs von Nottingham und Brighton vermöbelt, Lisbeth dazu genötigt, mehr Geld in männliche wie weibliche Florence Nightingales zu investieren, und Margaret Thatcher aus dem Parlament gejagt. Wie wir wissen, kam dann doch alles anders.
Nächste Woche wird hier auch alles anders sein. Dann schreibe ich nämlich über einen alten Country-Song, der von Dean Martin nachhaltig veredelt wurde: "Send Me The Pillow" ist ein echter Klassiker, zu dem mir im Moment nicht mehr einfällt, außer man Febreze im Haus haben sollte, wenn der Postmann zweimal klingelt und das miefende Ding anschleppt. Ich weiß natürlich, daß Dino das anders meint - es geht um den Duft der Liebsten. Den sollte man für Notfälle mal in Febreze-Botteln abfüllen und parat haben, wenn man das Gefühl hat, die Sehnsucht würde einen mit dem Gewicht eines vollbesetzten Nachtbusses überrollen. Bis ich aber über Dean Martin fabulieren werde, vergeht noch ein wenig Zeit ... Zeit, in der ihr euch bitte von Flaggen fernhalten möget. Es ist allemal besser, mit einer "Caravan" oder einem "Caravan Of Love" unterwegs zu sein.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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