Kolumnen_Miststück der Woche III/94 - Leserwunsch #4

The Eagles: "Hotel California"

Wünsche über Wünsche - und mittendrin ein furchtloser Kolumnist, der sich auch waschechter Gassenhauer annimmt. Über die mag durchaus schon alles Erdenkliche geschrieben worden sein. Aber vielleicht nicht alles Unerdenkliche, findet Manfred Prescher. Während er in die Tasten haut, könnt ihr euch übrigens weiter fleißig Lieder wünschen, über die ihr Erbauliches lesen möchtet.    15.09.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

Im Gegensatz zu Igeln sind die Eagles nicht stachlich-pieksig, sondern nachgerade elegant. Sie gleiten durch ihre Hits, etwa durch "Desperado", "The Long Run" oder "New Kid In Town" wie auf majestätischen Schwingen. Deshalb paßt der Bandname natürlich perfekt, denn die Westcoast-Country-Rocker haben sich nach dem König der Lüfte, dem Adler, benannt. Der Igel heißt übrigens im englischen "Hedgehog" und hat als blaue Computerspielfigur Sonic mehr Tempo drauf als die meisten Songs der Kalifornier.

Die Eagles, die seit 1971 konsequent auf den Spuren der Byrds wandeln und sich auf ihrem Weg immer weiter zu einer sehr eigenständigen, erfolgreichen Supergruppe entwickelten, schufen mit "Hotel California" ein Monument, das ihre anderen Riesenhits turmhoch überragt. Mit dem Stück beginnt die gleichnamige fünfte LP der Band, Single und Album verkaufen sich besser als geschnittenes Brot. Der Song wird - im Gegensatz zum Backwerk - auch knapp 38 Jahre nach Veröffentlichung nicht schimmlig-schlecht. Das ist das Erstaunliche: "Hotel California" kann man immer wieder hören. Während andere Gassenhauer irgendwann nerven, weil sie auf irgendwelchen "Kuschelrockmonsterirgendwas"-CDs und im Formatradio totgenudelt wurden, entzieht sich das Lied dieser durchaus üblichen geschichtsbedingten Zerstörungswut, obwohl man es praktisch immer und immer wieder durchnudelt. Es funktioniert in der aus "The Big Lebowski" bekannten Flamenco-Version der Gipsy Kings genauso wie als Reggae von Majek Fashek. Nein, Leute, der Typ klingt nur wie Bob Marley, ist es aber nicht. Wahrscheinlich könnte sogar Jürgen Drews eine eigene Variante aufnehmen, ohne "Hotel California" kaputtzukriegen. Wie, das hat er? OK, Asche auf mein Haupt.

 

 

Aber zwei Dinge sind klar: Erstens sind es die 6:30 Minuten der Eagles, die "Hotel California" zu einem magischen Erlebnis von erdzeitalterüberdauerndem Ausmaß machen. Die Eagles waren aber wohl selber gar nicht so sehr von dem Song überzeugt, da die erste Single-Auskopplung aus dem Album das nette, aber doch eher gewöhnliche "New Kid In Town" war. Dazu kam, daß im Vorfeld darüber diskutiert wurde, welcher der beiden Sänger - Glenn Frey oder Don Henley - das Ganze mit seiner Stimme veredeln sollte. Ob man sich demokratisch entschied, weiß ich nicht. Sicher ist aber, daß Henley, der "Hotel California" gemeinsam mit Frey und dem Gitarristen Don Felder schrob, für immer mit dem Stück verbunden sein wird.

Zweitens läßt sich nicht wirklich klären, worum es in dem Song eigentlich geht. Die Herren Frey und Henley antworten auf Nachfragen interessierter Mitmenschen mehr oder minder belustigt, daß sie das selbst nicht wüßten. Don Henley merkte aber an, daß die Worte doch gut klängen ... Wo er recht hat, hat er recht. Das Szenario ist auch sehr seltsam: Man checkt in ein Hotel ein, in dem gestrandete Existenzen den Rest ihres - vermutlich drogenbedingt - dämmrigen Daseins verbringen müssen. Raus kommt aus dem Etablissement sowieso keiner. Steht die Herberge für das Leben an sich? Für eine Zeit, in der wir es uns vor Minibar und Flachbildfernseher einrichten, ab und zu "Sonic" daddeln, Wein trinken und uns den Dunst "billiger Räusche" (Funny van Dannen) aus den Poren schwitzen? Oder erzählt "Hotel California" auf einer Metaebene vom Ende des kalifornischen Traums und der Rückkehr der Blumenkinder auf den harten Boden der amerikanischen Realität? Möglich, möglich.

 

 

Vielleicht sagt das Lied auch etwas ganz anderes, vielleicht läßt es in jedem andere Bilder entstehen, abhängig davon, wie man bzw. frau gerade drauf ist? Ich weiß tatsächlich nicht, was die Leserin, die sich den Song wünschte, mit  "Hotel California" verbindet. Vielleicht sieht sie es, wie Günther Fischer im Buch "Alles klar auf der Andrea Doria", als "gallige Abrechnung mit Reichtum und Verschwendung, verpackt in bittersüße Melodien und garniert mit zwingenden Gitarrensoli"? Keine Ahnung. Was ich aber weiß ist, daß die Eagles einen goldenen Käfig beschreiben. Aus einem solchen grinst uns ihr Überhit seit Jahrzehnten an und zieht uns schon mit dem berühmten Intro in seinen Bann.

Ich versuche, euch nächste Woche auch wieder an diese Kolumne zu fesseln - und zwar mit einem weiteren Leserwunsch. Es wird dann um Subway To Sally und ihren Song "Maria" gehen. Im Augenblick sagt das Lied mir noch nicht so viel, aber ich hab ja noch ein paar Tage Zeit, mich darum zu kümmern. Kann eh nicht weg hier aus dem "Hotel California". Ihr dürft euch übrigens direkt aus eurer Su-ite heraus via WLAN ins Gesichtsbuch einloggen und weitere Wünsche posten. Das täte mich sehr freuen. Bis dahin bestellt noch was, laßt euch nicht ärgern und seid lieb zum Hotelpersonal.

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Eagles: "Hotel California"

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u. a. enthalten auf der gleichnamigen CD (Elektra/Warner)

Links:

Manfred Prescher & Günther Fischer - Alles klar auf der Andrea Doria


Berühmte Songzeilen und ihre Geschichte

 

Primus Verlag (D 2013)

Links:

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