Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 93

The Beatles: "Eight Days A Week"

Das Seltsamste an den Beatles ist nicht ihr doch sehr eigenartiger Haarschnitt aus der Anfangszeit - es ist die unumstößliche Tatsache, daß sie immer noch und immer wieder so erfolgreich sind. Mindestens zwölf Jahre in jedem Jahrzehnt verkaufen sich ihre Gassenhauer besser als jede andere Musik. Und das ist durchaus OK - meint Manfred Prescher.    30.08.2010

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

 

Ach, die Beatles. "Du hättest letztes Mal doch 'Revolution No. 9' statt der 'Love Potion' als 'Miststück' nehmen können", meinte Herausgeber Peter Hiess. Dabei eignet sich die Lennonsche Soundcollage allerhöchstens wegen ihrer Länge als Untermalung des Duschvorgangs. Ansonsten schreckt sie eher ab, sie ist wie ein Brausebad in der Kältekammer. Oder wie Death-Metal-Dingenscore als Soundtrack für den Geschlechtsakt. Wer jetzt sagt, daß das doch ganz cool wäre, hat vermutlich recht. Sollte ich im nächsten Leben als Chuck Norris auf die Welt kommen, dann mache ich das auch. Versprochen.

Ach, die Beatles. Im Dezember 1964, als eigentlich alle zivilisierten Länder jenseits von Afrika oder dem Alpbachtal von Arbeitszeitverkürzung sprechen, jubeln uns "John, Paul, George und Nasenbär" einen zusätzlichen Wochentag unter. Das klingt nach harter Fron und kargem Lohn, wie Freddy Quinn, der Hamburger aus Niederflachnitz, zu singen pflegte. Und genau darum geht es ja auch: Gefühlt schuftet der Mensch an mindestens acht Tagen in der Woche für den Broterwerb, oder wie die Beatles zu jener Zeit als Brot-und-Spiele-Gladiatoren für die Teenies der Welt. Da kommt man einfach nicht zur Ruhe, die Zeit rast dahin, am Ende sind wieder acht Tage um. Wäre da nicht die Liebe zur Angebeteten, man könnte sich gleich - wie in Langs "Metropolis" - in den Mahlstrom einer fürchterlichen Maschine stürzen und dem Insektenleben ein Ende machen.

Aber "John, Paul, der Hippie und Ringo" haben einen Trost parat, ein Lied, das die acht Tage des allwöchentlichen Leidens in sehr einfachen Worten auf einen positiven Punkt bringt: "Hold me, love me, hold me, love me/Ain’t got nothin’ but love babe/Eight days a week". Und dann dieses schönste aller "I love yous", überirdisch gesungen von George Harrison. So wird aus einem Popsong der frühen Sechziger ein Lied, das in allen Ewigkeiten funktionieren wird. "John, der Softie, George und Ringo" haben seinerzeit solche Evergreens praktisch im Sekundentakt auf die Gassen der Welt gehauen. Sie waren dementsprechend im Streß. Deshalb, so wird kolportiert, hat Ringo Starr die Formulierung von der Achttagewoche erfunden. Er fühlte sich wie ein völlig überforderter, übermüdeter Chauffeur, der "eight days a week" im Dauereinsatz ist. Es ranken sich noch einige andere Mythen um "Eight Days A Week", aber die könnt Ihr gern anderswo nachgoogeln. Auf jeden Fall ist es der beste Song des Albums "Beatles For Sale" - toller, passender Name: Der weltweite Beatles-Ausverkauf nahm schon damals völlig ohne Ladenschlußgesetze so wahnwitzige Ausmaße an, daß selbst Ingvar ("Ich Kaufe Einfach Alles" - IKEA) Kamprad vor Neid erbräunen würde.

 

Daß "Vierauge, Paul, George und Ringo" allmählich um jede freie Sekunde mit sich selbst und ihren Ladies rangen und sich kaum gegen das Verlangen von Medien, Fans und EMI nach noch mehr Beatles wehren konnten, zeigt das Sehnen nach Liebe: "Ain’t got nothing but love babe/Eight days a week". In Wahrheit war es natürlich anders, zwischen Tourneen, Ordensverleihung und der konstantesten Hit-Produktion jenseits von Motown blieb nicht mal Zeit für eine Streicheleinheit oder einen Quickie - auch das verdeutlicht das Lied. Wer zwischen den Zeilen hören kann, ist eindeutig im Vorteil: "Love you every day girl/Always on my mind", heißt es in der Mitte des Songs. Mit "Eight Days A Week" beginnt die zweite Seite des Albums "For Sale", zunächst denkt man unweigerlich, daß jetzt all das gut wird, was auf Seite eins mit "No Reply" und vor allem "I’m A Loser" recht defätistisch begann. Aber eigentlich ergänzt das Lied mit dem Bonustag das Duo der Flipside nur. Es ist ein Arbeitersong für überarbeitete Menschen.

 

Nächste Woche werde ich bis zur glorreichen Sieben runterzählen. Meinen absoluten Lieblings-Song mit dieser Zahl im Titel habe ich bereits als Miststück der Woche "abgefeiert" - 7-Rooms Of Gloom von den Four Tops. "Seven Lonely Days" will ich Euch auch nicht zumuten: nicht, daß am Ende noch die Selbstmordrate steigt. Also bleibt "7" von Prince. Es ist nicht der beste Track des Kleinen, aber niemand hat bislang so elegant Otis Redding zitiert. Übrigens, auch die Beatles hatten schon ein eigenes Miststück, nämlich hier.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Beatles - Beatles For Sale

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EMI (Remaster: 2009)

 

Photos: EMI Music Germany

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Kommentare_

DonMartin - 01.09.2010 : 12.56
Hallo Ihr,

großartiges Miststück - mir hat schon das erste über die Beatles gut gefallen. Wäre es möglich, noch mal zu schreiben, warum wir heute die Beatles gut finden sollten?

Martin

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