Teho Teardo & Blixa Bargeld: "Nur zur Erinnerung"
Enthalten auf der CD "Still Smiling" (Specula Records/Audioglobe/rough trade)
Zwei Erneuerer treffen sich und machen das, was sie schon immer getan haben. Doch bei genauerem Hinhören bleibt alles, wie es ist. Und das ist gut so - findet Manfred Prescher. 29.07.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
"Alles muß zurück auf Anfang - nur zur Erinnerung", singt Blixa Bargeld in "Nur zur Erinnerung". Und zuvor zählt er die Erdzeitalter auf, die er vermutlich genausowenig wie ihr da draußen auswendig kennt. Aber man kann ja beim Rezitieren bequem vom iPad aus aus Wikipedia ablesen. Vielleicht ließen sich die Worte "Devon", "Silur" oder "Ordovizium" sogar mit den Sounds des süchtigmachenden Spiels "Dots" verbinden? Wahrscheinlich. Aber Bargelds Mitstreiter, der italienische Musiker Teho Teardo, setzt dazu sein Cello ein - und das klingt schon mal sehr schön. Wenn dann das eigentliche Stück beginnt, ist es so typisch für Blixa Bargeld, erinnert es so sehr an seine Band Einstürzende Neubauten, wie es nur irgendwie geht. Aber ist es schlecht, wenn selbst oder gerade Avantgardisten heutzutage seltsam vertraut tönen? Natürlich nicht.
Schon 1996 dichtete Bargeld für das Lied "Ende Neu" diese Worte: "Einst neue Bauten/Auf der Insel eingestürzt/Tür zu! Wir tanzen weiter/engumschlungen nur/Halt mich fest an den zwei Worten/Ende Neu." Damals vermeinte ich, eine Art altersmüde Mildheit erkannt zu haben, eine Abkehr vom selbsternannten Revoluzzertum. Mit Mitte 30 wollte er, so vermutete ich, nicht mehr länger die häßlichen Gebäude unserer Gesellschaft zum Einstürzen bringen. Denn wer das - so ging meine Logik seinerzeit - mindestens seit Quartär und Neogen, vielleicht aber schon seit dem Urknall getan hat, wird irgendwann zu schwach für die Abrißbirne. Vor allem, wenn sich die härtesten Bunker als unzerstörbar erweisen. Als die Neubauten im Goldenen Saal des ehemaligen Nürnberger Reichsparteitagsgeländes spielten, erlebten mein Freund Jost und ich, daß der harte Klang der Gruppe viel zu weich für den Massivbau der Nazis war. "Aspekte" übertrug ins Fernsehen, was wir vor Ort hautnah spürten: Dort, wo die gespenstischen Aufmärsche stattfanden und sich Hitler auf seine Ansprache vorbereitete, ließ sich die Geschichte nicht zerstören. An diesem Platz wurde deutlich, daß Anspruch und Wirklichkeit auch kulturell auseinanderklaffen müssen.
Dort, wo die braunen Massen vor noch gar nicht allzulanger Zeit die Reihen fest geschlossen hielten und sich marschierend auf einen verheerenden Krieg einstimmten, finden heute "Rock im Park" und das "Norisringrennen" statt. Dort, wo Leni Riefenstahl für Goebbels filmte, spielten danach die Stones und Dylan, die Toten Hosen, Depeche Mode und Metallica. Auf dem Gelände werden auch Bundesligafußball und -Eishockey zelebriert.
Die Geschichte zeigt sich mächtig und stark. Blixa Bargeld wußte natürlich schon immer, daß brachiale Musik nicht in der Lage sein kann, aus Ruinen aufzuerstehen und neue Lebensräume zu erschaffen. Er war, hat er Spiegel Online vor ein paar Jahren mitgeteilt, daher nie der Punk, der das System der Könige umstürzen wollte. Seine Triebfeder ist seit der ersten Neubauten-LP "Kollaps" literarischer Natur. Er ist Künstler, ein Bohemien, der sein Kürbissüppchen beim Sternekoch lieber genießt als hineinzuspucken. Bargeld, der eigentlich Christian Emmerich heißt, residiert längst sehr bürgerlich mit Kind und Kegel in Berlin und läßt sich von der Redakteurin als "Bionade Biedermeier" bezeichnen. Er widerspricht ihr nicht, denn genau in diesem Kulturzeitalter leben wir aufgeklärteren Menschen. Wir genießen biologisch und gesund - daher sind wir vor Kraft strotzend. Man hört das "Nur zur Erinnerung" auch an. Blixa wirkt zwar nicht mehr wütend, nicht mehr hart, aber er ist fit genug, um wie Sisyphos seinen Felsblock immer wieder den Berg hinaufzustemmen. Gut, daß man das mittlerweile auch auf einem Stuhl des Kopenhagener Nobelrestaurants "Noma" sitzend hinbekommt, bei einem Glas edlen Rebensaft und leichter Küche, versteht sich. Bargeld schöpft aus der Ruhe Kraft und hat längst erkannt, daß sich das Neue stets aus dem Staub des Alten herausentwickelt. Daß es dann rasch wieder selbst alt wird, liegt in der Natur der Sache.
Ich hatte dieses Lied von Bargeld und Teardo im Ohr, als ich auf den Fluß blickte, der sich langsam an wunderschönen Häusern vorbeischob. Jedes dieser Gebäude hatte eine Geschichte, wahrscheinlich sogar mehrere. Was mochte dort passiert sein? Wie viele Tragödien und Dramen hatten sich darin abgespielt? Überwog die Freude oder doch das Leid? Ich betrachtete die Häuser, während vom berüchtigten Raubmörder Friedrich Opitz erzählt wurde. Und davon, wie es dieser Mann besonders auf Liebespaare abgesehen hatte und seinen Lustgewinn aus dem Tötungstrieb zog. Eros und Thanatos verschmolzen bei ihm zu einer einzigen extrem gefährlichen Figur. Genau deshalb "verdanken" wir Opitz große Entwicklungssprünge in der kriminalistischen Forensik. Also legten seine Untaten auch den Grundstein für Professor Boerne und dessen Arbeit an Münsteraner Tatorten. Perverserweise erwuchsen diese wissenschaftlichen Neuerungen aus der Gewalt, die so willkürlich war, daß sie sich mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln nicht stoppen ließ.
Aber der Blick auf die prächtigen Häuser zeigte auch, daß sie schöne Geschichten erzählen können: sie berichten vom Hier und Jetzt, von innigen Momenten auf malerischen Terrassen bei einem Glas Wein und in friedlich-liebevoller Stimmung. Da die schnell kippen kann und unser Glück eine sehr fragile Angelegenheit ist, sollten wir es genießen. Da alles vergänglich ist, sollten wir die Zeit, die uns bleibt, bewußt leben. Irgendwann wird wieder alles auf Anfang gestellt. Und das war schon immer so.
Nächste Woche werde ich euch von einem ungewöhnlichen Lied erzählen - "You Will Find A Way" heißt es. Es stammt von James Chapman, der als Maps für Furore sorgt. Bei der Gelegenheit muß ich euch dann auch den Begriff "Shoegazing" erläutern. Bis es soweit ist, treibt euch nachts nicht im dunklen Forst herum und genießt das Leben. Etwas anderes bleibt euch sowieso nicht übrig.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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Die Trümmerjahre sind vorbei: Einstürzende Neubauten - Alles wieder offen
(aus dem EVOLVER-Archiv, 2007)
Eine Kulisse aus Geräuschen ist nicht unbedingt mit einer Wall of Sound gleichzusetzen - kann aber der Königsweg zwischen Kunst-Pop und Pop-Kunst sein. Hirnlego war gestern ...
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