Depeschen aus der Provinz
Peter Hiess lebte mehrere Jahrzehnte in Wien. Dann entschloß er sich, in die Provinz zu übersiedeln. Wie sich das anfühlte, erfahren Sie hier.
Scharlatane wurden im Wilden Westen geteert und gefedert, bevor man sie auf einer Eisenbahnschiene aus dem Dorf trug. Hier ist es zwar längst nicht so wild (oder westlich), aber die Idee ist immer noch gut. 12.09.2019
Es beginnt immer gleich: Die Tür zum Saloon öffnet sich, grelles Sonnenlicht spiegelt sich in den Whiskeygläsern, und ein aufgeregter Bub ruft den Trinkern mit den zerfurchten Gesichtern zu: "Draußen hat schon wieder einer seine Bühne aufgebaut!"
Und sie alle stehen auf wie ein Mann, kippen ihre Drinks runter, rücken die Revolvergürtel zurecht und schreiten entschlossen durch die Schwingtüren, um auf der staubigen Hauptstraße des Ortes nach dem Rechten zu sehen. Bedächtigen Schrittes gehen sie auf den Platz zu, wo sich eine Volksmenge versammelt hat. Sie wissen, was sie dort erwartet, weil sich das seit Jahrzehnten nicht geändert hat: falsche Prediger und snake oil merchants - Quacksalber, die dem Volk ihre Wundermittel andrehen wollen. Heute nennen sich die Typen nur anders, nämlich Stadtmarketing-Experten, aber es steckt derselbe Schwindel dahinter.
Der "Stadtkern" ihres Dorfs ist meist öd und leer. Die kleinen Geschäfte haben zugesperrt, während die Hardware-Stores und Supermärkte, ja, sogar Postamt und Polizei hinaus zu den Ortstafeln gezogen sind. Ein paar Souvenirhändler versuchen noch ihr Glück ... aber sobald die Sonne untergegangen ist, herrscht hier soviel Leben wie in der Kapuzinergruft. Nach der Sperrstunde.
"Ich werde euer Zentrum beleben!" brüllt der Mann auf seinem Podest. "Straßenmusiker! Ethno-Märkte! Traktor-Verkaufsshows! Events! Events! Events! Bald seid ihr wieder ein richtiger Wirtschaftsstandort!" Im Publikum macht sich Murren breit; die Leutchen hören es nicht gern, wenn man ihre Gemeinde als "Standort" verunglimpft. Und sie haben längst genug davon, daß widerlich Spielleut vor ihren Häusern ganztägig dieselbe Melodie fiedeln oder fahrendes Volk im Hochsommer verdorbenen Käse feilbietet.
Doch davon läßt sich der Marktschreier nicht abschrecken. Er fährt sich durchs schlechtblondierte Haar, schwitzt sein rosagestreiftes Hemd durch und denkt daran, daß sich sein Marketing-Kurs doch irgendwann bezahlt machen muß. Er will das schaffen, was anderen Wirtschaftszuhältern schon in viel größeren Städten gelungen ist. Er wird dieses Kaff in Disneyland verwandeln, jawoll! Und so krakeelt er weiter: "Festivals! Umzüge! Zur besten Zeit der Woche! Verlegen wir den Faschingsdienstag auf den Samstag! Und Weihnachten gleich dazu!"
Die Menge weiß genau, was ihr der Kerl verkaufen will: Kirtag. Was anderes fällt dort, wo sie wohnt, sowieso keinem ein. Aber Kirtag können sie selber viel besser. Und billiger. Die Menschen machen Platz für die Cowboys aus dem Saloon, die unbeirrt auf den Marketing-Gauner zumarschieren, die Hand am Colt. Die wissen, wie man mit Scharlatanen umgeht. Und einer von ihnen ist garantiert schon am Bahnhof und fragt dort, ob eventuell irgendwo eine Schiene übrig ist.
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