Kolumnen_Miststück der Woche III/92 - Leserwunsch #2

Tammy Wynette: "D-I-V-O-R-C-E”

Weiter geht es mit euren Wünschen. Dieses Mal schreibt Manfred Prescher über ein Lied, das schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Staub scheint es nicht angesetzt zu haben, weil es seine Künstlichkeit auch heute noch ohne Wenn und Aber entfalten kann.    01.09.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

 

Vor kurzem postete ich via Gesichtsbuch zwei Songs der Glamrockpunks von The Sweet - und siehe da, ein Leser wünschte sich für eine der kommenden Kolumnen, daß ich über die Band bzw. eines ihrer Lieder schreibe. Allerdings war er sich nicht sicher, ob er sich für "The Ballroom Blitz" oder "Hell Raiser" entscheiden mag. Deshalb warte ich noch auf ein endgültiges Placet für einen der beiden Hits, sonst mache ich kurzen Prozeß und verfasse einen "Actionblockbusterfoxontherun"-Megamix inklusive "Hell Raiser" und "Ballroom Blitz". Versprochen. Der Rest von euch Leserinnen und Lesern kann sich immer noch Stücke aussuchen, über die ich fabulieren soll, bis die virtuelle Schwarte kracht. Eure Vorschläge werden wirklich samt und sonders angenommen, ihr müßt sie mir nur über die bewährten Kanäle zukommen lassen.

 

Eine Leserin ist heute mit ihrem Favoriten dran - einer Countryschnulze aus dem Jahre 1968. Ich will hier an dieser Stelle nicht über das Frauenbild referieren, das im Nashville der fünfziger und sechziger Jahre unter anderem mit der in Itawamba/Mississippi geborenen Sängerin und Songwriterin Tammy Wynette Pugh verbreitet wurde und auch nicht darüber, daß mit Dolly Parton, Emmylou Harris oder Rita Coolidge kurz darauf eine sehr erfolgreiche Gegenbewegung in Gang kommen sollte. Darüber habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben und werde das bei Diskussionsbedarf gern nachholen.

Hier, in diesem Text, ist es mir wichtiger, festzustellen, daß die singende Geistesschwester von Doris Day mit ihrer im durchaus positiven Sinn sehr künstlich-kitschigen Art Gefühle auszudrücken vermochte, die doch irgendwie zeitlos genug sind. Und daß man die Songs der Wynette daher immer noch hören kann. Die Leserin, die sich "D-I-V-O-R-C-E" herausgesucht hat, wird das sicher bestätigen. Daß sie mich nebenbei im Schreibfluß ein bisserl hemmt, weil ich immer wieder die Großstelltaste betätigen und danach wieder flugs Bindestriche setzen muß - geschenkt. Warum das so ist, erkläre ich gleich.

Erst einmal will ich was über Künstlichkeit loswerden. Kunst mag ja von Können kommen, aber auch für die Herstellung von Kunsthandwerk braucht man Fähigkeiten, die sich vom Mittelmaß abheben. Nur so kann man in Popsongs Gefühle derart überzeichnen, daß das Artefakt sie besser beschreibt, als bloße, sachliche Worte es tun können. In puncto Beziehungsdrama gelang das kaum jemandem so gut wie Tammy Wynette. Bob Dylan sagte einmal über sie, daß sie mit ihrem bitter-schwelgerischen Vortrag der Realität tatsächlich näherkommt, als er es selbst mit "Blowin´ In The Wind" geschafft hat - und da ist schon was dran. Kurz hintereinander hatte sie jedenfalls drei sehr ähnlich gestrickte Riesenhits, die sich mit gescheiterten Partnerschaften oder Ehen beschäftigten: "I Don´t Wanna Play House", "D-I-V-O-R-C-E" und das sattsam bekannte "Stand By Your Man". Für letzteres  schrieb sie den Text und wurde von der Frauenbewegung massiv kritisiert. In allen drei Stücken verbreitet die Gitarre Wehmut und Traurigkeit, weil sie gar nicht so gently weept.

 

Doch nun zum eigentlichen Wunsch - Achtung, Hochstelltaste - "D-I-V-O-R-C-E": Die Sängerin beschreibt die letzten Momente vor der Scheidung eines Paars. Wir erfahren nicht, warum sich die beiden trennen, aber Tammys Stimme deutet an, daß es trotz aller Liebe und aller Trauer, die nun mal im Scheitern steckt, keinen anderen Ausweg geben kann. Sie buchstabiert die Worte, weil der vierjährige Sohn an ihrem Rockzipfel oder seinem Hosenbein hängt und die Lauscherchen aufstellt wie Herr Hase, wenn er einen Fuchs in der Nähe vermutet. Natürlich soll man den Nachwuchs vor Streitereien und problematischen Diskussionen Erwachsener schützen, aber ich weiß nicht, ob das Buchstabieren von Worten wie "S-C-H-E-I-D-U-N-G", "S-O-R-G-E-R-E-C-H-T" oder "H-Ö-L-L-E" die richtige Lösung ist. Wäre es nicht besser, den Kleinen nach draußen zu schicken, um mal im Hasenstall nach dem Rechten zu schauen? Schließlich soll es schon Vierjährige geben, die das Alphabet vorwärts, rückwärts, diagonal und inklusive aller Umlaute beherrschen. Sie schaffen es womöglich sogar, aus den Buchstaben Wörter zusammenzusetzen, die sie - das gilt zumindest für den vorliegenden Fall - trotzdem nicht verstehen.

Weil: Was ist eine Scheidung eigentlich? Zwei Menschen versuchen, sich ein gemeinsames Zusammenleben aufzubauen und ein Nest für die Nachkömmlinge zu errichten. Wenn sie daran scheitern, weil die Charaktere zu unterschiedlich sind, die Ansprüche an die Partnerschaft nicht nah genug beieinander liegen, die Rahmenbedingungen nicht stimmen, es zu viele belastende Katastrophen für zwei Schulterpaare gibt oder man einfach nicht zusammenpaßt, dann trennt man sich. Zumindest sollte man das tun. Meine Mutter, nur um das Ganze wieder einmal von der persönlichen Seite anzugehen, ist jahrzehntelang bei meinem Vater geblieben, obwohl der sie in jeder nur erdenklichen Weise malträtiert hat.

Übrigens möchte ich der allgemein immer wieder kolportierten Aussage widersprechen, daß Tammy Wynette in ihren Hits aus den späten sechziger Jahren über ihre Beziehung zum Country-Superstar George Jones singt. Deren heftiges Ende mit langem Schrecken begann erst so um das Jahr 1973 herum. Aber insgesamt war die 1998 kurz vor ihrem 56. Geburtstag verstorbene Künstlerin fünfmal verheiratet; sie weiß also, wovon sie da singt. Sei dem, wie es sei: In "D-I-V-O-R-C-E" wird Wynette nicht bleiben, sie muß diesen für die Beziehung finalen Schritt gehen. Dazu gehört auch das Wundenlecken, das der Song mit seiner Instrumentierung mehr als nur andeutet. Das Lied weist freilich niemandem die Schuld zu, weil die Verantwortung am Scheitern sowieso bei beiden Partnern liegt. Es stellt nur fest, daß es kein Zurück geben kann. Kein Aushalten ist mehr möglich, da die Ehe nur noch aus gegenseitiger Zerstörung besteht. Aus der Perspektive der Frau erzählt Tammy Wynette, daß sie das alles stoppen möchte, aber nicht kann. Sie wird mit J-O-E-Y weggehen.

 

 

 

Der Song wurde - wie es sich für einen waschechten Ohrwurm gehört - mehrfach gecovert, unter anderem von Dolly Parton, von Alex Chilton in einer sehr männlichen Variante und im Zuge des erneuten Erfolgs von "Stand By Your Man" 1975 noch mal von Tammy Wynette selbst. Da mag das Lied dann doch George Jones gegolten haben. Daß "D-I-V-O-R-C-E" auch im Film "Brokeback Mountain" eine sehr logisch definierte Rolle spielt, sei am Rande ebenfalls erwähnt. Meine Lieblingslieder von Tammy Wynette, die bis 1976 immerhin 19 Nummer-1-Hits hatte, drei davon übrigens im Duett mit Jones, sind: "Your Good Girl´s Gonna Go Bad", "Run Woman Run" und "Near You".

Nächste Woche erfülle ich selbstverständlich einen weiteren Leserwunsch: Es geht dann um Clueso und "Kein Bock zu geh´n". Das Lied paßt mir grad zufällig gut ins Feng Shui, wurde aber aus der Wunschliste heraus fein säuberlich und fair ausgelost. Ich werde euch, um es mit dem Erfurter Rapper zu sagen, "gern ein Stück mitnehmen" und darüber schreiben, warum Gehen zwar manchmal gesünder ist als auf dem Sofa sitzen, aber eben auch oft die falsche Entscheidung sein kann. Flüchten oder Standhalten? Ich weiß nicht, was Horst-Eberhard Richter selig raten würde, ich halte es mehr mit Clueso und schreib´ für euch Kolumnen: "Trotzdem hab ich kein Bock zu geh´n/Ist doch klar, daß ich noch bleib". Es würde mich auf jeden Fall freuen, wenn ihr auch noch ´ne Weile hier wärt und mich mit euren Wünschen so überschüttet, daß ich bis zum Stehkragen in euren Vorschlägen stehe und mich durch ganz unterschiedliche Lieder kämpfen muß.   

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

 

 

Manfred Prescher

Tammy Wynette: "D-I-V-O-R-C-E”

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Enthalten auf der gleichnamigen CD (Koch International)

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Kommentare_

Martin Compart - 05.09.2014 : 09.55
oh, Mann! Ist das gruselig.
Gibt es was schlimmeres als kommerziellen C&W?
Klar: deutscher Schlager der Gegenwart.
Oder deutsche Pop-Gruppen, die sich als Rock verstehen, mit einer dieser trällernden Christa Stürmer-Frontfrauen, die man durchnummerieren könnte.
Gut zu wissen, dass 1968 auch viel Mist produziert wurde. ich neige ja dazu, die klassische Periode 8endete 1971) zu verklären.
Falls ich mal wieder philanthropische Anwandlungen habe, muss ich mir nur solchen Müll anhören.

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