Subway To Sally: "Maria"
Enthalten auf der CD "Foppt den Dämon!" (R. Rooster/Sony Music)
Und weiter geht es. Dieses Mal nimmt euch unser Merkwürden Manfred Prescher auf eine Zeitreise mit - und erfüllt nebenbei einen weiteren Leserwunsch. Mit besten Grüßen an den Sachsen mit der endcoolen Stimme. Ihr anderen, die ihr zwischen Cossebaude, Bad Dingenskirchen und St. Nimmerlein an der Glaan lebt, dürft euch natürlich ebenfalls weitere Songs wünschen. Drum lasset eure Liedlein zum Kolumnisten kommen! 22.09.2014
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Bevor es hier um den eigentlichen Wunsch der Woche geht, muß ich glatt noch ein paar Sätze über eine Marketing-Aktion - besser über die merkwürdigen Folgen davon - verlieren. Und mich jetzt schon fragen, wie ich wohl den Übergang zwischen den beiden Themen hinkriegen werde. Vielleicht lasse ich einfach eine klapprige Rakete durch die Webseite rauschen, als Hommage an das Intermezzo aus "Das Leben des Brian". Ach, egal, gesegnet sei die Kolumne, geistreich und gut.
Vor kurzem stellte Apple neue iPhones vor. Das ist nix Besonderes, weil das Unternehmen uns ohnehin jedes Jahr via Event und Video-Keynote-Verlinkung mindestens ein neues Telefönchen nahebringt. Seit der Hl. Steve seine Jobs von oben erledigt, ist das Ganze zwar eine eher fade Angelegenheit, aber ich ertappe mich doch stets dabei, neugierig darauf zu warten, was das Wundergerät denn nun noch alles kann. Dieses Mal zeigte uns Apple, was technisch alles möglich ist - und die Welt wunderte sich.
Daß U2 ihr neues Album gleichzeitig mit den neuen Produkten vorstellen durften, ist OK. Wir reden schließlich von Nobelkapitalismus, und Bono und Co. werden kaum bei der Präsentation des neuen Aldi-Laubsaugers auftreten, was freilich schade ist. Wunderlicher ist aber, daß die - geschätzt - Milliarden von iTunes-Nutzern das Werk der ehemaligen Supergruppe kostenfrei in die Cloud bzw. auf ihre mit dem Dienst verbundenen Endgeräte geschaufelt bekommen haben. Was ist aber das Merkwürdigste an der Aktion, die sich für das angebissene Äpfelchen genauso rechnete wie für U2 und deren Plattenfirma Universal Music? Das will ich euch verraten: Eine Woge der Entrüstung schwappte durch das Netz. Menschen, die sowieso alles und jedes umsonst haben wollen, waren sauer. Ein U2-Album? Ie-Bäh! Und dann noch mittenmang rein ins ach-so-geschützte Privatleben. Ich vermute, daß ausgerechnet die Leute am meisten über die Verletzung ihrer Intimsphäre motzten, die im Gesichtsbuch und via Apps sowieso alles von sich preisgeben. Dabei weiß doch jeder Apple-User, wie fest der Konzern seine Gadgets im Griff hat. Wen das stört, der muß zwangsläufig ein anderes Handy kaufen. Aber Vorsicht! Google, Microsoft oder Amazon beherrschen die gleichen Techniktricks. Über das neue U2-Album sollte man sich dann doch vielleicht ein bisserl freuen. Denn einem geschenkten Barsch schaut man nicht ... Dafür ist es dann sogar recht ordentlich geraten. Ist die Kunst umsunst, soll sie steigen in der Gunst!
Um ein Langes kurz zu machen: U2 ist natürlich in allen größeren Gemarkungen auch die Bezeichnung für eine U-Bahn-Linie. Bei uns in Norishausen fährt sie von Röthenbach bis zum Flughafen bzw. nach Ziegelstein. Oder, um es mit einem alten Lied, das mal Glenn Miller und Udo Lindenberch zu Gehör brachten, zu sagen: "Entschuldigen Sie, fähd dei Bohn dou nach Fädd nou?"/"Na, goude Fraa, die fähd aaf Ziegelstaa."
Mit etwas Glück fährt sie dann auch bei Sally vorbei, die möglicherweise von Potsdam nach Franken gezogen sein könnte. Eigentlich müßte die mittelalterliche Stadt mit ihren wehrhaften Türmen, den Patrizierhäusern oder der riesigen Burganlage, um die sich Sagen wie die des Ritter Eppelein ranken, Sally und ihren Mitstreitern auch ganz gut gefallen. Schließlich tragen ihre Platten seit Anfang der neunziger Jahre den Stempel "Mittelalterrock" als Gütezeichen und Hinweis darauf, daß früher alles besser und die Welt voller Schalmeien war. Das Signet paßt auch irgendwie gut zu dem Septett, das sich via Folk und Rock dem angeblich so finsteren Zeitalter annäherte. Obwohl es - zumindest im eigentlich damals recht modernen Nürnberg - weder U-Bahn noch E-Gitarre gegeben hat. Beides wurde ja, wie wir nun seit der berühmten Keynote von 2007 wissen, von Apple entwickelt, oder man hat irgendwann die Patente von Google gekauft.
Doch zurück zur Band um den Sänger Eric Fish, der (wenn auch in der Regel nicht gleichzeitig) auch Schalmei und Dudelsack spielt: Mit unserem Wunschsong "Maria" endet das dritte, konsequent in mittelalterlicher Symbolik nebst Ratten, Tod und Teufel getauchte Werk "Foppt den Dämon!" Produziert wurde das Album übrigens von Sven Regener, dem schriftstellernden Chefdickschädel von Element Of Crime. Für den melancholischen Barden war das, wie er sagt, eine sehr interessante und wichtige Erfahrung. Das Ergebnis kann sich hören lassen und gipfelt dann in den düster-lüsternen Zeilen von "Maria": Der Nebel will nach Hause, genauso wie der Erzähler. Er will mit seiner Liebsten schlafen, die beiden küssen sich die Lippen wund, wie es im Lied heißt. Das deucht mir doch recht schmerzhaft, vielleicht sollte das Paar ein wenig Creme oder Melkfett auftragen? Oder einfach mal an anderen Stellen knutschen? Aber wer bin ich, dem mittelalterlichen Treiben Einhalt oder Struktur geben zu wollen?
"Maria" wirkt nicht sinnlich, es hat für mich den Anschein, als ob die beiden Liebenden mit dem letzten Akt das irdische Hofschauspiel verlassen wollen. Die morbide Instrumentierung tut ein Übriges, Melodie und Text drücken dem Hörer Bilder in den Kopf - wer Hieronymus Bosch kennt, der weiß, was ich meine: schwarzes Haar, das sich wie Efeu um den Hals legt? Das klingt auch eher nach Würgen und Erwürgen. Wer Bosch - den Erfinder der 8-Kilogramm-Schnellwaschmaschine - kennt, der weiß wiederum, daß Blutflecken bei 30 Grad schlecht rausgehen. Ich laß´ sie also in dem Lied drin, es waren halt harte Zeiten annoschnupftabak. Damals im Mittelalter und erst recht im früheren Potsdam, von dem Alexander von Humboldt behauptete, es sei eine "öde Kasernenstadt" und von dem Fürst Moritz von Nassau 1664 meinte: "Das ganze Eylandt muß ein Paradeys werden". Was man später, unter preußischer Ägide, zumindest optisch hinbekam.
Jesus, Maria und Josef - auch nächste Woche erfülle ich euch einen Wunsch. Und zwar werde ich dann über ein sehr lustiges Kleinod aus der Punkzeit schreiben. Tonio K. und sein "The Funky Western Civilisation" ist auf jeden Fall eine Entdeckung wert. Genau wie manches Lied von Subway To Sally. Über die schrob ich, wie dem einen oder der anderen noch erinnerlich sein wird, schon in "Miststück der Woche II, Pt. 17". Damals gewann die Gruppe den Bundesvision Song Contest ...
Ihr gewinnt jetzt am besten etwas Abstand und lest nächste Woche wieder rein. Das würd´ mich freuen. In der Zwischenzeit paßt auf die Lippen eurer Liebsten auf. Was wundgeknutscht wird, tut einfach weh! So macht doch all das Getechtel keinen Spaß mehr. Vielleicht hört ihr euch beim Kuschelmuscheln das neue Album von U2 an? Dann werdet ihr selig schlummern, bevor die Lippen rissig werden. Garantiert. Den letzten Track werdet ihr dann eh nicht mehr mitbekommen, der ist aber dann - wie bei Subway To Sallys "Foppt den Dämon!" - das Highlight der Platte.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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