Kolumnen_Schlechtes Karma #6
Rave on, John Donne!
... wie wortgewaltig, witzig, gewagt und von unendlicher Gelehrsamkeit John Donnes Werke heute noch sind, erläutert unser belesener Kolumnist.
01.12.2004
Keine 400 Jahre trennen uns von John Donne (1572-1631), einem Zeitgenossen Shakespeares. Der Hauptvertreter der Metaphysical Poets, einer losen Gruppe manieristischer englischer Dichter des 17. Jahrhunderts, verstand wie kaum ein anderer Poet, sein Leben und seine Arbeit der Liebe unterzuordnen und diese auch in seinem Werk zu verankern. Wortgewaltig, witzig, gewagt und von unendlicher Gelehrsamkeit - so treten uns auch heute noch seine Werke, seien sie nun lyrischer oder prosaischer Form, entgegen.
Benedikt Ledebur, selbst begnadeter Dichter und großartiger Interpret des bei uns viel zu unbekannten Donne, widmete sich in jahrelanger Arbeit der Übertragung des Elisabethaners. Das Ergebnis seiner Bemühungen - eine zweisprachige Ausgabe, erschienen im österreichischen Verlag Der Pudel - bringt uns John Donnes Lyrik näher als alle bisher in deutscher Sprache vorgelegten Übersetzungen und betont ganz beiläufig die Aktualität dieses Dichters.
Metaphysik und Liebe
John Donne, Sohn einer wohlhabenden Familie, wurde im elisabethanischen England katholisch erzogen, absolvierte trotz einiger daraus resultierender Schwierigkeiten Studien in Cambridge und Oxford und diente danach unter den Seehelden Raleigh und Essex auf militärischen Expeditionen. Nach diesen Abenteuern erhielt er den relativ sicheren Posten des Sekretärs des Lord-Siegesbewahrers - verbaute sich aber selbst eine politische Karriere durch die heimliche Heirat mit dessen Nichte.
Nach kurzer Haft und Jahren der Armut trat er auf Wunsch James I. in den geistlichen Stand ein und begann eine Laufbahn, die ihm aufgrund seiner Liebe - die er aber, wie er immer betonte, nie verraten hätte - in der Bürokratie des aufstrebenden England verwehrt geblieben war. Gefördert und unterstützt von einflußreichen Adeligen, gelangte er zu hohen Würden; 1621 wurde er gar zum Dekan der St. Paul´s Cathedral zu London bestellt. In seinen Predigten und Prosatexten, die ihm weit über klerikale Kreise hinaus zu Anerkennung und Ruhm verhalfen, nahmen gewichtige Themen wie Sünde, Harmonie und das Paradox des Todes eine wesentliche Rolle ein - doch der Dreh- und Angelpunkt aller Arbeiten Donnes blieb stets die Liebe. Besonders seine lyrischen Werke, die zu seinen Lebzeiten nur in wenigen handschriftlichen Kopien kursierten und von denen der Großteil erst posthum veröffentlicht wurde, sind von unterschiedlichsten Bildern romantischer und erotischer Liebe durchzogen. Ganz im Gegensatz zu dem von ihm und seinen Mitstreitern abgelehnten Petrarkismus, der seine Wurzeln in der italienischen Renaissancelyrik hat, rückten die Metaphysical Poets oft auch in satirischer Weise von der idealisierten literarischen Darstellung des Menschen und seines Lebens ab. In nicht weniger gelehrter Manier versuchten sie sich an der deutlichen Schilderung des Daseins und des erwähnten dominanten Themenkomplexes mit allen Schwächen, Fehlern und Begierden. Die Erde mag zwar um die Sonne kreisen, für Donne blieb aber stets das Bett der wahrhaft Liebenden, aus dem er mit unmißverständlicher Deutlichkeit und Sinn für die sogenannte Realität gewagt und gewitzt zu berichten wußte, das eigentliche Zentrum des Universums.
Erotik und Aktualität
Benedikt Ledebur erweist sich mit seinen Nachdichtungen als sensibler Leser Donnes. Mit einem Blick fürs Detail und Gespür für Sprache und Anliegen des Poeten gelingt ihm ein Transfer, der in vielerlei Hinsicht weit über die Idee einer klassischen Übersetzung hinausgeht. Diese Verschiebung wirkt aber durchaus zugunsten der Leserschaft, gelingt dem Autor doch damit auch eine Vermittlung kultureller Bezüge, die Verdeutlichung der Inhalte, ohne ihre Besonderheiten einzuebnen, und ein Wirksamwerden des eigenen metaphyisch-poetischen Potentials im Rahmen der produktiven Beschäftigung mit dem Dichter.
Der Begriff der Metaphysischen Dichtung - also der Bezug der englischen Variante des Manierismus, der den Übergang von der Renaissance zum Barock bezeichnet und bis zu ihrer rehabilitierenden Neuentdeckung durch T. S. Eliot und Herbert Read eher pejorativ gemeint war - bedeutet hier besonders die Verwendung der Elemente des Dunklen, Grotesken und auch Musikalischen, das in bildhafter, metaphernreicher Sprache daherkommt. Der Hang zu Ironie und Satire, aber ebenso zu philosophischen Paradoxien und zur Religiosität, liest sich auf den ersten Blick wie eine Liste eher widersprüchlicher Schwerpunkte, die sich überraschend klar und einleuchtend zu einer zutiefst poetischen Kombination von Geist und Gefühl, von Körper und Schrift verbinden.
Abseits der höfischen Dichtung des 17. Jahrhunderts formulierten die Dichter um Donne in einer ihren Themen entsprechende Sprache, die nichts von ihrem Wert eingebüßt hat. In ihren Gedichten verbanden sie mittels intellektueller Präzisierung von Emotionen sehr unterschiedliche, verdichtete Elemente von überraschender Widersprüchlichkeiten zu gleichermaßen poetischen wie stimmigen Bildern, sogenannten conceits. In diesen Bildern wird das Unvergleichbare als rhetorische Qualität benutzt, in der Intuition und Scharfsinn eine glückliche Verbindung eingehen. Harmonisch verbinden sich hier tradierte Ansichten und Konzepte mit neueren Ansätzen und Überlegungen; Genauigkeit und Verknappung im Ausdruck verschmelzen mit einer elliptischen Syntax, dem Hang zu Rätseln und Verschlüsselungen, und das Besondere blitzt im Alltäglichen auf. Benedikt Ledebur wird diesen stilistischen Anforderungen im nun vorliegenden Band durchaus gerecht. So verweilt er auch nicht bei der Entschlüsselung Donnes, vielmehr nützt er diesen als Startpunkt eigener poetischer Leistungen, die uns nicht weniger überraschen und erfreuen als das Original. Dem Autor ist es gelungen, einem wichtigen Dichter gerecht zu werden und dessen Lesbarkeit und Aktualität deutlich werden zu lassen.
Also: Rave on, John Donne!
Thomas Ballhausen
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