Kolumnen_Schlechtes Karma #2
Vorbereitete Abschiede
... wenn ein trauriger Kolumnist seiner verlorenen Liebe noch einen Brief hinterherschickt - oder ihn vielleicht auch nur uns lesen läßt. Weil es ums Lesen geht.
14.07.2004
Lange Zeit habe ich es nicht gewagt, Deine Sachen zusammenzupacken, so, als würde ich damit das endgültige Ende unserer Liebe doch noch aufschieben, wenn nicht sogar verhindern können. Als ich mich damit abgefunden hatte, nichts mehr ändern zu können, sammelte ich Deine sorgfältig über die ganze Wohnung verstreuten Spuren ein, legte sie in einen kleinen Reisekoffer, den ich vor längerer Zeit von Deiner Mutter ausgeborgt hatte, und wartete auf den richtigen Tag der Rückgabe.
Heute schicke ich Dir auf diesem Weg unter anderem all die Bücher, die ich Dir vorgelesen habe, und auch einen dicken Band, den wir erst vor kurzer Zeit begonnen hatten und in dem wir deshalb noch nicht sehr weit gekommen waren. Ich schicke Dir all diese Bücher, weil sie ohne Dich für mich keinen Sinn mehr ergeben, bestenfalls noch dazu dienen könnten, mich schmerzlich an Deine Abwesenheit zu erinnern. Dieser erwähnte letzte Band unserer gemeinsamen Lesegeschichte ist auch etwas wie ein Abschiedsgeschenk: Mit jeder Seite, die Du darin liest, wirst Du Dich langsam und Stück für Stück, Wort für Wort von mir entfernen, bis ich nur noch eine undeutliche Erinnerung, ein grauer Schemen der Vergangenheit sein werde, der keine Bedeutung mehr hat. Nicht zuletzt deshalb ist dieses Buch, das auch einen kleinen Abschiedsbrief enthält, in dem nichts weiter steht als die Worte: Du gewinnst, bei Dir in besseren Händen: Ich würde ja doch nur versuchen, nicht darin weiterzulesen, es mehr wie eine unantastbare Reliquie behandeln und so versuchen, den Moment - und wohl auch Dich - festzuhalten, ohne damit Erfolg zu haben oder das Verschwinden meines Ichs, das ich nun nicht mehr selbst vorantreiben kann, aufhalten zu können.
Thomas Ballhausen
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