Kolumnen_Schlechtes Karma #1
Reisen mit Geistern
... wo der unermüdliche Journalschreiber berichtet, warum es unruhige Geister weder im Norden noch im Süden und schon gar nicht zu Hause hält.
11.07.2004
Die unvermeidliche Rückkehr der unruhigen, alten Geister steht bevor - und ich bin einer von ihnen. Die Heimreise fällt mir irgendwie leichter, wahrscheinlich weil mich die Vergangenheit, die ich mit dieser Stadt verbinde, noch nicht wieder eingeholt hat. Ich war zuerst im Norden, und es war schrecklich, obwohl es das nicht hätte sein müssen, und: wohl vor allem wegen mir so unerträglich war. Dann bin ich vor dem Winter in den Süden geflohen, das Wetter und das Essen waren großartig, doch die Frauen schienen bloß schön sein zu können. Schließlich bemerkte ich bei einem Spaziergang einen Straßenhändler, der den Passanten kleine mechanische Weihnachtsfrauen anbot: groteske Spielzeugroboter, die blechern Lieder vor sich hin plärrten, einen Bart hatten, in ihren roten Samtkleidchen herumwatschelten und im Takt der Melodie mit ihren dicken Plastikhintern wackelten.
Noch eine Reise, noch eine Flucht, noch weiter nach Süden: besseres Wetter, wesentlich besseres Essen und die Frauen waren klug, schön und zumeist schwer bewaffnet. Ich stand auf einem Felsen und sah auf die Wüste, fragte mich nach dem Sinn der Ruinen - nein, fragte mich nach dem Sinn der Gebäude: bevor sie zu Ruinen geworden waren.
Als das Flugzeug dann wieder hier aufsetzt, ist die Landebahn wie eine Schneepiste, und erst beim Aussteigen versucht mein Sitznachbar sich mit mir zu unterhalten, als wäre ich die letzten Stunden nicht neben ihm gesessen.
Der Tag meiner vorläufigen Rückkehr scheint besonders, fast so, als würden heute alle an mir Rache nehmen wollen. Das Leben gerinnt kurzfristig zum Rückzugsgefecht, das mich an den Schreibtisch treibt und das allgegenwärtige Notizbuch aufschlagen läßt.
Wie ich den Fragen nach dem Schreiben immer ausweiche, mich im Gespräch in Gemeinplätze flüchte, weil wahrscheinlich nur mein Schreiben selbst hierüber adäquat Auskunft geben kann, wie etwa das Verfertigen dieses Cahiers: erzählen, reflektieren, ein Pendeln zwischen Metafiktion und angestrebter "[g]uérilla metacritique" (M. Dantec). Weil die Grenze zwischen Leben und Schreiben nicht nur verschwimmt, sondern: verschwunden ist. Eine Chronik möglicher Ereignisse blutet solcherart dann auf das Papier.
Thomas Ballhausen
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