"Rocketman"-Soundtrack
CD: Universal Music
Buch: Heyne Verlag
Film: Paramount
Ein Golden Globe für Elton John? Das ist nur würdig und recht - sagt Manfred Prescher. Immerhin ist Reginald Kenneth Dwight, wie Sir Elton mit bürgerlichem Namen heißt, so etwas wie ein Held aus Preschers Jugendtagen. "Saturday Night´s Alright For Fighting"? Genau. "I´m a rocketman/Rocketman burning out his fuse up here alone!" 29.01.2020
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Damit wir uns gleich richtig verstehen: "Rocketman" ist ein sehr guter Film, vergleichbar zwar mit "Bohemian Rhapsody", aber eben doch auch anders. Denn das Bio-Musical um Elton John zeigt von vornherein, daß es nicht vollständig auf Richtigkeit getrimmt ist. Und dieser Umstand macht den Film im direkten Vergleich zur okayen Mercury-Posse dann auch besser. Woran das liegt, ist eigentlich klar: Während sich Freddie Mercury nicht mehr wehren und das gut umgesetzte Drehbuch kritisieren, verändern oder gar ablehnen konnte, war sein Freund Elton bei "Rocketman" federführend an Bord.
Manchmal ist es halt einfach gut, wenn man noch unter den Lebenden weilt. Man weiß schließlich nie, was die Nachwelt mit den Hinterlassenschaften anstellt. Möglicherweise ist einem das nach dem Ableben egal, aber sicher ist es nicht. Überhaupt ist der Tod ja so eine Sache. Wie sagte schon Sherlock? "People will die", woraufhin sein Bruder Mycroft völlig richtig "That´s what people do" antwortet. Die meisten Leute wünschen sich den Tod trotzdem nicht, und deshalb wollte sich beispielsweise Arthur Schnitzler eine Alarmanlage in seine Gruft auf dem Zentralfriedhof einbauen lassen. Schließlich könnte man ja dem Schnitter nochmal von der Schippe springen, den Sarg verlassen und bei den Nachlaßverwaltern die schlimmsten Auswüchse von Geldgier und Respektmangel fürs erste noch verhindern.
Man muß direkt dankbar sein, daß man Mercury keine neuen Stücke untergejubelt hat. Vermutlich hätte man die einzigartige Stimme nicht nachmachen können. Aber den Rest-Queen, vor allem Brian May, fällt bestimmt noch einiges ein, womit sich die karge Rockstar-Rente auf wenig erbauliche Weise aufbessern läßt.
Daß Elton John den Darsteller "seines" Films ausgesucht hat, ist also schon mal positiv: Taron Egerton spielt den Sänger inmitten seines exzessiven Lebens wirklich gut. Und er kann auch singen, zwar nicht wie ein Engerl, aber doch so, daß es dem Elton eine Freude ist. Deshalb - und weil er noch alle Zwetschgen beisammenhat beziehungsweise noch munter unter uns weilt - gibt es für den Film auch ein neues Lied aus der Feder des kongenialsten Songwriterteams jenseits von Lennon/McCartney und Jagger/Richards: Zusammen mit Bernie Taupin hat John "(I´m Gonna) Love Me Again" geschrieben und zur Aufnahme den Leinwand-Elton mit ins Studio geholt. Herausgekommen ist ein Stück überkandidelter Disco-Pop, das voller Lebensfreude um unsere Gunst wirbt.
Man könnte das Wort "Lebensfreude" hier freilich auch durch Narzißmus ersetzen, aber vermutlich wäre das für Elton John überhaupt kein Problem. In seiner passenderweise "Ich" genannten und absolut lesenswerten Autobiographie beschreibt er sich mit allen Untiefen als ein echter Nachfahr des Flußgottes Kephissos. Wie dessen Sohn verliebt er sich in sein Spiegelbild, aber das freilich erst, nachdem er sich in die merkwürdigsten Verkleidungen eingehüllt hat. So kam er beispielsweise an irgendeinem US-Unabhängigkeitsfeiertag als Freiheitsstatue auf die Bühne. Wenn man weiß, daß er mit Leib und Seele Engländer ist, wundert es doch irgendwie, daß ihn konservative Kräfte nicht einfach samt einiger Kisten Schwarztee und etwas Milch in den Atlantik warfen.
Aber zurück zum Narzißmus, den John erst mit Brillen, Federboas und schrillen Klamotten ausleben konnte, weil er zugleich auch schüchtern ist und sich für häßlich hält. Zur Bestätigung des eben Geschriebenen empfiehlt sich die Lektüre der Passage, in der er auf schmerzhaft-komische, weil nachhaltig sinnlose Weise erklärt, wie er sich Haare transplantieren ließ. Der geneigte Leser merkt schon, daß das Buch den Film qualitativ übertrifft. Es geht deutlich mehr ins Detail, und das Operettenhafte der bewegten Bilder bewegt den Zuschauer weniger als die klare Sprache des geschriebenen Elton-Wortes.
Der Mann lebte das Leben tatsächlich in vollen Zügen oder auch mal in einem vollen Aston Martin DB6, auf dem sich dann die Motown-Stars Martha Reeves und die Vandellas auf die Sportwagenrücksitznotbank quetschen mußten. Ergo: Auf knapp 500 Seiten ist einfach mehr Information enthalten, weil der Film auf plakative Bilder und die bewährten Lieder setzt.
Beim Lesen der teilweise selbstironischen Zeilen drängt sich aber auch ein Elton-Soundtrack auf. Der umfaßt nicht nur die üblichen Hits - "Rocketman" rauf und "Your Song" auf der Gegengeraden wieder runter - sondern eben auch unbekannte Tracks großer Alben, etwa "I´m Think I´m Going To Kill Myself" von der LP "Honky Château".
Tatsächlich hätte es mit dem vorzeitigen Sterben beinahe geklappt, da Elton John von Anfang an Raubbau an seinem Körper betrieb. Als Jugendlicher trug er seine Brille immer, obwohl sie eigentlich nur bei seiner Kurzsichtigkeit helfen sollte. Der Grund ist ebenso einfach wie eigentlich dämlich: Weil er meinte, daß er mit der Sehhilfe wie Buddy Holly aussah, ruinierte er seine Augen - und überraschte uns später mit tausenden zumindest extravaganter Brillen. An denen hätte auch sein Vorbild Liberace seine große Freude gehabt, denn der war der König des Narzißtenvolkes.
Exzessives Leben, so lernen wir von den beiden Hedonisten, ist oft auch ein Flanieren am Rande eines steilen Abgrunds. Das muß nicht unbedingt der Tod sein; bei Elton John war es zum Beispiel die schiere, schon als Kind begonnene Sammelleidenschaft, die dermaßen bedrohliche Züge annahm, daß er Schlösser, Villen und eine Squash-Halle mit Platten, Möbeln, Taschen, Vasen, Brillen, Fan-Geschenken und teuersten Gemälden so vollstellte und vollhängte, daß ein gefahrloses Betreten der Latifundien gar nicht mehr möglich war. Daß Sotheby´s dann mehrere Tage entrümpelte und noch länger für die Auktionen brauchte, um das zu verkaufen, was Elton loshaben wollte, zeigt, daß er ein echter Edelmessie war. Warum er die Sachen verkauft hat? "Um Platz für Neues zu schaffen", sagt er. Und er widerspricht auch dem Psychologen, der ihm unterstellte, er würde mit der Sammelwut Glück erkaufen wollen. Er, so John, liebe es einfach, sich mit Dingen zu umgeben - ob er nun glücklich oder unglücklich sei. Entrümpelt hat er erstmal tatsächlich.
Das neue Lied paßt in die Sammlung seiner Lieder ganz gut. Er wird es sich nicht allzu oft anhören, glaube ich. Denn auf dem Stapel seiner Platten - und der ist höher als "The Shard" in London - finden sich zwar auch einige, die deutlich schlechter sind, aber die stammen meist aus den 1980er Jahren und liegen daher unten. Aber es gibt eben auch die besseren und allerbesten LPs und Singles. Das sind die, die zwischen 1969 ("Empty Sky") und 1978 ("A Single Man") entstanden. Und die sind, weil man sie für den Film brauchte, oben aufgeschichtet.
Schaut euch "Rocketman" an, lest das Buch, hört das neue Lied - und vergeßt nicht, den Müll rechtzeitig runterzutragen. Wir lesen uns, so ihr wollt, nächste Woche wieder. Das würde mich freuen. Bis es soweit ist, wühle ich mich mal durch meine Sammlung alter Singles. Die gehören sortiert und immer wieder liebevoll behandelt. Sonst verschwinden sie noch zu Parship oder so.
PS der Redaktion: Wenn unser lieber Manfred Prescher schon von "Bohemian Rhapsody" und "Rocketman" erzählt, legen wir Ihnen an dieser Stelle noch ein anderes Bio-Pic ans Herz: die Netflix-Produktion "The Dirt". Lassen Sie Mötley Crüe Ihr Herz kickstarten!
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