Kolumnen_Miststück der Woche IV/25 - Leserwunsch #35

Peter Licht: "Sonnendeck"

Schon 2001 gab es Tage, da wollte man entweder sein eigener Hund sein oder sich sonstwo - fernab von Alltagsstreß und -fehlern - aufhalten. Deshalb sprach dieser Wunschsong vielen aus der geschundenen Seele, findet Manfred Prescher.    04.05.2015

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Das kennen wohl die meisten Menschen: Man macht morgens auf, mit den besten Absichten, was den Tag und die Zeitgenossen angeht. Aber schon nach wenigen Minuten wird klar, daß es nicht genügt, einfach nur blind in den Tag reinzuwackeln und dem normalen Wahnsinn mit ebenso normalen Mitteln beikommen zu wollen. Spätestens nach den ersten drei mehr oder minder verhängnisvollen Fehlern, die in den ersten zehn Dämmerminuten passieren, beginnt man sich - je nach Gusto, Zustand oder Härtegrad der Katastrophe auf der nach oben weit offenen Dichterskala - zu wünschen, man sei Dornröschen und würde mindestens 100 Jahre durchschlafen. Oder man möchte sich rasch auf die flirrende Plattform und in die Obhut Scottys begeben, auf daß dieser einen nach Nobodyville, St. Elsewhere, Windisch-Krächz oder den Planeten Tollhaus 7 beamt.

 

Oder man wünscht sich, wie weiland anno 2001 der Kölner Sänger, Textdichter, Theaterautor und Bachmann-Publikumspreisträger Peter Licht auf das "Sonnendeck". Der ist allerdings schon einen großen Schritt weiter, denn er singt in seinem leicht trance-igen Post-NDW-prä-deutsche-Songwriter-Ära, daß er, so er denn nicht hier weile, auf dem "Sonnendeck", im Solarium, am Radar oder gar im Aquarium sei. Wovon der jeweilige Aufenthaltsort abhängt, verrät der Künstler indes weder im Original noch in den diversen Remixen. Wahrscheinlich, so kann man bei der Interpretation aber nur ahnen, denkt sich Licht nur immer wieder für Momente an andere Orte: "Und alles, was ist, dauert drei Sekunden/Eine Sekunde für vorher, eine für nachher, eine für mittendrin/Für da, wo der Gletscher kalbt, wo die Sekunden ins blaue Meer fliegen" heißt es in dem Lied, das auf Lichts Major-Debüt "14 Lieder" zu finden ist.

So eine Art Power-Urlaub oder was in der Richtung soll es sein, weg vom Streß und der selbstangerichteten Tragödienzeremonie des Alltags. Manche, etwa Kinky Friedman, schaffen es, mit einer winzigen Schlafmütze wieder frisch durch das Weltgeschehen trotten zu können. Anderen gelingt es, den Scherbenhaufen, das umgeworfene Kaffeekännchen oder die unpassende Rüpelei, mit der man anderen den Morgen versaut hat, für Sekunden auszublenden und sich nach Obereinherz bzw. Kalifornien an der Ostsee zu begeben. Natürlich geht man, aus Zeitgründen, dabei nicht über Los und zieht auch keine 4000 Euro ein. Wer das Momentfliehen aber wirklich drauf hat, schafft es nach Australien, in die Karibik oder gar an einen Ort, den es im real existierenden Eskapismus gar nicht gibt.

 

Peter Licht jedenfalls suchte das "Sonnendeck" auf, weil er da "ich ich ich" sein konnte. Und weil es in der Sonne wahrscheinlich so wenig aufgeregt zuging, wie nur durch maximale Entschleunigung möglich: Das Ego ruht auf der Liege, blickt auf den Ozean, die nette Dame auf dem Stuhl gegenüber ist ebenso relaxt wie man selbst. Daß man kurz vorher vielleicht grad mit ihr gestritten oder Probleme diskutiert und mögliche Lösungen verworfen hat, das spielt hier oben keine Rolle. Es herrscht einfach wieder Frieden im Land - weil das Land einfach auch viel zu weit weg ist, um irgendwie zu nerven. "Was bleibt, ist der Wind am Ende eines langen Abends" singt Licht in einem anderen, jüngeren Song. Und das ist, beim romantischen Licht der am Horizont untergehenden Sonne betrachtet, eine ganze Menge.

Was bleibt noch zu hoffen? Daß Peter Licht wieder eine CD aufnimmt? Die letzte heißt "Lob der Realität" und ist auch schon wieder ein Jahr alt ... Ich hoffe jedenfalls, daß ihr die Kolumne auch nächste Woche wieder lest. Es wird dann ein weiterer Leserwunsch erfüllt - und der paßt irgendwie ganz gut auf das "Sonnendeck":

Ich werde nämlich über Massive Attack und "Daydreaming" schreiben. Ich höre die Nummer gerade, während ich mir den nächsten Drink bringen und genüßlich den Tag vorbeiziehen lasse. Ihr könnt ja zum Lesen des Miststücks euer Tablet mit nach oben nehmen. Aber bitte stellt den Ton leiser, denn - so forderte schon der Hochsee-Guru Kapitän Paulsen an Bord seines "Traumschiffs" - auf dem "Sonnendeck" sollen nur sanfte Klänge die geplagten Ohren umschmeicheln.

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Peter Licht: "Sonnendeck"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "Vierzehn Lieder" (Modul/Sony Music)

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.