Peter Fox - Stadtaffe
(Photo © Eric Weiss & Felix Broede)
Warner (D 2008)
Mick Jagger war ohne Band uncool, John Lennon und Paul McCartney schienen ohne Beatles nur die Hälfte wert. Warum also ein Soloalbum aufnehmen? Weil so etwas richtig gut sein kann - meint Manfred Prescher. 10.11.2008
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Ich will ja nicht jammern, aber eigentlich wäre es mal nötig. Wenn ich nur Zeit dafür hätte. Denn in den vergangenen Wochen war ich praktisch kaum zu Hause, ständig auf Achse und teilweise an Orten, die nie zuvor ein Mensch besuchen wollte. Während ich in der deutschsprachigen Weltgeschichte umhergondelte, setzten die Dinge in meinem Arbeitszimmer und meiner Bibliothek eine ziemliche Staubschicht an. Aber das ist halb so schlimm, denn schließlich sind wir alle - und ist alles - vom Staub genommen worden, also auch die CD von Peter Fox. Die lag bis dato ungehört auf dem Schreibtisch ... Daß ich sie jetzt endlich in die Hand nehme und mit wachsendem Vergnügen anhöre, liegt auch am Streß. Wenn es eine andere Begründung dafür gäbe, daß mein Zapp-Finger bei Stefan Raabs Turmspring-Event hängen blieb, wäre sie wohl nicht besonders schmeichelhaft für mich. In dieser merkwürdigen Sendung jedenfalls stellte Peter Fox sein "Haus am See" vor. Begleitet wurde er dabei von einer Band aus nubischen Trommlern, was dem Ganzen eine faschingshafte Ausstrahlung verlieh. Der Song setzte sich trotzdem in mir fest - den Umständen nach sicher ein Zeichen für Qualität.
E.T. wollte nach Hause, Johnny Cash fragte in krudem Deutsch "Wo ist zu Hause, Mama?" und Keanu Reeves lernte durch das "Haus am See" Sandra Bullock über die Grenzen der Zeit hinweg lieben. Was mich angeht: Seit ich denken kann, wollte ich ein "richtiges" Zuhause, doch es dauerte reichlich über 30 Jahre, bis ich endlich eines hatte. Und jetzt jagt man mich wie einen Hund nach draußen, und wie Alf bin ich praktisch Lichtjahre weit weg von meinem persönlichen Melmac. Und praktisch permanent auf dem Weg "back where I belong" (LL Cool J oder 38 Special).
Vielleicht ist das der Grund, warum mir die neue Single von Peter Fox so gut gefällt. Immerhin baut er inmitten des "Großstadtgetriebes" (Udo Jürgens) eine romantische Skulptur zum Thema "Daheimsein und Sich-Wohlfühlen" auf: "Und am Ende der Straße steht ein Haus am See/Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg/Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön/Alle kommen vorbei, ich brauch nie rauszugehen." Auch wenn es in der Gegenwartsform gereimt und gesprochen ist, schaut Fox natürlich in eine ferne Zukunft: "Hab taube Ohr´n, nen weißen Bart und sitz im Garten/Meine 100 Enkel spielen Cricket auf dem Rasen", die Männer grillen, die "Mamas" kochen, die "alten Vögel" und die bucklige Verwandtschaft sind zu einer Dauerfete eingeladen.
Bis es soweit ist, läuft Fox durch die altbekannten Straßen seiner Heimatstadt Berlin und fühlt sich im Vertrauten genauso einsam wie meinereiner in der Fremde. Aber er bleibt zuversichtlich, denn der Weg in die Zukunft wird garantiert zum Haus am See führen: "Daumen raus, ich warte auf ne schicke Frau mit schnellem Wagen/... Ich hab den Tag auf meiner Seite, ich hab Rückenwind", denn der Weg ist das Ziel und an sich auch schon schön: "Ein Frauenchor am Straßenrand, der für mich singt", sagt Fox und impliziert damit, daß es bis zum Greisentum im "Haus am See" ruhig noch ein wenig hin ist und die Zeit sinnlich und sinnvoll genutzt wird. Hauptsache ist, daß dereinst, wenn man schließlich doch heimkommt, alles fein bestellt ist - und genau deshalb freut er sich schon drauf. Besonders logisch klingt das nicht, aber, hey, wir reden von einem Popsong, Stringenz und rote Gedankenfäden gehören nicht zwangsläufig dazu. Oder anders: Auch aus Ungereimtheiten kann ein Hit werden, was Verse von "Haus am See" nachhaltig beweisen.
Peter Fox, der eigentlich Pierre Baigorry heißt, was noch eigentlicher eigentlich viel schöner klingt als das Künstler-Pseudonym, ist einer der drei Frontmänner der Rap-trifft-Dancehall-Ragga-HipHop-Big-Band Seeed. Mit seinem Soloalbum "Stadtaffe" geht er neue Wege, natürlich inklusive Frauenchor am Studiorand. Das Deutsche Filmorchester Babelsberg verleiht dem Dutzend Songs einen eigenwilligen Klang, der durchaus an Gershwin erinnert. Vertont von Pauken und Geigen, wirken die Wortkaskaden noch urbaner, klingen zeitlos und überraschend modern, gleichzeitig edel und stilvoll. Das liegt wahrscheinlich daran, daß sich Fox erstmals mit Musikern umgibt, die ganz snobistisch Noten lesen können. Besonders geglückt ist die Kollaboration mit dem berühmten Orchester bei "Haus am See", wo zur Untermalung des zu erwartenden Lebensherbstes schon mal bunte Sounds vom Himmel fallen.
Um den Himmel geht es auch kommende Woche, da im nächsten "Miststück" der wahrscheinlich beste Soul-Mann gewürdigt werden wird, den Gottvater oder sonst wer je auf die Erde herniederschickte: der am 17. Oktober verstorbene Levi Stubbs - und der sitzt garantiert zur Rechten von James Brown, Donny Hathaway, Otis Redding, Johnny Ace, Sam Cooke, Curtis Mayfield und Marvin Gaye.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Peter Fox - Stadtaffe
(Photo © Eric Weiss & Felix Broede)
Warner (D 2008)
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