Kolumnen_Das Wort zum Samstag
Requiem für einen Pinguin
Er begann seinen Dienst am Christenvolke im benachbarten Blog "ZiB21", bevor er aus Gewissensgründen zum EVOLVER wechselte. Bei uns läßt er jetzt gelegentlich wortgewaltige Predigten los - und der Vollständigkeit halber wiederholen wir jetzt die ersten sechs seiner sonntäglichen Episteln auf unseren Seiten. Am Samstag. Nr. 4 stammt vom 21. März 2009. 09.10.2010
Er gehört einer aussterbenden Art an: der zwidere Kaffeehauskellner. Existieren kann er seit jeher ohnehin nur in Wien - dem einzigen Ort, wo auch das echte Kaffeehaus existiert. Aber auch hier wird es immer schwieriger für ihn, weil seine Existenz durch die vorherrschende "Was-kann-ich-für-Sie-tun-schönen-Tag-noch"-Callcenter-Pseudohöflichkeit gefährdet ist, die uns allen suggerieren soll, daß wir in Disneyland wohnen.
In einer so bedrückend verlogenen Atmosphäre muß man selbst Geistlichen nachsehen, daß sie gelegentlich die Geduld mit der Gemeinde verlieren und beim Spenden der Heiligen Kommunion am liebsten ein paar harsche Worte murmeln würden. Aber ein Mann Gottes darf sowas nicht. Der Herr Ober schon: "Warum geht die mit dem Gschroppn ned in Park bei dem Wetter?" fragt er etwa lauthals einen Kollegen, wenn eine alleinerziehende Mutter sich mittags samt Kinderwagen in der Raucherzone installiert. "Oabeitn woins nix, oba ins Kaffeehaus gehen!"
Er trägt einen speckig glänzenden schwarzen Anzug, ein am frühen Nachmittag bereits schmuddeliges weißes Hemd, das sich über dem Hosenbund schlampig nach vorn wölbt, quietschendes Schuhwerk und ein Tablett nach dem anderen, quer durchs ganze Lokal. Kein Wunder, daß ihm da gelegentlich eine Bemerkung auskommt, die jeder in weitem Umkreis einfach hören muß: "Wegen dem Bledsinn kann i ganz hintere hatschen! Und vielleicht wü er dann no a Glasl Wossa." Der geübte Kaffeehausbewohner grinst amüsiert, die schamlos kübelweise Leitungswasser saufenden Bubis im letzten Eck tun so, als hätten sie nichts mitgekriegt.
Als Stammgast ist man vom gerechten Zorn des Kellners meist ausgenommen - vorausgesetzt, man benimmt sich anständig. Dazu gehört die hohe Kunst, alles zu vermeiden, was einen zwischen Buttersemmerl und Melange zum potentiellen Störfaktor werden läßt: komplizierte Bestellungen, unnötige Beschwerden, Umzüge von einem Tisch zum anderen, Sparsamkeit beim Trinkgeld sowie bundesdeutschen Akzent. (Legendär der Ausspruch eines mittlerweile zwangspensionierten Meisters des Mürrischen: "Jo, i kumm scho, du Piefke-Trampel!" Und dann zu einer Loge mit einheimischen Gästen: "Is eh wuascht, die hoitn des fürn Weana Charme ...")
Laßt uns also den zwideren Kaffehauskellner preisen! Wer einmal ein Szenelokal aufgesucht hat und dort von offensichtlich gehbehinderten Studentinnen mit nach unten gezogenen Mundwinkeln und verschliffener Aussprache schlecht bedient wurde, der weiß, wie sehr er uns bald fehlen wird.
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