Kolumnen_Das Wort zum Samstag
Die Bibel in 20 Sekunden
Wahrscheinlich haben Sie, lieber Leser, geduldig auf diese Kolumne gewartet - und das muß man Ihnen auch hoch anrechnen. Andererseits: Was blieb Ihnen anderes übrig? Daß man durch übertriebenes Warten aber keineswegs in den Himmel kommt, sondern bestenfalls später dran, wird selbst dem Frömmsten irgendwann klar. Darum predigt Pater Michael Hass Ihnen heute, warum es manchmal schneller gehen sollte. 15.01.2011
Geduld ist eine Tugend, sagen die Einfältigen. Und ja, die Einfältigen sind gesegnet, aber deswegen muß man noch lange nicht auf sie hören. Der Herr, unser Gott, hat ja auch nicht auf Geduld gesetzt. Er hat zum Beispiel Adam und Eva nie aufgetragen: "Macht euch die Erde untertan, wenn ihr grad Zeit habt." Und sein Sohn, der unter uns wandelte, sprach bei der Erweckung des Toten auch nicht: "Lazarus, komm heraus, aber nur, falls es dir keinen Streß macht ..."
So funktioniert das nämlich nicht. Das Gute soll schnell und korrekt vor sich gehen, das Beiläufige bringt man am besten in aller Eile hinter sich - und das Böse läßt sich sowieso keine Zeit, um in die Welt zu kommen. Also braucht man sich auch nicht wie ein armer Sünder zu fühlen, wenn einen die Ungeduld packt und man vor lauter gerechtem Zorn wieder einmal zu beben anfängt. Die Warteschlange nämlich, o Brüder und Schwestern im Geiste, ist eine Erfindung des Satans, die der ewige Widersacher in Kriegen, Notzeiten und im realen Kommunismus ausführlich erproben konnte. Nur so konnte er sie zur heutigen Perfektion entwickeln, die den ungeduldig Harrenden mit all den Fehlern, der eingeborenen Dummheit und vor allem der gnadenlosen Rücksichtslosigkeit der vor ihm Stehenden konfrontiert.
Nehmt nur den Supermarkt, in den man euch täglich zwingt, um eure weltlichen Bedürfnisse zu stillen. Da steht man selbst als frommer Mensch immer hinter diesen verblödeten Kreaturen, die nicht nur ihre Plastik-Schweinsschnitzel unendlich langsam einpacken, sondern dann noch zur Kassierin sagen: "Wartens, ich habs klein" - worauf sie kurzsichtig beginnen, in ihren lächerlichen Geldbörseln nach Münzgeld zu suchen, auf den Cent genau, was keinen Menschen interessiert und den Lauf der Geschichte nur aufhält, aber sie lassen erst davon ab, wenn ein Blitz aus dem Himmel sie niederstreckt oder man ihnen den Einkaufswagen in die Kniekehlen rammt, auf daß sie fallen.
Heute aber, ihr Gläubigen, hatte ich das teuflische Unglück, beim Bankomaten ein solch verstoßenes Kind Gottes vor mir zu haben. Nein, es war kein armes Mütterchen, dem das Verständnis für Technik fehlt, sondern vielmehr ein etwa dreißigjähriger Mann, dem Arbeitslosigkeit und Tablettenmißbrauch ins bärtige Gesicht geschrieben standen, und der sich nicht nur vor jedem Tastendruck innerlich Bedenkzeit erbat, sondern nach Erhalt des schnöden Mammons auch noch daranging, seine sieben Zwetschgen mühsam und in Zeitlupe zusammenzupacken, ohne das Feld zu räumen. Irgendwann mußte ich ihn unsanft beiseitedrängen, um selbst in der gebotenen Geschwindigkeit Bargeld einzukaufen; während er, der verlorene Geist, in den Hintergrund retirierte, vor sich hinmurmelte und weitere zwei Minuten damit vergeudete, das Klumpert in seiner Herrenhandtasche - und ich frage dich, o Herr, wer trägt heute noch Herrenhandtaschen!? - in eine nur dem Einfältigen verständliche Ordnung zu bringen. Als ich mich zum Gehen wandte, maulte er mir noch nach: "Man kann ja warten."
"Nein, kann man nicht, mein Sohn", entgegnete ich. "Nicht auf dich. Sonst bereut man die verlorene Zeit noch in der Ewigkeit." Und damit überließ ich ihn seinem Schicksal. Mit aller gebotenen Geduld.
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Liebster, ehrwuerdiger Pater, was widerfaehrt Ihnen in der Gross-Stadt? Ich denke an Sie und lese ihre Kolumnen auf meinem Berg der Schafe -ohne Supermarkt und ohne Bankomatgedraenge...