Kolumnen_Das Wort zum Samstag

Die da unten

Und es wurde Abend, und es wurde Morgen, und plötzlich war es Winter. Und wieder hatte niemand damit gerechnet, daß der Herr Schnee schicken würde. Die weiße Pracht sorgte - wenigstens bis zum Ausrücken der Räumbrigaden - für Ruhe auf den Straßen, Stürze auf den Gehsteigen und zeitweilige Kollektivamnesie. Pater Michael Hass hat dabei zugesehen und der Natur gedankt.    25.12.2010

Sie haben Messingplaketten in den Gehsteig gehämmert - kleine Quadrate mit Namen und Zahlen drauf. Gefragt haben sie niemanden, obwohl der Gehsteig öffentlicher Besitz ist, aber was Öffentlichkeit ist, bestimmen bekanntlich die da oben. Die Plaketten sollen der Erinnerung dienen, und "Erinnerung" ist ein Wort, mit dem Subventionsempfänger viel Geld verdienen, vor allem, wenn sie es mit brechender Stimme aufsagen und dabei die Hand aufhalten. Das gemeine Volk soll sich an eine Zeit erinnern, an dem es mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht auf der Welt war, und die paar, die damals schon lebten, schaffen es heute sowieso nur mehr mit dem Rollator auf die Straße und schauen sich auch keinen Guido Knopp im Fernsehen an.

Aber merket auf, ihr Schäflein: Ich bin sowieso der letzte, der etwas gegen amtlich verordnete Erinnerung hat. Schließlich gehöre ich einer Organisation an, die ohne Unterlaß an das Leiden unseres Herrn Jesus Christus erinnert. Nur ist im Vatikan noch niemand auf die wahrlich seltsame Idee gekommen, das Heilige Kreuz allerorten in den Asphalt einzulassen, damit telefonierende Jugendliche auf dem Angedenken des Heilands herumtrampeln und Hunde sich auf ihm erleichtern. Wir machen das, mit Verlaub, schon etwas gescheiter und würdiger.

Nun begab es sich aber, daß es - trotz der religiösen Prophezeiungen der Klimaprediger - wieder einmal Winter wurde im Land. Mit einer Menge Schnee, wie sich das für einen anständigen Winter gehört. Die weißen Flocken deckten alles zu, gut wie böse, schmutzig wie sauber, Erinnerung wie gedächtnisloses Trottoir. Und die Behörden, die wie seit Jahrzehnten nicht mit dem Eintreffen dieser Jahreszeit gerechnet hatten, verhielten sich ein, zwei Tage lang ruhig und warteten, daß ein gedämpftes, friedliches Chaos die Stadt überzog, bevor sie ihre Alkoholikerreserven zur Räumung der Gehsteige aktivierten.

Das Volk, so gemein es auch sein mag, wollte aber nicht so lange verharren, weil es eventuell zur Arbeit mußte oder sich Nahrung besorgen. Und was geschah? Es rutschte auf besagten Plaketten aus, die nämlich unter der winterlichen Pracht unsichtbar waren, und stürzte im günstigsten Fall auf das Hinterteil, wenn es sich nicht gleich die Zähne aushaute. Ei, was wurde da geflucht und wütend die Faust gen Himmel gereckt ob dieser Erinnerung, die einen da zu Fall brachte! Und man gedachte der Menschen, derer da gedacht werden sollte, bestenfalls mit Ärger.

Das erinnert mich wiederum an das Gleichnis eines französischen postmodernen Philosophen (fragen Sie mich nicht, wie der heißt, wir Geistlichen dürfen solche Leute gar nicht namentlich kennen) über das Vorhaben behindertenfreundlicher Verkehrsplaner, Rollstuhlfahrern das Fortkommen zu erleichtern, indem die Gehsteigkanten abgeschrägt wurden. Und was passierte? Die Blinden, die bisher problemlos erkannt hatten, wo das Trottoir aufhörte und die Straße begann, spazierten munter in den Verkehr hinaus und wurden von Autos niedergemäht.

Was wir daraus lernen? Gut ist immer noch das Gegenteil von gut gemeint - und der Gutmensch der genaue Gegensatz zum denkenden Menschen. Erinnert euch stets daran, meine Kinder. Und gehet in Frieden. Aber vorsichtig.

Pater Michael Hass

Kommentare_

gedenklicher - 31.12.2010 : 02.54
ich bleibe des öfteren stehen und beachte diese kleinen stücke erinnerung. die gedanken sind schwer und fast immer unbegreiflich was an jenen orten noch vor ein paar augenblicken geschehen ist.
und auch anderen geht es so.

die geschehnisse sind zu gewaltig um sie zu vergessen.

herr pater, wenn sie säuerlich sind, tun sie etwas dagegen!

machen sie es wie wir und nutzen sie die gelegenheit und weisen andere darauf hin wenn sie achtlos drauf steigen. sie werden sehen, die menschen sind berührt sobald sie erfahren, was es damit auf sich hat.

mit ihrer angezornten haltung entsprechen sie zwar dem wiener grantln, weiterbringen wird es uns aber nicht.
es ist gut sich aufzuregen und zu kritisieren - aber wählen sie gleich das wichtige thema nicht WO die platten installiert sind.
vergelltsgott
der Pater - 31.12.2010 : 08.59
Lieber Gedenklicher!

Ich nehme an, Ihre Worte sind genau mit der brechenden Stimme aufzusagen, die ich in meiner Predigt erwähnt habe ...
Aber im Ernst: Sie wissen doch selbst, daß die Geschehnisse, um die es da geht, nicht "vor ein paar Augenblicken" passiert sind. Vielmehr tun diejenigen, die uns unser Geschichts- und Politikverständnis oktroyieren, nur so, als hätte sich seither weltweit nichts Nennenswertes ereignet, als gälte es immer noch, den "Faschismus" (den die meisten ihrer Unterläufel nicht einmal definieren können) zu bekämpfen und "Trauerarbeit" zu leisten.
Derartige Machenschaften aber sind mir stets verdächtig. Wenn der Staat verordnet, woran wir uns zu erinnern haben, wenn er diese amtlich verordneten Erinnerungen mit viel Geld fördert - und wenn man auch nicht über die erinnerungstechnisch so aufgearbeiteten Ereignisse diskutieren darf, ohne mit einem Fuß im Kriminal zu stehen, dann ist da eindeutig was faul. Das beginnt damit, dass man von der Schule über den angeblichen Qualitätsjournalismus bis zum Unterschichtenfernsehen fast nur dieses Stück Geschichte vorgesetzt bekommt, als hätte das blöde Reich tatsächlich 1000 Jahre gehalten; und es setzt sich in der gewünschten Unkenntnis über sämtliche andere Machenschaften der Mächtigen fort, die uns in einen künstlichen Superstaat getrieben haben, die unser aller Eigentum an Private verkaufen, die korrupt sind bis ins Mark, die gar nicht so unmerklich eine perfide Diktatur errichten und die weltweit eine neue Gruppe an Sündenböcken zur Abschlachtung vorgesehen haben (teilweise mit denselben Hintergründen wie oben, aber das ist eine andere Geschichte): die sogenannten Islamisten.
Erinnerung ist schön und gut (und teuer). Daneben alles andere zu vergessen und seine Sicht auf die Gegenwart dadurch verschleiern zu lassen, ist pure Vergeudung und ein Zeichen innerer Schwäche.
Und bitte verwenden Sie doch keine Worte wie "angezornt" - das ist irgendwie arm.

Gott mit Ihnen,
der Pater
der Agnostiker - 31.12.2010 : 23.02
Es stimmt schon: Unvermittelt erinnert zu werden, was an jener zufälligen Stelle geschah, die man eben achtlos passieren wollte, kann gerade in Zeiten globalisiert-infantiler Oberflächlichkeit nicht schaden; ohne Geschichtsbewußtsein keine kulturelle Evolution (sic!).
Ob Blech im Pflaster dafür der richtige Weg ist, möchte ich allerdings bezweifeln. "Nachgeborene" pflegen sich mit dem Thema Nationalsozialismus nun schon geraume Zeit auf Kosten gleichermaßen Unbeteiligter wichtigzumachen. So mancher dahergelaufene linksbewegte Rotzbub sucht in seinem Stammbaum, um sich das Mascherl "Jude" umhängen zu können - und unterscheidet sich darin um nichts von rechtsbewegten Rotzbuben, die sich "Arier" nennen. Keiner von ihnen hat dabei die geringste Ahnung von Geschichte, und die Tora (bzw. "Mein Kampf") haben sie schon gar nicht gelesen.
Ja, wir sollten nicht vergessen, was vor Kurzem (in Anbetracht historischer Zeiträume ist es durchaus angebracht, von "vor ein paar Augenblicken" zu sprechen) bei uns geschah. Vor allem aber sollten wir kein Einzelereignis - so entsetzlich es gewesen sein mag - hochstilisieren, sondern das eigentliche Problem erkennen: menschliche Verführbarkeit, basierend auf Ahnungslosigkeit und Egozentrik. Man kann auch schlicht Dummheit dazu sagen.
Gerade katholische Geistliche sollten sich hier hüten, mit Steinen zu werfen - angesichts der windelweichen Subordinationsrolle, die die Kirche im Dritten Reich gespielt hat; von den zahllosen Verbrechen, die seit Jahrtausenden im Namen des Herrn begangen wurden und werden, einmal ganz zu schweigen (gemessen an der Anzahl Gefolterter, Getöteter und zum Elend Verdammter war Hitler ein harmloser Waisenknabe gegen den Stuhl Petri). Dennoch darf das Kreuz ungestraft auf jedem Berg, in jedem Gerichtssaal und in jedem Klassenzimmer prangen; Gehsteige sind vermutlich der einzige Bereich, der bislang von diesem Symbol verschont blieb.
Islamisten als "sogenannt" zu exkulpieren ist - seitens eines Priesters - natürlich ein geschickter Schachzug. Andererseits treffen einander ja Brüder im Geiste: Wie die Jünger Allahs in letzter Zeit beim "bodycount" aufholen, muß selbst den Erfindern der Inquisition Respekt abnötigen. Besonders amüsant deucht in obiger Replik die Geistesakrobatik, wie die EU (ein Zusammenschluß demokratischer Staaten) flugs zur Diktatur erklärt und ihr zugleich unterstellt wird, Moslems "abschlachten" zu wollen. Chapeau! Nicht vielleicht, daß vatikanische Legionen die größte Erfahrung im Meucheln von Sarazenen hätten - oder daß es derzeit Letztere sind, die weltweit serienweise morden ...
Als Bediensteter der letzten tatsächlichen Diktatur Europas (i.e.: der Vatikan) ist man halt geübt in jesuitischer Spitzfindigkeit.
Ich aber sage Euch: Gehet hin - und zwar möglichst ohne einen Gott, hinter dem Ihr Euch versteckt, weil Ihr zu faul und zu feig seid, selbst zu denken.
der Pater - 01.01.2011 : 18.50
Lieber Agnostiker!

Ein befreundeter Landpfarrer hat einmal zu mir gesagt: "Agnostiker san eigentlich oame Hund. Die tätn aa gern an wos glaubn, oba sie ham ned gnua Phantasie dazua."
Ich kann dem lieben Mitbruder da nur recht geben; aber grämen Sie sich nicht - Gott glaubt an Sie, auch wenn Sie nicht an ihn glauben.
Ich habe mir lange (fast zweieinhalb Minuten) überlegt, ob ich mich auf Ihre Auslassungen einlassen soll, und dann beschlossen, das neue Jahr erfreulicher zu beginnen.
Ich freue mich also einfach nur (für Sie) darüber, daß Sie der Hallzination anhängen, die EU sei ein demokratisches Projekt - vielleicht sogar ein "Friedensprojekt", hm? - und lade Sie herzlich ein, einmal die gar schröckliche Diktatur Vatikan zu besuchen. Da bleibt einem in Abwandlung eines vielfach mißbräuchlich verwendeten Zitats nur zu sagen: "Those who only remember the past are condemned to live in it." Viel Freude dabei.
Der wahre Glaube geht weiter dahin, auch ohne sich in amtlich aufgezwungener Selbstzerfleischung zu üben (aber auf das Thema der derzeitigen Gehirnwäsche in Sachen Amtskirche werde ich garantiert noch in einer der kommenden Episteln zu sprechen kommen). Weil wir uns nicht hinter Gott verstecken müssen, sondern er schützend vor uns steht.

Und auch vor Ihnen, wenn Sie das wollen. Das weiß ganz sicher:

Ihr

Pater Michael Hass
der Agnostiker - 01.01.2011 : 22.11
Euer Hochwürden,
ich halte mich, mit Verlaub, lieber an folgenden Spruch:
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen."
(Nein, ich frage Euch nicht nach dem Autor; Geistliche dürfen solche Leute gar nicht namentlich kennen.) Auch halte ich die EU gewiß nicht für ein Projekt des Friedens; dieses Konstrukt ist eine reine Wirtschaftsgemeinschaft, und als solche a priori ethisch fragwürdig - über die Geldwechsler wußtet Ihr ja in Eurer Folgekolumne angemessen zu berichten. Eurem Herrn stelle ich es natürlich frei, an mich zu glauben und vor mir zu stehen (solange er mir dabei nicht die Sicht verstellt).
Den angekündigten Einlassungen zum Thema Amtskirche sehe ich gespannt entgegen. Nehmt einstweilen meinen Respekt vor Euren Predigten, die ich stets mit gebührender Aufmerksamkeit lese. Was den Rest betrifft: So wir einander beim Jüngsten Gericht begegnen, habt Ihr gewonnen - wenngleich sich unsere Wege hernach wohl rasch trennen dürften ...
der Pater - 02.01.2011 : 09.03
Mein Lieber!
Auch als Agnostiker sollten Sie aus Ihrer (wahrscheinlich vergeudeten) Jugendzeit noch wissen: Es ist nicht unser Herr, sondern DER HERR. Und außerdem: Der Pfarrer predigt nur einmal.
So sei es.
Es grüßt:
Ihr Pater
heathen scum - 05.01.2011 : 22.15
@ agnostiker:
bezüglich meucheln und "bodycount" steht´s chronologisch wohl umgekehrt ... zumindest was einige historiker behaupten, die sich mit früh- und hochmittelalter beschäftigen. im 20. und 21. jhdt. sind die christen in sachen quantität auf jeden fall "weltspitze". egal, ich kann auf beide verzichten, v.a. dann, wenn sie politische macht haben.

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