Oasis - Lord Don´t Slow Me Down
(Photos © Lawrence Watson)
Universal (GB 2007)
Die Britrock-Veteranen beweisen, daß der Begriff "Single" nicht mehr mit herkömmlichen Maßstäben zu betrachten ist. Nun gibt es die Dinger auch in virtueller Form - stellt Manfred Prescher fest. 12.11.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Als die Gallaghers seinerzeit zum Angriff bliesen und ihre "Champagne Supernova" zündeten, war eine Single noch irgendwie physisch vorhanden: entweder auf einer schnöden CD oder - je nach Sichtweise - auf zeitlosem oder gestrigem Vinyl. Nicht erst seit "Lord Don´t Slow Me Down" von Oasis wissen wir, daß auch die Ära der Silberlinge vorbei ist. Der Unterschied zu 7"- und 12"-Platten ist allerdings schon jetzt zu erkennen und wird, da bin ich hundertprozentig sicher, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch deutlicher offenkundig werden. Wenn in einigen Jahren kein Mensch mehr von CD oder DVD sprechen wird und aller Wahrscheinlichkeit auch BluRay, HD-DVD und deren Nachfolger längst vergessen sind, wird es Vinyl immer noch geben. Zwar nur in einer gesellschaftlichen Nische, die in etwa der winzigen Gruppe von Immer-noch-Lesenden in "Fahrenheit 451" entspricht, aber immerhin. Diese wenigen Menschen werden dann ihren Klangfetisch weiter pflegen und ihre Audio-Liebe an die Nachkommen vererben.
Witzigerweise sind die Gebrüder Gallagher eigentlich auch eher altmodische Zeitgenossen; Liam ist bekannt dafür, daß er Schallplatten - welch ein Wort! - sammelt. Trotzdem bieten sie den Hit zur Tournee-Doku "Lord Don´t Slow Me Down" ausschließlich online an. Über das Internet verkauft sich der Song wie geschnitten Brot, eine wirtschaftliche Erfahrung, die vor Oasis auch schon Radiohead machten.
Das Lied, das es nur in der ätherischen Anmutung des Heiligen Geistes gibt und das erst vom Kunden zur CD- oder iPod-Bestandteilwerdung gebracht werden muß, ist altmodischer als der Vertriebskanal: Der raubauzige Song klingt stark nach späten Beatles. Wir wissen natürlich, daß Liam ein Fan der Fab Four ist, was auch seine Begeisterung für töndende Erdölprodukte erklärt. Während er schon Richtung "Sergeant Pepper" oder auch "Rubber Soul" schielte, ist es dieses Mal eindeutig die späte Phase mit "Get Back" und "The Ballad Of John And Yoko", die sich in "Lord Don´t Slow Me Down" widerspiegelt. Was für die Beatles der Einstieg ins Glamrock-Zeitalter und damit das Ende vom Ende darstellte, ist für Oasis nur ein weiterer Trip in die kollektive insulare Vergangenheit. Daß nicht Liam, sondern Noel am Mikrofon stehen durfte, hört sich - um beim Bild zu bleiben - allerdings mehr nach Ringo Starr als nach John, Paul oder Schorschi an. Singen klingt irgendwie anders, aber in beiden Fällen ist das Ergebnis sehr charmant. Man lausche nur mal Ringos "Don´t Pass Me By" oder Noels "The Importance Of Being Idle" ...
Logischerweise ist auch David Bowie nicht weit - und das nicht nur, weil das Pop-Chamäleon mit allen Stilen experimentiert, die es jenseits von Afrika gibt, sondern auch, weil der Thin White Duke auf dem 73er-Album "Aladdin Sane" auf den Pfaden von "Get Back" wandelte und die ausgehenden Sixties samt Stones und Beatles in die Zeit des Glitzerkrams transferierte. Die Oasis-Single wirkt so, als wäre die typische Sound-Mauer aus Manchester dieses Mal von Mick Ronson, Trevor Bolder und Mickey Woodmansey, also von Davids/Ziggys Stardusts Spiders From Mars errichtet worden - nur daß eben nicht Bowie sein Stoßgebet an den Herrn richtet. (Apropos Bowie: Im nächsten "Miststück" werde ich davon erzählen, was Apocalyptica und Rrrrrammmmstein-Sänger Till Lindemann aus "Heroes" machen.)
Doch zurück zu dem Überwesen, das seinen Sohn angeblich dafür geopfert hat, daß die Menschheit von großer Musik beseelt werden kann: "Keep saying that my head´s locked up in the clouds/Keep praying that the lord won´t slow me down/I´m tired and I´m sick", krächzt Noel Gallagher durchaus glaubhaft. Der Mann weiß schließlich, wie sich Kater und kalter Entzug anfühlen. Vielleicht ist er auch dem Rausch der Geschwindigkeit verfallen wie seinerzeit Janis Joplin. Die betete schließlich dafür, daß Gott ihr einen Mercedes Benz schenken möge - einen schnellen noch dazu, weil die Freunde mit Porsches durch das Diesseitige rasen.
Ein alter, unter Motorsportlern beliebter Satz heißt: "Wer bremst, verliert." Und der läßt sich auch dann auf "Lord Don´t Slow Me Down" anwenden, wenn es nicht um schnelle Autos, sondern ums schiere Leben geht. Wer sich selbst ausbremst, lebt langsam; möglicherweise in Frieden und Einklang mit der Schöpfung und dem TV-Programm, aber eben gleichförmig und langweilig. Was dann auch für das Sexualleben gilt, wie uns Noel erklärt: Wenn der Herr für Standfestigkeit, für Power und maximale Hormonausschüttung sorgt, dann kann es richtig losgehen: "Feel hungover and I´m all in love/Let the lights go down/Me and you gonna show ´em all."
Bleibt die Frage, warum das Licht "aus" sein sollte ... Vielleicht weil die für die Region südlich der Herzensgegend zuständige Dame lieber Liam im Bett hätte? Alle, die lieber Liam im Kopfhörer hätten, brauchen sich das Lied jedenfalls nicht herunterzuladen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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(Photos © Lawrence Watson)
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