Kolumnen_Miststück der Woche – V/028: Grüne Tomaten

Sorry3000: "Nasenspray"

Manfred Prescher ist krank. Noch mehr als sonst. Verschlagene Winde und ein Heuschnupfen könnten ihm aktuell den Garaus machen. An Schreiben ist deshalb gar nicht zu denken - das übernimmt daher ausnahmsweise mal die beste Liebespartnerin von allen.    29.07.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 
Nicht, daß er optisch ein Ballast für meine Augen wäre. Aber richtig schön ist er auch nicht. Andererseits: Menschen sind bei Licht betrachtet doch generell keine besonders hübsche Gattung. Aber Manfred ist manchmal sehr charmant - und er kann sogar richtig galant sein. Er hilft mir in den Mantel und öffnet mir sogar den Wagenschlag. Doch deshalb habe ich mich seinerzeit nicht in ihn verguckt. Für mich waren Männer immer dann besonders sexy, wenn sie sich verbal und vor allem schriftlich gut ausdrücken können. Tatsächlich kann er das wie noch keiner meiner Kerle vorher. Wenn er Radio macht und mit seinem Brummbaß irgendeinen Scheiß labert, schmelze ich dahin. Und Scheiß labert er - ich erinnere mich noch, als er ein Lied der Söhne Mannheims mit den Worten "Wenn das Mannheims Kinder sind, dann möchte man die Mutter gar nicht erst kennenlernen" abmoderierte. Ein andermal hat er James Blunt mit den Worten "Wenn ein Mann sechs Blunt-Songs hintereinander hört, darf er sein Auto im Parkhaus auf einem Frauenparkplatz abstellen" angekündigt. Gott sei Dank verkneift er sich allzu platte Anzüglichkeiten mittlerweile, was ich gern auf meine Kappe nehme.

Außerdem kann er noch besser schreiben, was mich immer noch antörnt. Vieles kann er allerdings nicht: Manfred hat zwei linke Hände. Deshalb fordert es ihm alles ab, einen Nagel gerade in die Wand zu hämmern. Muß ja auch nicht sein, dafür deckt er morgens den Frühstückstisch und spült das ab, was Thermomix und ich anbrennen lassen. Viele negative Eigenheiten quatscht er einfach weg - wie eine Mischung aus Gottschalk, Helge Schneider und Lehrer Lempel. Damit kann ich leben.

 

 

 

Schlimm wird es nur, wenn er krank ist. Aber das Phänomen kennt frau ja, es ist schon öfter zentrales Thema von Witz und Spott: der todbringende Männerschnupfen. Ganz so schlimm ist es bei ihm nicht. Vor allem, wenn der Medienjunkie an den Siechentagen noch genug Folgen "Marvelous Mrs. Maisel" oder "Bosch" wegstreamen kann. Oder wenn noch ausreichend ungelesene Bücher und Zeitschriften griffbereit herumliegen. Dann vergißt er schon mal, daß er fiebert oder ihm übel ist. Nun jedoch ist er krank. Wenn es nach der Heftigkeit seiner Äußerungen geht, leidet er an einen tödlichen Mix aus Corona, galoppierender Schwindsucht und Gehirnscharlach. Dann jammert er wie Michael Stipe in den schlechteren R.E.M.-Songs oder wie die Heulboje vor der Hallig Hooge bei Windstärke 12. Blöderweise bleibt dann auch die Eloquenz irgendwo zwischen Rotztüchlein und Teetasse auf dem Tisch liegen. Tee ist übrigens ein Indikator der schlimmen Sorte: Er trinkt das Zeug sowieso nur, wenn es dem Ende entgegenzugehen scheint.

Ich hoffe für ihn und mich, daß er die Katastrophe überlebt und höre derweil Sorry3000. Die kommen, glaube ich, irgendwo aus dem Nahen Osten. Nicht aus Schwerin, sondern aus Halle, aber sie sind Schwerin Ordnung. Der mußte jetzt sein, wenn ich Manfred schon das Schreiben abnehme. Sängerin Stefanie Heartmann fängt gleich mit dem an, was uns Frauen besorgt bis abtörnt: ""Mein Freund hat eine entzündete Nase. Mein Freund nutzt täglich mehrmals Nasenspray. Es hat sich zu einer Abhängigkeit entwickelt." Das ist erstens sehr wahr, was laut YouTube-Post sogar Rocko Schamoni so empfindet - und zweitens ist das einer der schönsten Song-Anfänge, die ich mir vorstellen kann. Vielleicht auf einer Stufe stehend mit "On candy stripe legs the Spiderman comes" vom Cure-Song "Lullaby" oder mit "And if a double-decker bus/Crashes into us/To die by your side/Is such a heavenly way to die" von den Smiths. Gut, das ist jetzt nicht der Anfang des Songs "There Is A Light That Never Goes Out", aber wenigstens beginnt eine Strophe mit diesen herrlichen Worten.

Aber wenn ich schon sterben müßte - was durchaus zu befürchten ist, dann aber nicht so wie Manfred Prescher gerade. Ein dermaßen langsames in den Tod Hineingeschniefe, das geht nun mal gar nicht. Weil es Räume für dermaßen viel Selbstmitleid eröffnet, und weil es doch "with a little help from his girlfriend" viel schneller und müheloser gehen könnte. "50 Ways To Leave Your Lover?" Wenn er weiter so keucht, röchelt und krächzt, dann muß ich wohl aktive Sterbehilfe leisten. Ach, ihr da draußen, so schlimm wird es nicht kommen. Ich weiß ja, wie das hoffentlich endet: Morgen früh wird er wieder an der Kaffeetränke stehen und so tun, als ob nichts geschehen wäre. Ansonsten mache ich es wie Sorry3000-Stefanie im Video von "Nasenspray": Ich packe meine Plünnen und begebe mich auf die erneute Suche nach dem Glück.

 

Ihm gefällt "Nasenspray" nicht wirklich, haucht er mit einem Rest von Stimme. Für ihn ist das Lied vermutlich weniger lustig als ein Lied von Gottfried Wendehals. Und das will etwas heißen. Dabei kann er in gesundem Zustand über sich - na gut, über seine eigenen Witzeleien - ganz ordentlich lachen. Am Indie-Sound von Sorry3000 kann seine ablehnende Haltung aber nicht liegen. Hat er nicht erst vor einigen Monden Porridge Radio empfohlen? Egal, ich schreibe hier, und mir gefällt "Nasenspray". Wenn er das finale Restchen aus dem letzten Zehn-Milliliter-Fläschchen gepreßt und an den Härchen vorbei in eines der Löcher geträufelt hat, wird er entweder gesund sein - oder merken, daß ich nicht für Nachschub sorge. Denn am Ende wird er, wie der Freund von Stefanie, wirklich süchtig von dem Zeug.

Wenn er dann wieder auf dem Damm ist, soll er seine "Miststücke" selbst verfassen - und das wird er. Denn dafür liebe ich ihn. Weil er das weiß, schreibt er wie ein Weltmeister. Hoffentlich nimmt ihn nicht irgendwann mal ein Leser oder eine Leserin mit. Schließlich sind beredte Hofnarren ziemlich selten in unserer sprachlich retardierten Welt. 

Manfred Prescher

Sorry3000 - Nasenspray

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Fotos: © Audiolith

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