Morrissey - I Am Not A Dog On a Chain
Kolumnen_Miststück der Woche – V/015: Die Verblendeten
Morrissey: "Knockabout World"
Darf man Morrissey noch hören? Nach mehrfacher Überprüfung beantwortet Manfred Prescher diese Frage eindeutig mit "Ja". (Allerdings empfiehlt es sich, zumindest das Titelstück des neuen Albums zu überspringen.) 29.04.2020
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Wenn Steven Patrick Morrissey in seinen bald auch schon 61 Lebensjahren eines bewiesen hat, dann die Tatsache, daß er einen Hang zur Tragödie hat. Den Drama-King aus Manchester gab er schon 1982 bei den glorreichen Smiths. Während der nachfolgenden Solojahre hat sich nichts daran geändert, er nimmt schon einmal - wie für das Cover zu "You Have Killed Me" - auf Eisenbahngleisen Platz. Morrissey geht nämlich davon aus, daß man ihn, frei nach Reinhard Mey, "mit Engelsmienen auf die Schienen" nageln, binden oder anlöten könnte.
Auf der Verpackung zu seinem Comeback-Werk "You Are The Quarry" posierte er mit der #einer wäre mir lieber# Maschinenpistole. Gut, er hat nicht damit geschossen, aber das Herumfuchteln mit der Waffe ist ja an sich schon die Prophezeiung eines besonders bluttriefenden Dramas. Nein, die MP bleibt gesichert, dafür aber schießt Morrissey verbal so um sich, daß es nur so staubt im Blätterwald. Gegen das Töten und Verspeisen von Tieren ging er - ganz militanter Vegetarier - schon zu den Zeiten von The Smiths vor. Mittlerweile hat sich auch bei vielen Fleischessern herumgesprochen, daß er im Kern damit nicht so falsch lag. Tierrechte sind ein durchaus ernstzunehmendes Anliegen, das sowohl von der besten Liebespartnerin von allen als auch von meinen beiden Hündinnen mit Nachdruck unterstützt wird.
Doch in den letzten Jahren werden seine Äußerungen immer waghalsiger, törichter und obskurer: Immer wieder postuliert er seine Nähe zur rechten Partei For Britain, befürwortet vehement den Brexit und verstrickt sich in Verschwörungsgefasel: Man sollte das Wählen sein lassen, da Wahlen nur den Eliten helfen und sowieso ein Fake sind. Die Medien lägen samt und sonders sowieso daneben, behauptete er anhand der Beispiele Brexit und Trump-Wahl Ende 2017 im "Spiegel". Das eigentlich Interessante ist in diesem Fall aber nicht der verquere Gedankenkosmos des Künstlers, sondern das, was danach kam. Er beschwerte sich über das deutsche "Lügenmedium", weil dieses ihn falsch zitiert habe. Blöderweise findet man aber, ohne groß suchen zu müssen, ähnliche Äußerungen auch in britischen Medien.
Morrissey fühlt sich als Opfer, ob er wegen seiner Statements nun einen Plattenvertrag verliert, das gerade erst veröffentlichte Album "World Peace Is None Of Your Business" 2014 einfach aus den Läden verschwindet oder seine auf Konzerten herausgehauenen Tiraden in den Medien kritisiert werden - schuld sind immer die anderen, z. B. jenes Medienunternehmen, das ihn vor sechs Jahren fallen ließ. Plattenfirmen sind in Morrisseys Augen ja generell "Betrüger", und irgendwie haben sie ihn doch alle übers Ohr gehauen oder in einen Käfig stecken wollen.
Er hat wirklich bei fast allen Plattenfirmen veröffentlicht, weshalb man entweder davon ausgehen kann, daß er recht hat und man ihn stets über das Ohr hauen wollte. Vielleicht ist er aber auch einfach nur ein grundrenitenter Querkopf. Man kann ihn auch, wie die verblichene Musikzeitschrift "Spex", für einen Idioten halten - dafür gibt es beileibe genug Anzeichen. Aber seine Fans verzeihen ihm sowieso alles, was die konstant guten Platzierungen der letzten drei übrigens recht guten Platten "Low In Highschool", das Coverversionen-Werk "California Son" und nun "I´m Not A Dog ..." in den UK-Charts belegen. Daß er jetzt tatsächlich dreimal hintereinander bei derselben Firma veröffentlicht hat, ist aber doch erstaunlich.
Morrissey macht sich immer noch und immer wieder lächerlich, in dieser "Ich laß´ mich nicht wie ein Hund an die Kette legen"-Pose, die es ihm erlaubt, jederzeit jeden Mist von sich zu geben und das neue Album genauso zu benennen: "I´m Not A Dog On A Chain". Mit der knapp vierminütigen Suada, die er im Titelstück auf den Hörer losläßt, bringt er das Faß aus [bei Gutis verdächtiger, Anm. d. Red.] Ideologie und Opferrolle zum ekligen Überlaufen. Ernstnehmen kann man das nicht, aber man sollte den Track einfach überspringen, bevor einem übel wird.
Ansonsten ist das Album die Antwort auf die Frage "Darf und kann man Morrissey noch hören?" Doch, doch, man kann. Und man kann sich dabei wundern, wie viele wunderbare Texte er immer noch verfaßt und wie sehr zum Beispiel "Knockabout World" musikalisch nach den Smiths klingt. Dieser dritte, nach dem grandiosen Gaga-Lyrik-Duett mit der Soul- und Disco-Diva Thelma Houston ("Bobby, Don´t You Think They Know") und dem hübschen "Love Is On Its Way Out" als virtuelle Single ins Netz gekoppelte Song ist beinahe "klassisch". Wäre da nicht der Text: Zeilen wie "Congratulations/You have survived/Congratulations/You´re still alive/They kicked to kill you/Do not forget" bleiben vage. Aber das ist wohl auch besser so. Es könnten Worte zur Pandemie sein, aber eben auch ganz etwas anderes. Wer will hier wen umbringen? Und warum? Das wollen wir lieber nicht wissen. Man läßt die Zeilen besser stehen als das, was sie auch sind und schon in Morrisseys Smith-Jahren hätten sein können: ein umfassendes "Die Welt ist schlecht." Darauf kann man sich, spätestens wenn dank altersbedingt erneut auftretender Phasen von Juvenilität der Intellekt ausgeschaltet wird, einlassen.
Wer aber den guten alten Morrissey sucht - und das lohnt sich , findet ihn auch auf dem neuen Album, in "Jim Jim Falls" oder in "What Kind of People Live in These Houses?" Die tragisch endende Liebe vertont er in "Darling, I Hug A Pillow" wieder auf seine typische Art. Verzweifelt heult er ins Kissen, bis die Federn zu patschnassen Klumpen werden. Ach, die Liebe ist nicht nur ein seltsames Spiel, sondern der zentrale Stoff, aus dem Dramen geklöppelt werden. Und Morrissey ist der altgewordene Romeo, der nicht lieben darf. Weil Beziehungen nun mal Dramen sind - und da schließt sich der Kreis: Die Welt ist einfach schlecht, und Morrissey ist natürlich keinen Deut besser. Wenigstens das weiß er auch - "Heaven Knows I‘m Miserable Now" sang er schon anno 1984.
Ihr könnt ja derweil aber mit mir zusammen an das Gute glauben und dabei Morrissey hören. Das erzeugt ein wohliges Gefühl von Vertrautheit. Nächste Woche gibt es dann eine neue Kolumne, und in der geht es um ein vertrautes Gefühl von Unwohlsein: Public Enemy sind wieder da. Doch davon erzähle ich euch in Kürze.
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