The Kooks - Inside In/Inside Out
EMI (GB 2006)
Weisheit hängt nicht von der Anzahl der Lebensjahre ab. Das beweisen die Kooks auf eine Art, die gestandene Pop-Profis alt aussehen läßt - findet Manfred Prescher. 06.11.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Woher haben die Kooks nur ihre Geschichten über die Liebe und all die Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich? Sie sind so abgeklärt und reif, daß man sich wundern muß. In "Eddie´s Gun" wird zum Beispiel das Thema Impotenz besungen. Dabei sollte man doch annehmen, daß Küken, die fast noch als Teenager durchgehen, eher mit vorzeitigem Samenerguß zu kämpfen haben. Vielleicht ist die mangelnde Standfestigkeit aber auch ein spezifisches Problem britischer Jungmänner - schließlich gab es vor kurzem schon ein Lied mit ähnlichem Inhalt: "Rusted Guns Of Milan" von Art Brut.
Eine typische Band aus dem Vereinigten Königreich sind die Kooks allemal; das ist schon am putzigen südenglischen Akzent zu hören, der ganz und gar nicht versucht, nach Übersee zu klingen. Snobistisch und sophisticated, zu cool für ihr Alter: Der Gruppenname ist eigentlich Titel eines David-Bowie-Stücks, das schon einige Jahre mehr auf der Rille hat als die einzelnen Kooks-Mitglieder, denn es stammt vom 71er-Album "Hunky Dory". Im Sound des Quartetts aus Brighton finden sich clever eingefügte Elemente von The Kinks, Jam und besonders von den Small Faces ("Sofa Song"). Wer danach sucht, entdeckt einen riesigen Zitatenschatz. Und der ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß die Jungs um Luke Pritchard eigentlich eine prima Boygroup abgäben. Hübsch und jung sind sie, aber sie singen nicht wirklich für Girlies, sondern über Jungs und ihr Liebesleben. Das ist dann so zeitlos, daß auch alte Säcke wie meinereiner sich spielend leicht darin erkennen können ...
Eine dieser Geschichten ist mir genauso passiert, wie sie Pritchard singt (kleine biographische Ungenauigkeiten sind dabei zu vernachlässigen). Während im Lied selbst die Kooks-Konzerte den Rahmen für das bilden, was dann an purer Magie geschieht, war es in meinem Fall ein angesagter Club, in dem ich als DJ herumstand, um die Turntables in möglichst geschickte Bewegung zu versetzen. Und da war sie, diese umwerfende Frau ... Wenn sie sich auf die Tanzfläche begab, wurde das kälteste Strobolicht heiß, und der Raum schien durch ihre Präsenz wie verzaubert.
"You´d be on your way to better things" singen die Kooks, und genau das war es: Sie tanzte exzessiv, aber in sich gekehrt, es schien fast so, als ob sie durch ihr sinnliches Tanzen nicht nur die eigenen Lasten, sondern auch die der anderen abschütteln könne. Ich mußte ihr einfach zuschauen, ich konnte nicht anders: "It´s not about your make-up" - genau, es war nichts, was durch kosmetische Kunstgriffe optimiert wurde. Auch ihre Kleidung spielte keine Rolle, ebenso wenig wie der Körperbau der Schönen. Oder vielleicht doch, denn genau den brachte sie mit ihren Bewegungen so zur Geltung, daß ich nachts von ihr träumte. Der Begriff "Ausdruckstanz" bekam für mich so eine etwas andere Bedeutung.
"But uh oh, oh I love her because/She moves in her own way". Ja, das ist es: ein einmaliger Bewegungsablauf, wie ich ihn noch bei keiner anderen Frau erlebt habe. Luke Pritchard geht es da genauso, und so, wie er singt, weiß er um die Schönheit des Moments. Er ist hin- und hergerissen: Soll er sie ansprechen und damit vielleicht die Magie zerstören - oder soll er weiter von der Bühne herunterschmachten? So eine nimmt man sich nicht als Groupie, so wie "Jackie Big Tits" oder andere. "Yes our wish´s that we never made it/Through all the summers". So eine ist etwas Besonderes, Einmaliges. Allein die Handbewegung, diese grazile Drehung, mit der sie den Rhythmus bis in die Fingerspitzen strömen läßt. Das ist phänomenal.
"But uh oh, she came to my show/Just to hear about my day" ... Genau, sie kam in den Club und hörte sich meinen Tag an, meine ausgewählten Platten, die bei aller Professionalität immer auch Ausdruck von Stimmung waren. Und "uh oh", ihr Tanz gab dieser Befindlichkeit eine Form, es schien fast so, als fühlte sie, wie mir an den jeweiligen Abenden zumute war. "Last Night A DJ Saved My Life" - vielleicht ist es mir bei ihr hin und wieder geglückt. Sie hat mir umgekehrt wahrscheinlich nicht das Leben gerettet, dafür aber viele Nächte. Weil sie einfach so war, wie sie war: eine Zaubermaus, die mindestens auf tausend verschiedene Arten "Tainted Love" tanzen konnte - und doch war immer der für sie typische Bewegungsablauf dabei.
Weil die Kooks genau davon singen und ich immer wieder an diese Eine denken muß, trage ich ihr Lied seit Wochen mit mir herum. Scheinbar bin ich aber nicht der einzige, dem das so geht. Die immerhin bereits fünfte Auskopplung aus dem Album "Inside In/Inside Out" schaffte es in England problemlos in die Top Ten. Das mag durchaus am lockeren Ray-Davies-Style liegen, mit dem sich die Melodie einprägt; es kann aber auch sein, daß es der Text ist, der mit knappen, aber absolut passenden Worten betörende Glücksmomente besingt.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
The Kooks - Inside In/Inside Out
EMI (GB 2006)
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.
Kommentare_