Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 2

The Rolling Stones: "Look What The Cat Dragged In"

Normalerweise klauen die jungen, ungestümen Bands hemmungslos bei den Alten. Jetzt drehen die den Spieß um. Manfred Prescher fragt sich, ob sie das dürfen.    09.11.2005

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Es ist irgendwie ein Tabubruch - fast so, als würden ein 20jähriger und eine 60jährige eine Liebesbeziehung eingehen und in der Öffentlichkeit wild herumknutschen. So "Harold & Maude"-mäßig. Das zu akzeptieren fällt schwer, auch wenn man wie ich der Meinung ist, daß gefälligst jeder nach seiner Fasson glücklich werden soll. Vorsichtig blickt man auf das ungleiche Paar, will nur nicht erwischt und als konservativer Sack oder Spanner entlarvt werden. Ist der Moment der lüsternen Beobachtung vorbei, hinterfragt man vielleicht wieder einmal seine Wertmaßstäbe, seine Moralvorstellungen und wandert mit einem "Wo die Liebe hinfällt ..." weiter.

So ähnlich geht es mir mit "Look What The Cat Dragged In" vom aktuellen Stones-Album "A Bigger Bang": Längst habe ich mich daran gewöhnt, daß Generationen von The Jams, Blurs oder Kaiser Chiefs in den Asservatenkammern der britischen Popmusik wildern und sich die Styles der Vergangenheit aneignen. Manchmal wird so cooles Zeug vor dem Vergessen gerettet, häufiger aber werden wenigstens charmante Reminiszenzen ins Hier und Jetzt eingebaut. Bloc Party oder Franz Ferdinand, so was wird´s immer geben: Die forsche Jugend forscht.

Was aber, wenn die Herbstzeitlosen sich hemmungslos beim Nachwuchs bedienen? Dann denkt man doch sofort, daß den Zombies nichts mehr einfällt und sie so die Vergreisung noch ein paar rauhe Takte lang aufschieben und sich den Status ewiger Berufsjugendlichkeit erhalten wollen. Sowas tut man nicht, wenn man Mick Jagger und Keith Richards heißt, also schon als Glimmer Twins durch das Swinging London rabaukte, als die Franzls Alex Kapranos, Nick McCarthy, Paul Thompson und Bob Hardy noch in der Ursuppe herumschwammen und Lichtjahre von ihrem eigenen "Bigger Bang" entfernt waren.

 

Haben die Stones sowas wirklich nötig? Eigentlich nicht - das Album ist auch ohne dieses eine Stück lang genug. Aber haben die Stones überhaupt irgendwas nötig? Anbiederungen an den Zeitgeist? An die Fans von Franz Ferdinand? Wohl auch nicht. Vielleicht wollen sich die Alten einfach einen Scherz erlauben? Zeigen, daß sich die Jungen noch gewaltig strecken müssen, wenn sie denn jemals in die Fußstapfen der Stones treten wollen? Also nimmt Ron Wood den Baß in die Hand und kopiert Bob Hardy. Keith Richards fügt das typische, kurze Franz-Ferdinand-Klingeln hinzu, und selbst der Michel versucht, seine Stimme ein wenig nach Kapranos klingen zu lassen. Ich bin so überrascht von dem Stück, daß ich es mir immer und immer wieder anhöre.

Man kann tatsächlich mit den Ohren Voyeur sein, ich bin der lebende Beweis dafür. Und ich wechsle zwischen Bewunderung und Abscheu hin und her, lausche zum achten und neunten Mal diesem typischen Sound der vier Schotten, nur daß er von ihren Großeltern im rockigen Geiste gespielt wird. Dann ist das Dutzend voll, ich staune immer noch, habe aber eine - zugegebenermaßen - perfide Idee.

Ein paar Bekannte wollen sich gemeinsam "You Could Have It So Much Better", die zweite CD von Franz Ferdinand, anhören. Ich behaupte, daß ich die "Limited Edition" habe, auf der sich ein Track mehr befindet. Limitiert ist meine Edition wirklich, denn es gibt nur dieses eine Exemplar, bei dem sich zwischen "Evil & A Heathen" und "You´re The Reason I´m Leaving" das Stück der Stones befindet: Gott sei Dank kennen die Anwesenden die Stones-CD nicht und damit natürlich auch nicht "Look What The Cat Dragged In". Beim ersten Anhören fügt sich der Song prima ins Franzl-Album, die Unterschiede, also hauptsächlich die Stimmen der beiden Sänger, gehen im Gesprächswirrwarr unter. Erst beim zweiten Durchgang fällt einem Mitmenschen auf, daß "dieses Lied da" nie und nimmer von Kapranos gesungen wird, sondern eher klingt, als ob Jagger einen auf Franz Ferdinand macht. Ich gebe mich also geschlagen und zu, daß ich meine Gäste an der Nase herumführen wollte. Was meinen Freund Gernot dazu veranlaßte, sich ein halbwegs bewunderndes "Miststück" abzuringen und eine Diskussion darüber vom Zaun zu brechen, ob die Stones ihre Enkel beklauen dürfen.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Rolling Stones - A Bigger Bang


EMI (GB 2005)

 

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