Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 1

Madonna: "Hung Up"

Die Jungfrauennummer hat man ihr nie abgenommen, dafür ist Susan längst gefunden. Jetzt sorgt der neue Song des Popidols für Hirnsausen. Manfred Prescher weiß warum.    31.10.2005

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Als ich "Hung Up" zum ersten Mal hörte, wußte ich schon, daß dieses Lied ein Miststück der besonderen Sorte ist. Madame Ciccione arbeitet gezielt und mit billigen Tricks darauf hin, alles auszuhebeln, was sonst so in der persönlichen Playlist herumtönt. Besonders schwer haben es die Stücke, die bewußt von mir in den CD-Player eingelegt oder im iPod ausgewählt werden, um das musikalische Spektrum zu erweitern.

Miles Davis´ "Birth Of The Cool"? Schöne Wiederveröffentlichung, aber die CD läuft an mir vorbei, als wäre sie Rolltreppengedudel. Also suche ich nach etwas, das entschieden mehr "catchy" ist, etwas, das absoluten Hit-Appeal hat. Wie wäre es mit Robbie? Der hat immerhin Stephen "Tin Tin" Duffy im Gepäck, und der weiß, wie man prima Songs schreibt. Aber mit prima Songs läßt sich Madonna nicht der Garaus machen, denn "Hung Up" ist das genaue Gegenteil, ist keine geniale Komposition, ist wahrscheinlich nicht einmal in den Hirnen von kreativen Musikerköpfen entstanden, sondern in einer Hexenküche

Ich stelle mir vor, wie Madonna, ganz Gundel Gaukeley, mit schwarzgefärbten Haaren in einer verwunschenen Hütte auf dem Blocksberg mit ihrem Raben Nimmermehr spricht. "Schau mal, was ich hier habe! Sollen wir das mal in den Bottich kippen?" Sie wartet die Antwort nicht ab, stattdessen schüttet sie und hört gar nicht mehr auf zu schütten. Die Flasche mit dem schwedischen Melodienelexier wird bis auf den Grund ausgeleert. Dazu noch eine Prise aus zerstoßenem Achtziger-Jahre-Zeitgeist - und fertig ist der unwiderstehliche Hit, mit dem sie nicht nur an Bertels ersten Zehner, sondern auch an meine selbstverdienten Kreuzer kommen will. Dazu muß sie mein Herz erobern und meinen Verstand ausschalten.

Und Madonna weiß, was man das macht. Mit List und Tücke hat sie den Angriff geplant: ein winziges Schlagzeug-Intro, dann die synthetischen Flötentöne, die jeder, auch der Nachgeborene, schon mehrfach gehört hat. Selbst Teenies kennen ABBA, und vom Kiddie bis zu den Kaloderma-Nutzern, die beim 74er-Grand-Prix schon vor dem Fernseher saßen, kennt jeder das Lied, das "Hung Up" zugrundeliegt - und erlebt erneut sein persönlich-musikalisches

"Waterloo".

Während man noch überlegt, wie das Original heißt, nisten sich gleich zwei Songs in den Gehörgängen ein und verstopfen sie nachhaltig: Madonna verwendet das Gerüst von "Gimme Gimme Gimme (A Man After Midnight)", und obwohl Annafrid und Agnetha nicht singen und die schwedische Disco-Hookline fehlt, denke ich mir die berühmten Zutaten automatisch mit. Das Ganze ist also hinterhältig im Quadrat. Schließlich - und darum ist "Hung Up" so stimmig - ist auch der ABBA-Hit das Produkt einer Giftküche, in der es die beiden Köche Benny und Björn verstanden, mit einer simplen Melodielinie und nachtigallengleich gezwitschertem "Take me through the darkness to the break of the day" die Geschmäcker kurzfristig gleichzuschalten.

Mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Veröffentlichung des Originals werden mir erneut die künstlich erzeugten Flötentöne beigebracht. Widerstand ist zwecklos, du wirst assimiliert. Oder wie singt Madonna? "You´ll wake up one day/but it´ll be too late". Schuld daran trägt aber nicht nur diese verdammte Melodie, sondern auch diese zunächst kaum auffällige Baßfigur, die sich hinterrücks anschleicht, wie Mikrowerbespots, die sich am Auge vorbei ins Unterbewußte mogeln und dort fröhliche Urständ feiern.

Weil mich Madonnas Miststück so sehr genervt hat, habe ich mir den Song mehrfach bewußt angehört, ihn seziert - und ich fand auch den historischen Ursprung dieser Baßlinie: sie stammt aus New Orders "Blue Monday" (oder aus Visages "Fade To Grey", was ja praktisch den gleichen coolen Bums hat). Die kenne ich, mag sie auch und finde sie immer wieder genial. Madonna weiß das natürlich, sie hat das Ding so eingesetzt, daß ich es nicht sofort bemerke, mich aber irgendwie wohl fühle in diesem Song. Schließlich hat sie es auf meine selbstverdienten Kreuzer abgesehen.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Madonna - Confessions on a Dance Floor


Warner (USA 2005)

 

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